BFH zur Geschäftsveräußerung im Ganzen bei nur teilweiser Fortführung der Verpachtungstätigkeit

Anmerkung zu: BFH, Urt. v. 06.07.2016, XI R 1/15

Praxisproblem

Nach § 1 Abs. 1a UStG unterliegt eine Geschäftsveräußerung im Ganzen an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen nicht der Umsatzsteuer. Die Feststellung einer nicht umsatzsteuerbaren Geschäftsveräußerung im Ganzen ist insbesondere in den Fällen von Bedeutung, in denen es sich anderenfalls um einen (vorsteuerschädlichen) steuerfreien Umsatz handeln würde. Dies würde entsprechend zu einer Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG zu Lasten des Verkäufers führen.

Die Abgrenzung zwischen nicht umsatzsteuerbarer Geschäftsveräußerung im Ganzen und steuerbarem Umsatz ist daher gerade bei Immobiliensachverhalten trotz einer Vielzahl von höchstrichterlichen Entscheidungen mit erheblicher Rechtsunsicherheit verbunden. Der BFH hat nunmehr erstmalig zur Geschäftsveräußerung im Ganzen bei nur teilweiser Fortführung der Verpachtungstätigkeit durch die Erwerberin Stellung bezogen und einen nicht steuerbaren Umsatz nach § 1 Abs. 1a UStG „insoweit“ hinsichtlich des weiterhin verpachteten Grundstücksteils angenommen.

Sachverhalt

In den Jahren 1999 bis 2001 errichtete die Klägerin ein Geschäftshaus. Das Geschäftshaus, bestehend aus Erdgeschoss und Obergeschoss, wurde von Beginn an steuerpflichtig (vorsteuerunschädlich) vermietet. Mieter des Erdgeschosses war der Ehemann der Klägerin. Das Obergeschoss (und Teile des Erdgeschosses) wurden zuletzt an die Firmen C und D vermietet. Die Klägerin nahm aus der Errichtung des Geschäftshauses den vollen Vorsteuerabzug in Anspruch. Die Klägerin verkaufte das Geschäftshaus im Jahre 2007 an die E-GmbH. Ein Verzicht auf die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG (Steuerbefreiung für Grundstücksumsätze) erfolgte nicht. Klägerin und Erwerberin vereinbarten, dass die E-GmbH nur die Mietverhältnisse gegenüber C und D übernimmt. Das Mietverhältnis gegenüber dem Ehemann wurde nicht übernommen. Die Verkäuferin verpflichtete sich zur frist- und ordnungsgemäßen Räumung des Erdgeschosses. Die Erwerberin nutzte das Erdgeschoss nach Übertragung für eigene unternehmerische Zwecke.

Im Rahmen einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung beurteilte das Finanzamt die Grundstücksübertragung als steuerfreien (vorsteuerschädlichen) Umsatz. Eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung im Ganzen läge weder ganz noch teilweise vor. Die Klägerin müsse somit im Besteuerungszeitraum der Veräußerung (2007) eine Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG vornehmen.

Das Finanzgericht hat die  Klage mit der Begründung abgewiesen, dass eine Verpachtungstätigkeit von der Erwerberin zwar fortgeführt würde, nach der gebotenen Gesamtwürdigung sich aber die vor und nach der Grundstücksveräußerung ausgeübten Tätigkeiten der Klägerin bzw. der Erwerberin nicht derart hinreichend ähneln, dass im Ergebnis eine Geschäftsveräußerung im Ganzen angenommen werden könne. Während das Vermietungsunternehmen der Klägerin das gesamt Grundstück umfasste, sei nach Übertragung nur noch etwa die Hälfte des Grundstücks vermietet. Für die Frage des Vorliegens einer „hinreichend ähnlichen Tätigkeit vor und nach Übertragung“ seien zumindest dann nicht der Zeitpunkt der Übertragung, sondern die Gesamtumstände maßgeblich, wenn die Änderungen am Unternehmen im unmittelbaren Zusammenhang mit dessen Veräußerung erfolgten. Da die weiterhin verpachteten Grundstücksflächen im Obergeschoss lediglich Bestandteil eines „zivilrechtlich einheitlichen Grundstücks (Wirtschaftsgutes)“ sind, könne eine Geschäftsveräußerung im Ganzen „insoweit“ nicht angenommen werden.

