EuGH zur Umsatzsteuerbefreiung für Lieferungen von aus menschlichem Blut gewonnenen Blutplasma

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 05.10.2016, C-412/15, TMD Gesellschaft für transfusionsmedizinische Dienste mbH

Praxisproblem

Nach § 4 Nr. 17 Buchst. a UStG sind u.a. Lieferungen von Blut umsatzsteuerfrei. Zum menschlichen Blut gehören nach Abschn. 4.17.1 UStAE folgende Erzeugnisse: Frischblutkonserven, Vollblutkonserven, Serum- und Plasmakonserven, Heparin-Blutkonserven und Konserven zellulärer Blutbestandteile. Liegen für die Lieferungen nach § 4 Nr. 17 Buchst. a UStG auch die Voraussetzungen einer Ausfuhrlieferung (§ 4 Nr. 1 Buchst. a, § 6 UStG) bzw. einer innergemeinschaftlichen Lieferung (§ 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a UStG) vor, geht die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 17 Buchst. a UStG diesen Steuerbefreiungen vor.

Bei dem Vorabentscheidungsersuchen des Hessischen FG v. 24.03.2015, 1 K 1166/13 ging es um die Steuerbefreiung oder Steuerpflicht der Lieferungen von aus menschlichem Blut gewonnenem Blutplasma. Das Vorlagegericht wollte wissen, ob eine solche Lieferung unter die Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. d MwStSystRL fällt. Falls der EuGH dies bejahte, wollte das FG weiterhin wissen, ob diese Steuerbefreiung auch für Blutplasma gilt, das Gegenstand einer innergemeinschaftlichen Lieferung ist und das nicht unmittelbar für therapeutische Zwecke, sondern ausschließlich zur Herstellung von Arzneimitteln bestimmt ist, bzw. ob es für die Einordnung als Blut allein auf die getroffene Zweckbestimmung oder auch auf die abstrakt bestehende Verwendungsmöglichkeit des Blutplasmas ankommt. Fraglich war also, ob in solchen Fällen ggf. die zum Vorsteuerabzug berechtigende Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen oder die vorsteuerschädliche Steuerbefreiung für Blutlieferungen anzuwenden ist.

Sachverhalt

Die Klägerin betreibt ein Blutspendezentrum. Im Rahmen ihrer Tätigkeit lieferte sie Blutplasma zum Zwecke der Herstellung von Arzneimitteln an eine in der Schweiz ansässige X AG, die das Plasma bei der Klägerin abholte und zu ihren Produktionsstätten im übrigen Gemeinschaftsgebiet transportierte. Mit ihrer Umsatzsteuererklärung für 2008 machte die Klägerin die mit diesen Lieferungen im Zusammenhang stehenden Vorsteuern geltend. Das Finanzamt versagte den Vorsteuerabzug mit der Begründung, die Lieferungen des Blutplasmas ins übrige Gemeinschaftsgebiet seien sowohl nach § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG als innergemeinschaftliche Lieferungen als auch nach § 4 Nr. 17 Buchst. a UStG als Lieferung von Blut steuerbefreit. Da die in § 4 Nr. 17 Buchst. a UStG normierte Steuerbefreiung nach dem BFH-Urteil v. 22.08.2013, V R 30/12, BStBl. II 2014, 133 der Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen vorgehe, stehe § 15 Abs. 2 UStG dem Vorsteuerabzug entgegen.

Die Klägerin machte geltend, die mit den geforderten Vorsteuerbeträgen im Zusammenhang stehenden innergemeinschaftlichen Lieferungen von Blutplasma seien nicht gem. § 4 Nr. 17 Buchst. a UStG steuerbefreit, da es sich insoweit um die Lieferung von sog. Sourceplasma an Pharmafirmen zur Fraktionierung und anschließenden Herstellung von Arzneimitteln handele. Dies habe zur Folge, dass die Steuerbefreiung insoweit ausschließlich auf § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG (für innergemeinschaftliche Lieferungen) beruhe und deshalb der Vorsteuerabzug zu gewähren sei. Die Lieferung von Blutplasma zur Herstellung von Arzneimitteln stellte keine Lieferung von Blut i.S.d. § 4 Nr. 17 Buchst. a UStG bzw. Art. 132 Abs. 1 Buchst. d MwStSystRL dar. Eine Definition des Begriffes Blut sei vom Gesetzgeber nicht erfolgt. Die nationale Vorschrift sei ursprünglich eingeführt worden, um die Lieferung von Blutkonserven zwischen Blutannahmestellen und Krankenanstalten von der Umsatzsteuer zu befreien. Die Befreiung habe den Zweck, die Kosten des Gesundheitswesens und damit die Kosten für die Patienten und Sozialversicherungsträger nicht mit Umsatzsteuer zu belasten. Deshalb sei die Steuerbefreiung dann gerechtfertigt, wenn die Empfänger der Lieferungen wegen der Steuerbefreiung ihrer Ausgangsumsätze – wie z.B. Krankenhäuser – nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt seien. Diesem Zweck widerspreche es aber, die Lieferung von Blutplasma an vorsteuerabzugsberechtigte Unternehmen zur Herstellung von Arzneimitteln ebenfalls nach § 4 Nr. 17 UStG von der Umsatzsteuer  zu befreien. Auch die Berücksichtigung der vom EuGH aufgestellten Grundsätze zur Auslegung von Steuerbefreiungen und das Neutralitätsgebot erforderten es, die Lieferung von Plasma zur Herstellung von Arzneimitteln nicht als steuerbefreite Lieferung von Blut anzusehen. Der in § 4 Nr. 17 Buchst. a UStG bzw. in der inhaltsgleichen Vorschrift des Art. 132 Abs. 1 Buchst. d MwStSystRL verwendete Begriff „Blut“ müsse eng ausgelegt werden, da Steuerbefreiungen eine Ausnahme vom Grundsatz der allgemeinen Steuerpflicht darstellten. Hierbei müsse die Auslegung mit den mit der Befreiungsvorschrift verfolgten Zielen im Einklang stehen, nämlich hier, die Kosten des Gesundheitswesens zu senken. Es sei deshalb für die steuerliche Beurteilung geboten, zwischen Plasma, das unmittelbar zu Therapiezwecken verwendet werde, und dem nur zur Herstellung von Arzneimitteln geeignetem und bestimmtem Plasma zu unterscheiden.

