FG Hamburg zur Zahlung von Erstattungszinsen für Zollbeträge

FG Hamburg, EuGH-Vorlagebeschlüsse v. 01.09.2020, 4 K 67/18 und 4 K 14/20

Praxisproblem


Sofern Zollbeträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist die Erstattung dieser Beträge im Rahmen des seit dem 01.05.2016 geltenden Zollrechts gem. Art. 117 des Unionszollkodex (UZK) (bzw. für den Zeitraum davor gem. Art. 236 des EG-Zollkodex [ZK]) vorgesehen. Problematisch sind aber in diesem Zusammenhang die Fragen, ob der Zollschuldner auch Zinsen auf die von ihm geleisteten Zahlungen erhält und ab welchem Zeitpunkt die Zahlung dieser Zinsen erfolgt. Für das vor dem 01.05.2016 geltende Zollrecht ist nämlich in Art. 241 S. 1 ZK der Grundsatz geregelt, dass keine Er-stattungszinsen zu zahlen sind.

Mit dem Urteil „Wortmann“ (EuGH, Urteil v. 18.01.2017, C-365/15) nahm der EuGH zu der zollrechtlichen Konstellation Stellung, dass die Klägerin des damaligen Verfahrens Antidumpingzölle auf Basis einer Antidumpingverordnung entrichtet hatte, die später für rechtswidrig erklärt wurde. Der EuGH war der Auffassung, dass die Regelung des Art. 241 S. 1 ZK in der gegebenen Fallkonstellation nicht anwendbar sei. Im Fall der Erstattung einer von einem EU-Mitgliedstaat rechtswidrig erhobenen Abgabe darf dem Abgabenpflichtigen nämlich eine angemessene Entschädigung für die Einbußen, die er durch die zu Unrecht gezahlte Abgabe erlitten hat, nicht vorenthalten werden. Von einer solchen Vorenthaltung ist dann schon auszugehen, wenn die einzelstaatliche Zinsregelung eine Berechnung nicht schon ab dem Tag der zu Unrecht erfolgten Zahlung vorsieht. Infolge der „Wortmann“-Entscheidung vertrat die deutsche Zollverwaltung in weiteren Verfahren die Auffassung, dass eine Übertragbarkeit der „Wortmann“-Kriterien auf andere Konstellationen nicht möglich sei. Das FG Düsseldorf hat hierzu bereits in diesem Jahr ein Urteil veröffentlicht, in dem es um die Übertragbarkeit der Wortmann-Kriterien auf eine andere Fallkonstellation als die Rechtswidrigkeit einer Antidumpingmaßnahme, nämlich um einen Rechtsanwendungsfehler im Rahmen der Bestimmung einer Zolltarifnummer, ging (Az. 4 K 1163/18 Z; vgl. hierzu bereits die Darstellung im AWB-Newsletter 12/2020).

Um die Übertragbarkeit der „Wortmann“-Entscheidung auf Fallkonstellationen von Rechtsanwendungsfehlern speziell im EU-Zollrecht ging es auch in zwei aktuellen Verfahren des FG Hamburg (Az. beim FG Hamburg: 4 K 67/18 und 4 K 14/20). Das FG Hamburg hat entschieden, diese Fallkonstellationen dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen (Az. beim EuGH: C-427/20 und C-419/20).

Sachverhalt


Im Verfahren 4 K 67/18 ging es um den Import von Bolzenhaken, die zur Fertigung von Hundeleinen verwendet wurden. Nach einer Außenprüfung gelangte das zuständige Hauptzollamt zu der Auffassung, dass diese Waren entgegen der Anmeldung der Klägerin nicht als Waren der Position 8308 (Zollsatz 2,7 %), sondern als solche der Position 7907 (Zollsatz 5 %) der Kombinierten Nomenklatur (KN) zu behandeln seien.Es kam zunächst zur Nacherhebung von Einfuhrabgabenbeträgen und schließlich zur Erstattung dieser Beträge. Die Zahlung von Erstattungszinsen verweigerte das zu-ständige Hauptzollamt.

Im Verfahren 4 K 14/20 ging es um den Import von Verbindungselementen von einem in Indonesien ansässigen Unternehmen, das wiederum ein Tochterunternehmen eines großen chinesischen Herstellers von Verbindungselementen war. Die Einfuhr bestimmter Verbindungselemente unterlag seinerzeit bei Vorliegen eines chinesischen Warenursprungs Antidumpingzöllen. Das zuständige Hauptzollamt vertrat die Auffassung, dass die aus Indonesien eingeführten Verbindungselemente tatsächlich chinesischen Ursprungs waren und erhob die Antidumpingzölle nach. Der chinesische Warenursprung konnte letztlich doch nicht nachgewiesen werden, wodurch es zur Erstattung der Antidumpingzölle kam. Die Zahlung von Erstattungszinsen verweigerte das zuständige Hauptzollamt auch hier.