Entscheidung

Der BFH hob das Urteil auf und verwies die Sache zur weiteren Sachverhaltsermittlung zurück an das Finanzgericht.

Hinsichtlich der Grundstücksteile, für die die Erwerberin die Verpachtungstätigkeit der Klägerin fortführt, liege eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung im Ganzen vor. Denn die an die Erwerberin veräußerten, weiterhin an C und D verpachteten Räume bilden bei der Erwerberin einen selbstständigen Unternehmensteil, mit dem die Erwerberin die selbstständige wirtschaftliche (Verpachtungs-)Tätigkeit der Klägerin fortführen könne.

Für die Frage des Vorliegens einer „hinreichend ähnlichen Tätigkeit vor und nach Übertragung“ müsse – entgegen der Auffassung des Finanzgerichts – auf den Zeitpunkt der Übertragung abgestellt werden. Die unionsrechtliche Vorgabe der „Übertragung eines […] Teilvermögens“ verlange nicht, dass es sich hierbei um ein „zivilrechtlich selbstständiges Wirtschaftsgut“ handelt. Begriffe des Unionsrechts seien autonom auszulegen. Die zivilrechtlichen Sichtweisen des jeweiligen Mitgliedstaates seien ebenso wenig maßgeblich wie ertragssteuerrechtliche Kriterien. Ob das Grundstück vom Veräußerer vor Übertragung zivilrechtlich geteilt worden ist oder nicht, spiele daher keine Rolle (a.A. OFD Karlsruhe v. 19.02.2015, S 7100 b).

Nur diese Interpretation stehe im Einklang mit der BFH-Rechtsprechung, wonach bei Begründung von Miteigentum an einem teilweise vermieteten Grundstück die unternehmerische Vermietungstätigkeit auf die Bruchteilsgemeinschaft übergeht, aber die Geschäftsveräußerung sich dem Umfang nach auf den vermieteten Grundstücksteil beschränkt (BFH, Urt. v. 22.11.2007, V R 5/06, BStBl. II 2008, 448). Auch liege bei den Grundstücksteilen im Erdgeschoss kein „Vermietungsleerstand“ im Sinne der BFH-Rechtsprechung vor (vgl. BFH, Urt. v. 30.04.2009, V R 4/07, BStBl. II 2009, 863). Die Klägerin hat die Verpachtungstätigkeit hinsichtlich der früher an den Ehemann verpachteten Räume nicht nur vorübergehend unterbrochen, sondern beendet.

Praxishinweis

Die bisher nur für den Fall der Einräumung eines Miteigentumsanteils vom BFH gesehene (Teil-) Geschäftsveräußerung wurde mit der vorliegenden Entscheidung auch auf den Fall der Grundstücksveräußerung erweitert. Nach dem vorstehenden Urteil des BFH können nicht steuerbare Geschäftsveräußerungen auch dann „insoweit“ angenommen werden (und Vorsteuerberichtigungen nach § 15a UStG beim Veräußerer vermieden werden), wenn nicht das „gesamte“ Vermietungs- oder Verpachtungsunternehmen des Veräußerers vom Erwerber fortgeführt wird. Allerdings ist hierfür aus den Zeitpunkt der Übertragung abzustellen. Geht ein Vermietungsunternehmen durch Übernahme sämtlicher Mietverhältnisse auf den Erwerber „insgesamt“ über und wickelt der Erwerbe für einen Teil das Unternehmens die Vermietungstätigkeit zwecks Eigennutzung durch Kündigung der Mietverhältnisse sofort ab, ist eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung im Ganzen nach Auffassung des BFH wohl weder teilweise noch insgesamt anzunehmen.

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