Entscheidung

Der EuGH hat in seinem Urteil festgestellt, dass der Begriff „menschliches Blut“ auch den Blutbestandteil Blutplasma umfasst. Er ist allerdings zu dem Ergebnis gekommen, dass die Steuerbefreiung nur für die Lieferung von Blutplasma gilt, wenn diese Lieferung unmittelbar zu dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten beiträgt, d.h. wenn das gelieferte Blutplasma unmittelbar für Gesundheitsleistungen oder zu therapeutischen Zwecken eingesetzt wird. Die Lieferung von sog. Industrieplasma, das ausschließlich zur Herstellung von Arzneimitteln bestimmt ist, fällt dagegen nicht unter die Steuerbefreiung.

Praxishinweis

In seinen recht kurzen Urteilsgründen begründet der EuGH sein Ergebnis mit dem Grundsatz der engen Auslegung von Steuerbefreiungen sowie dem Zweck der Steuerbefreiung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. d MwStSystRL. Danach soll der Zugang zur Lieferung von Produkten, die zu Gesundheitsleistungen beitragen oder einen therapeutischen Zweck haben, nicht durch die höheren Kosten versperrt werden, die durch eine MwSt-Pflicht entstünden. Wenn Blut ausschließlich für Zwecke der Arzneimittelherstellung geliefert wird, gelten diese Befreiungsgrundsätze nicht. Da Lieferungen von Arzneimitteln grundsätzlich steuerpflichtig sind, macht die Besteuerung von Vorumsätzen durchaus Sinn, weil im Falle einer Steuerbefreiung der entsprechenden Blutlieferungen eine Kumulation nicht abzugsfähiger Restmehrwertsteuer aus diesen Bezügen entstehen könnte.

Der EuGH ist mit seinem Urteil (was eher selten ist) nicht den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 02.06.2016 und auch nicht der Auffassung der Bundesregierung gefolgt. Es ist damit zu rechnen, dass der EuGH auch die wortgleichen Vorlagefragen 1 bis 3 des Finanzgerichts Münster in der Rechtssache C-238/16 (X) in gleicher Weise entscheidet.

Nach bisher noch geltender Verwaltungsauffassung ist die Lieferung von menschlichem Blutplasma, das zur industriellen Weiterverarbeitung vorgesehen ist, als Lieferung von menschlichem Blut nach § 4 Nr. 17 Buchst. a UStG umsatzsteuerfrei. Dies ergibt sich auch aus Abschn. 4.17.1 Abs. 1 UStAE, wonach u.a. Serum- und Plasmakonserven zum Begriff des menschlichen Bluts gehören.

Nach den Leitlinien des MwSt-Ausschuss zur 99. Sitzung v. 03.07.2013 (veröffentlicht auf der Homepage der EU-Kommission) ist der MwSt-Ausschuss fast einstimmig der Auffassung, dass die Lieferung von „Blut“ nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. d MwStSystRL neben der Lieferung von Vollblut auch die Lieferung einzelner Blutbestandteile wie Blutplasma oder Blutzellen menschlichen Ursprungs umfasst. Der MwSt-Ausschuss ist jedoch fast einstimmig der Auffassung, dass die Lieferung von „Blut“ und dementsprechend die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. d MwStSystRL vorgesehene Steuerbefreiung nicht für die Lieferung von Erzeugnissen aus menschlichem Blut, die durch das Vermischen verschiedener Blutbestandteile bzw. durch das Vermischen von Blutbestandteilen mit anderen Stoffen gewonnen werden, und nicht für die Lieferung von synthetischen Produkten gilt, wie z. B. Plasmaprodukte, die aus Mischungen von menschlichem Blutplasma hergestellt werden (z.B. Albumin und Immunglobulinen).

Nach dem Wortlaut von § 4 Nr. 17 Buchst. a UStG (und auch von Art. 132 Abs. 1 Buchst. d MwStSystRL) ist es für die Steuerbefreiung bei der Lieferung von Blut oder Blutbestandteilen unbedeutend, an welchen Empfänger und für welchen Nutzungszweck menschliches Blut geliefert wird. Lieferung von Blutplasma an Pharmaunternehmen als Vorprodukt zur Herstellung von Arzneimitteln schließt nach dem Wortlaut der betreffenden Vorschriften die Anwendung der Steuerbefreiung nicht aus.

Der EuGH sieht dies anders. Nach dem Urteil dürfte zumindest eine entsprechende Anpassung des UStAE erforderlich werden.

 

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