Neuregelung der umsatzsteuerlichen Behandlung von Gutscheinen

Anmerkung zu der Richtlinie (EU) 2016/1065

Praxisproblem

Der Grundsatz der Umsatzbesteuerung ist die Besteuerung nach vereinbarten Entgelten, § 16 Abs. 1 Satz 1 UStG; dabei entsteht die Umsatzsteuer mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem der maßgebliche Umsatz ausgeführt worden ist, § 13 Abs. 1 Nr. 1a Satz 1 UStG. Eine Ausnahme davon bildet die Anzahlungsbesteuerung bei den vereinbarten Entgelten; hier entsteht die Umsatzsteuer mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem das Entgelt dem leistenden Unternehmer als Anzahlung zugeflossen ist, § 13 Abs. 1 Nr. 1a Satz 4 UStG.

Wird bei einem steuerbaren Umsatz ein Gutschein verwendet, kann sich dies auf die Steuerbemessungsgrundlage, den Zeitpunkt des Umsatzes und ggf. auch auf den Ort der Leistung auswirken. Nach dem geltenden deutschen Umsatzsteuerrecht gibt es bislang keine feststehende Definition für einen Gutschein. Bei der umsatzsteuerlichen Behandlung ist zu unterscheiden, welche Funktion der Gutschein im Einzelfall hat. Nach bisheriger Auffassung handelt es sich um einen sog. Einzweckgutschein, wenn die auf dem Gutschein beschriebene Leistung hinreichend konkretisiert ist. Da der leistende Unternehmer eine Anzahlungsbesteuerung im Zeitpunkt der Vereinnahmung vorzunehmen hat, muss dieser ebenfalls feststehen. Der Besteuerung steht auch nicht entgegen, dass die auf dem Gutschein beschriebene Leistung eine Vielzahl von Einzelleistungen beinhaltet. Sollten die verschiedenen Leistungen sowohl dem Regelsteuersatz als auch dem ermäßigten Steuersatz unterliegen, ist der Gutscheinbetrag bisher entsprechend aufzuteilen. Auf die Angabe eines Steuersatzes kommt es nicht an; dieser ergibt sich aus der auf dem Gutschein dokumentierten Leistung.

Sachverhalt

Der Rat der Europäischen Union hat am 27.06.2016 die „Richtlinie (EU) 2016/1065 zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG hinsichtlich der Behandlung von Gutscheinen“ (ABl. EU 2016 Nr. L 177, 9) verabschiedet. Mit der Richtlinie wurden erstmals spezielle Vorschriften für die mehrwertsteuerliche Behandlung von Gutscheinen in die MwStSystRL eingefügt.

Entscheidung

Der neue Art. 30a MwStSystRL enthält Definitionen von Gutscheinen für MwSt-Zwecke. Nach Art. 30a Nr. 1 MwStSystRL ist ein „Gutschein“ ein Instrument, bei dem die Verpflichtung besteht, es als Gegenleistung oder Teil einer solchen für eine Lieferung von Gegenständen oder eine Erbringung von Dienstleistungen anzunehmen und bei dem die zu liefernden Gegenstände oder zu erbringenden Dienstleistungen oder die Identität der möglichen Lieferer oder Dienstleistungserbringer entweder auf dem Instrument selbst oder in damit zusammenhängenden Unterlagen, einschließlich der Bedingungen für die Nutzung dieses Instruments, angegeben sind.

Nach der Definition des Gutscheins finden die neuen Regelungen keine Anwendung auf Briefmarken, Fahrscheine, Eintrittskarten für Kinos und Museen und ähnliche Instrumente (vgl. die beispielhafte Aufzählung in Erwägungsgrund 5 der Richtlinie 2016/1065). Hintergrund ist, dass hier bereits über die bloße Annahmeverpflichtung hinausgehende Ansprüche entstanden sind. Bei den Gutscheinen ist dann zwischen Einzweck- und Mehrzweck-Gutscheinen zu unterscheiden:

  • „Einzweck-Gutschein“ ist ein Gutschein, bei dem der Ort der Lieferung der Gegenstände oder der Erbringung der Dienstleistungen, auf die sich der Gutschein bezieht, und die für diese Gegenstände oder Dienstleistungen geschuldete Mehrwertsteuer zum Zeitpunkt der Ausstellung des Gutscheins feststehen (Art. 30a Nr. 2 MwStSystRL) und
  • „Mehrzweck-Gutschein“ ist ein Gutschein, bei dem es sich nicht um einen Einzweck-Gutschein handelt (Art. 30a Nr. 3 MwStSystRL).