Entscheidung durch das FG hamburg


In beiden Vorlagebeschlüssen wog das FG Hamburg ausführlich die Argumente für und gegen die Zahlung von Erstattungszinsen ab. Das FG Hamburg sah einen Unterschied dazwischen, ob die Rechtsgrundlage der Abgabenfestsetzung vom EuGH für nichtig oder ungültig erklärt worden ist oder ob dem Einzelnen deshalb ein Erstattungsanspruch erwachsen ist, weil die mitgliedstaatliche Behörde das einschlägige und gültige Unionsrecht im Einzelfall aufgrund einer unzutreffenden Würdigung des Sachverhalts fehlerhaft angewandt habe. Im letzteren Fall dürfte es lediglich um die Korrektur einer Einzelfallentscheidung gehen, die sich im Wesentlichen nach jeweiligen mitgliedstaatlichen Regeln richte, während im Falle einer Verordnung oder Norm, die vom EuGH für ungültig oder nichtig erklärt werde, die volle Wirksamkeit des Unionsrechts wiederhergestellt werden müsse. Gleichwohl dürfte der vom EuGH hervorgehobene Gesichtspunkt der Kompensation der Vermögensvorteile, die der Einzelne aufgrund der mangelnden Verfügbarkeit von Geldbeträgen erlitten habe, gleichermaßen auf Sachverhalte zutreffen, in denen der Einzelne in rechtswidriger Weise mit Abgaben belastet werde, weil die rechtlichen Voraussetzungen für die Abgabenerhebung nicht vorlagen. Für den Abgabenpflichtigen dürfte es keinen Unterschied machen, ob er Abgaben aufgrund einer unionsrechtswidrigen Verordnung oder Norm oder aber aufgrund einer schlicht rechtswidrigen, weil fehlerhaften zollbehördlichen Entscheidung geleistet habe. In beiden Sachverhaltsvarianten stehe dem Einzelnen der erhobene Geldbetrag nicht zur Verfügung, den er hätte frei nutzen können, wenn die Zollbehörden das Unionsrecht beachtet hätten.

Im Verfahren 4 K 67/18 formulierte das FG Hamburg die folgende Vorlagefrage: „Ist ein Verstoß gegen das Unionsrecht als Voraussetzung des vom Gerichtshof der Europäischen Union entwickelten unionsrechtlichen Zinsanspruchs auch gegeben, wenn eine mitgliedstaatliche Behörde eine Abgabe unter Verletzung rechtsgültiger Vorschriften des Unionsrechts festsetzt und ein mitgliedstaatliches Gericht diesen Verstoß gegen das Unionsrecht feststellt?“

Im Verfahren 4 K 14/20 formulierte das FG Hamburg die folgende Vorlagefrage: „Ist ein Verstoß gegen das Unionsrecht als Voraussetzung des vom Gerichtshof der Europäischen Union entwickelten unionsrechtlichen Zinsanspruchs auch gegeben, wenn eine mitgliedstaatliche Behörde eine Abgabe unter Anwendung des Unionsrechts festsetzt, ein mitgliedstaatliches Gericht jedoch später feststellt, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für die Erhebung der Abgabe nicht vorliegen?“

Praxishinweis


Unternehmen, denen Einfuhrabgaben außerhalb von Klageverfahren erstattet wurden, sollten aufgrund der EuGH-Entscheidung „Wortmann“ und auf Basis des dazu ergangenen Urteils des FG Düsseldorf aus dem Juli 2020 sowie der EuGH-Vorlagebeschlüsse des FG Hamburg aus dem September 2020 prüfen, ob nicht vorsorglich entsprechende Zinsanträge gestellt werden sollten.

Zu beachten ist, dass die aktuellen Entscheidungen der Finanzgerichte Düsseldorf und Hamburg noch das „alte“ Zollrecht des EG-Zollkodex betreffen. Zwar sprechen nach hier vertretener Auffassung gute Argumente dafür, dass, sofern der EuGH auf Basis der Vorlagebeschlüsse des FG Hamburg im Sinne der Wirtschaftsbeteiligten entscheiden sollte, diese Bewertung auf die UZK-Rechtslage und damit auf die Anwendung von Art. 116 Abs. 6 UZK übertragen werden kann. Zu beachten ist allerdings, dass die Zollverwaltung sich bisher in Bezug auf die Anerkennung des unionalen Verzinsungsanspruchs sperrt. Wer also einen Antrag auf Zahlung von Erstattungszinsen stellt, muss sich darauf einstellen, ein längeres Einspruchsverfahren und ggfs. auch ein Klageverfahren führen zu müssen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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