BMF zur Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG für Leistungen eines privaten Krankenhauses aufgrund der BFH-Urteile vom 23.10.2014, V R 20/14, sowie vom 18.03.2015, XI R 38/13

Anmerkung zum BMF-Schreiben vom 06.10.2016, III C 3 - S 7170/10/10004

Praxisproblem

Nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL sind „Krankenhausbehandlungen und ärztliche Heilbehandlungen sowie damit eng verbundene Umsätze“ umsatzsteuerfrei. Handelt es sich bei dem Unternehmer, der diese Leistungen erbringt, nicht um eine Einrichtung des öffentlichen Rechts, sind die Umsätze nur steuerfrei, wenn sie „unter Bedingungen, welche mit den Bedingungen für diese Einrichtungen in sozialer Hinsicht vergleichbar sind, von Krankenanstalten, Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik und anderen ordnungsgemäß anerkannten Einrichtungen gleicher Art durchgeführt beziehungsweise bewirkt werden“.

In den Urteilen vom 23.10.2014, V R 20/14 und vom 18.03.2015, XI R 38/13, hatte der BFH entschieden, dass die ab dem Jahr 2009 geltende nationale Regelung in § 4 Nr. 14 Buchst. b Satz 2 Doppelbuchst. aa UStG nicht den unionsrechtlichen Vorgaben entspricht. Der nationale Gesetzgeber habe den ihm nach Unionsrecht eingeräumten Ermessensspielraum überschritten, weil die Regelung in § 4 Nr. 14 Buchst. b Satz 2 Doppelbuchst. aa UStG i. V. m. §§ 108, 109 SGB V die Steuerfreiheit der Leistungserbringung in Krankenhäusern, die von Unternehmern betrieben werden, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, unter einen sozialversicherungsrechtlichen Bedarfsvorbehalt stellt, der mit dem Unionsrecht nicht vereinbar sei. Daher könne sich der Unternehmer, der eine private Krankenanstalt betreibt, für die Steuerfreiheit seiner Leistungen unmittelbar auf Artikel 132 Abs. 1 Buchstabe b MwStSystRL berufen.

Nach dieser Rechtsprechung des BFH sind für eine ordnungsgemäß anerkannte Einrichtung i.S.v. Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL folgende Kriterien zu berücksichtigen:

  • das Bestehen spezifischer Vorschriften – seien es nationale oder regionale, Rechts- oder Verwaltungsvorschriften, Steuervorschriften oder Vorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit,
  • das mit den Tätigkeiten des betreffenden Unternehmers verbundene Gemeinwohlinteresse,
  • die Tatsache, dass andere Unternehmer mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kommen,
  • der Gesichtspunkt, dass die Kosten der fraglichen Leistungen unter Umständen zum großen Teil von Krankenkassen oder anderen Einrichtungen der sozialen Sicherheit übernommen werden.

Sachverhalt

Mit dem BMF-Schreiben v. 06.10.2016 wurden die BFH-Urteile vom 23.10.2014, V R 20/14 sowie vom 18.03.2015, XI R 38/13 veröffentlicht (d.h. sie werden von der Verwaltung allgemein angewendet) und eine unmittelbare Berufbarkeit auf das Unionsrecht in vergleichbaren Fällen bejaht.

Entscheidung

Das BMF-Schreiben regelt, dass Krankenhäuser, die nicht von juristischen Personen des öffentlichen Rechts betrieben werden und die weder eine Zulassung nach § 108 SGB V besitzen noch eine sonstige Einrichtung i.S.d. § 4 Nr. 14 Buchstabe b Satz 2 UStG sind, sich mit ihren in § 4 Nr. 14 Buchst. b Satz 1 UStG genannten Heil- und Krankenhausbehandlungsleistungen unmittelbar auf die Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL berufen können, wenn sie diese in sozialer Hinsicht unter vergleichbaren Bedingungen wie die Krankenhäuser erbringen, die in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft stehen oder nach § 108 SGB V zugelassen sind.