Der neue Art. 30b MwStSystRL, mit dem der Zeitpunkt geregelt wird, zu dem bei Verwendung eines Gutscheins die Mehrwertsteuer erhoben wird, ist die zentrale Vorschrift der Richtlinie 2016/1065:

  • Bei einem Einzweck-Gutschein liegen alle Informationen bereits bei der Ausgabe des Gutscheins vor, die benötigt werden, um die mehrwertsteuerliche Behandlung der zugrunde liegenden Umsätze mit Sicherheit zu bestimmen, sodass zu diesem Zeitpunkt besteuert werden soll. Um das zu erreichen, fingiert Art. 30b Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL, dass jede Übertragung eines Einzweck-Gutscheins als die (steuerbare) Leistung gilt, auf die sich der Gutschein bezieht, während die eigentliche (spätere) Erbringung der Leistung bei der Einlösung des Gutscheins nicht als unabhängiger Umsatz gilt. Werden Einzweck-Gutscheine nicht eingelöst, bleibt es bei der ursprünglichen Besteuerung (keine Änderung der Bemessungsgrundlage).
  • Bei einem Mehrzweck-Gutschein liegen zum Zeitpunkt der Ausgabe nicht alle Informationen vor, um die mehrwertsteuerliche Behandlung der diesem zugrundeliegenden Umsätze zuverlässig zu bestimmen. Die Mehrwertsteuer kann also erst bei der Einlösung erhoben werden. Art. 30b Abs. 2 Unterabs. 1 MwStSystRL stellt daher klar, dass nur die tatsächliche Lieferung oder sonstige Leistung, die gegen die Einlösung eines Mehrzweck-Gutscheins erbracht wird, gemäß Art. 2 MwStSystRL der Mehrwertsteuer unterliegt. Die bloße Übertragung eines Mehrzweck-Gutscheins ist nicht steuerbar.

Die Regelungen in Art. 30b Abs. 1 Unterabs. 2 und 3 MwStSystRL sowie in Art. 30b Abs. 2 Unterabs. 2 MwStSystRL haben lediglich klarstellenden Charakter.

Der neue Art. 73a MwStSystRL regelt – Art. 73 MwStSystRL konkretisierend – die Bemessungsgrundlage bei Umsätzen, die gegen die Einlösung eines Mehrzweck-Gutscheins erbracht werden. Art. 73a 1. Halbsatz MwStSystRL stellt klar, dass die Bemessungsgrundlage bei diesen Umsätzen dem Betrag entspricht, den der Käufer des Gutscheins für den Gutschein gezahlt hat. Nur in den Fällen, in denen keine Informationen über diesen Betrag vorliegen, wird auf den auf dem Gutschein selbst oder in den damit zusammenhängenden Unterlagen angegebenen Geldwert abgestellt (Art. 73a 2. Halbsatz MwStSystRL).

Schließlich wurden mit den neuen Art. 410a und 410b MwStSystRL Übergangsmaßnahmen für die neuen Vorschriften in die MwStSystRL eingefügt. Danach gelten die neuen Vorschriften nur für nach dem 31.12.2018 ausgestellte Gutscheine. Zudem wurde die EU-Kommission aufgefordert, bis 31.12.2022 einen Bewertungsbericht vorzulegen. Erwägungsgrund 15 der Richtlinie 2016/1065 stellt zusätzlich klar, dass die neuen Vorschriften nicht die Gültigkeit der von den Mitgliedstaaten in der Vergangenheit angenommenen Rechtsvorschriften und Auslegungen berühren. D.h. für Zeiten vor dem 01.01.2019 bleibt es bei dem bisherigen jeweiligen nationalen Recht.

Praxishinweis

Die Richtlinie enthält keine Bestimmungen zu Rabattgutscheinen und auch keine Bestimmungen hinsichtlich des gewerblichen Vertriebs von Mehrzweckgutscheine (auch grenzüberschreitend). Sie ist am 02.07.2016 in Kraft getreten und muss bis 31.12.2018 mit Wirkung v. 01.01.2019 in nationales Recht umgesetzt werden. Dementsprechend müsste der deutsche Gesetzgeber spätestens im Jahr 2018 ein Gesetzgebungsverfahren in Gang setzen. Für die Zeit vor dem 01.01.2019 kann ein unmittelbares Berufungsrecht aus der Richtlinie für Fälle, in denen die umsatzsteuerliche Behandlung der Ausgabe von Gutscheinen nach dem nationalen Recht den Neuregelungen der Richtlinie nicht entspricht, nicht entstehen.

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