In sozialer Hinsicht vergleichbare Bedingungen liegen nach dem BMF-Schreiben vor, wenn das Leistungsangebot dieser Krankenhäuser den von Krankenhäusern in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft oder nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhäusern erbrachten Leistungen entspricht und die Kosten in erheblichem Umfang von Krankenkassen oder anderen Einrichtungen der sozialen Sicherheit übernommen werden. Von einer Kostenübernahme in erheblichem Umfang ist nach dem BMF-Schreiben auszugehen, wenn im vorangegangenen Kalenderjahr mindestens 40 % der jährlichen Belegungs- oder Berechnungstage auf Patienten entfallen sind, bei denen für die Krankenhausleistungen kein höheres Entgelt als für allgemeine Krankenhausleistungen nach dem Krankenhausentgeltgesetz oder der Bundespflegesatzverordnung berechnet wurde oder im vorangegangenen Kalenderjahr mindestens 40 % der Leistungen den in § 4 Nr. 15 Buchst. b UStG genannten Personen zugutegekommen sind. Entgelte, die für Wahlleistungen berechnet werden, sind in die Berechnung der 40 %-Grenze der jährlichen Belegungs- oder Berechnungstage nicht mit einzubeziehen, wenn das Entgelt für die Wahlleistungen entsprechend § 17 Abs. 1 Krankenhausentgeltgesetz in einem angemessenen Verhältnis zu den allgemeinen Krankenhausleistungen steht.

Praxishinweis

Die unmittelbare Berufbarkeit auf das Unionsrecht gilt nach dem BMF-Schreiben in allen offenen Fällen für Umsätze, die ab dem 01.01.2009 erbracht werden (worden sind).

Der BFH hatte mit insgesamt drei Urteilen vom 23.10.2014 und 18.03.2015 zur Umsatzsteuerfreiheit von Umsätzen privater Krankenhausbetreiber bis 2008 (XI R 8/13) einerseits und ab 2009 (V R 20/14 und XI R 38/13) andererseits entschieden. Danach war die Steuerbefreiung für die mit dem Betrieb eines Krankenhauses eng verbundenen Umsätze nach § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG in der bis zum 31.12.2008 geltenden Fassung i.V.m. § 67 AO hinsichtlich der 40 %-Grenze unionsrechtskonform.

Demgegenüber kann sich nach Ansicht des BFH der Betreiber einer Privatklinik hinsichtlich der ab dem Jahr 2009 geltenden Regelung in § 4 Nr. 14 Buchst. b Satz 2 Doppelbuchst. aa UStG i. V. m. §§ 108, 109 SGB V für die Steuerfreiheit seiner Leistungen unmittelbar auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL berufen, da der BFH den in § 4 Nr. 14 Buchst. b Satz 2 Doppelbuchst. aa UStG vorausgesetzten Bedarfsvorbehalt als unionsrechtswidrig einstufte.

Die betroffenen Privatkliniken waren bisher in der Situation, dass die gesetzlichen Krankenkassen Rechnungen mit Umsatzsteuerausweis nicht vollständig bezahlten und –  ohne Rücksicht auf die von den Privatklinken verwirklichten Sachverhalte – auf Rechnungen ohne Umsatzsteuerausweis bestanden, weil sie davon ausgingen, dass jeder Umsatz einer Privatklinik unter Berufung auf das Unionsrecht steuerfrei sei. Diese Problematik wurde mit dem BMF-Schreiben entschärft. Die Berufung auf die MwStSystRL kann betroffenen Unternehmern nicht aufgezwungen werden. Im Ergebnis entsteht in derartigen Fällen ein Wahlrecht, welches lediglich durch eine zeitnahe gesetzliche Neuregelung vermieden werden könnte. Das BMF-Schreiben lässt (mangels gegenteiliger Regelung) somit wohl die Möglichkeit offen, unter Berufung auf das Unionsrecht (unter den gegebenen Voraussetzungen) bestimmte Umsätze steuerfrei abzurechnen, sich aber wegen des Vorsteuerabzugs nur hinsichtlich der Umsätze auf das Unionsrecht zu berufen, für die die Kostenträger entsprechende Kürzungen vornehmen.

Die Berufbarkeit auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL dürfte in der Praxis grds. nur in den Fällen zuzulassen sein, in denen eine Zulassung der jeweiligen Einrichtung auch tatsächlich an der Bedarfsprüfung scheitert. Scheitert die Zulassung hingegen aus anderen Gründen, z.B. weil zwingende Anforderungen an einen ordnungsgemäßen Klinikbetrieb nicht erfüllt werden, verbietet es der Gesetzesvorbehalt, auch solchen Einrichtungen unter unmittelbarer Berufung auf EU-Recht die Steuerbefreiung zu gewähren. Es dürfte daher erforderlich sein, dass betroffene private Krankenhäuser zunächst nachweisen, dass ihre Zulassung nach § 108 SGB V und damit die Erfüllung der gesetzlichen Anerkennungsvoraussetzungen am Bedarfsvorbehalt scheitert. Erst dann ist eine Berufung auf das Unionsrecht eröffnet und ihre Leistungen steuerfrei, wenn diese unter in sozialer Hinsicht vergleichbaren Bedingungen wie öffentlich-rechtliche oder nach § 108 SGB V zugelassene Krankenhäuser erbracht werden.

Nach den Grundsätzen der BFH-Urteile V R 20/14 sowie XI R 38/13 steht § 4 Nr. 14 Buchst. b Satz 2 Doppelbuchst. aa UStG i.V.m. §§ 108, 109 SGB V hinsichtlich der Anerkennung von Einrichtungen, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, aufgrund des darin enthaltenen sozialversicherungsrechtlichen Bedarfsvorbehalts nicht im Einklang mit Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL. Zu der Frage, auf welche Art und Weise diesem vom BFH als unionsrechtswidrig angesehene sozialversicherungsrechtliche Bedarfsvorbehalt im nationalen Recht begegnet werden könnte, lassen sich der Steuerbefreiung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL sowie der hierzu ergangenen Rechtsprechung des EuGH keine Vorgaben entnehmen. Insbesondere steht die Anerkennung von Einrichtungen, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, grundsätzlich im Ermessen der Mitgliedstaaten, wobei die unionsrechtlichen Grundsätze, insbesondere der Grundsatz der Gleichbehandlung, zu beachten sowie folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind: das mit den Tätigkeiten des betreffenden Steuerpflichtigen verbundene Gemeinwohlinteresse, die Tatsache, dass andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kommen, und der Umstand, dass die Kosten der fraglichen Leistungen unter Umständen zum großen Teil von Krankenkassen oder anderen Einrichtungen der sozialen Sicherheit übernommen werden (vgl. EuGH, Urt. v. 08.06.2016,  C-106/05, L. u. P. und EuGH, Urt. v. 10.06.2010, C-262/08, CopyGene).

Im Urteil L. u. P., C-106/05 hat der EuGH für die Anerkennung privatrechtlich organisierter Labors das Erfordernis, dass mindestens 40 % der medizinischen Analysen Personen zu Gute kommen, die bei einem Träger der Sozialversicherung versichert sind, für ermessensgerecht befunden. Hinsichtlich der Anerkennung von anderen Einrichtungen als denen des öffentlichen Rechts hat der EuGH für die Steuerbefreiung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL im Urteil Zimmermann, C-174/11 seine Rechtsprechung bestätigt, wonach die Anerkennung des sozialen Charakters von Einrichtungen auf Grundlage einer Kostenübernahmequote durch Träger der Sozialversicherung grundsätzlich ermessensgerecht ist. Im Fall Zimmermann hielt der EuGH die Zwei-Drittel-Grenze des § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG in seiner seit 1993/94 geltenden Fassung, wonach die Pflegeleistungen privater Pflegedienste nur dann von der Umsatzsteuer befreit waren, wenn deren Umsätze im vorangegangenen Kalenderjahr in mindestens zwei Drittel der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind, grundsätzlich für ermessensgerecht.

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