EuGH zur Rückwirkung einer Rechnungsberichtigung

EuGH, Urt. v. 15.09.2016, C-518/14, Senatex

Praxisproblem

Um den Vorsteuerabzug aus einer Lieferung oder Dienstleistung  vornehmen zu können, müssen Unternehmer über eine ordnungsgemäße Rechnung verfügen, die den Anforderungen von §§ 14, 14a UStG entspricht (§ 15 Abs. 1 Satz 1 UStG) und sämtliche Pflichtangaben enthält. Gem. § 31 Abs. 5 UStDV kann eine Rechnung korrigiert werden, wenn sie entweder unvollständig ist oder fehlerhafte Angaben enthält.  Fehlt in der Rechnung eine dieser Angaben, wird dem Unternehmer der Vorsteuerabzug bislang versagt. Eine Berichtigung der Rechnung ist dabei zwar möglich – jedoch bislang ohne Rückwirkung auf den Zeitpunkt, zu dem der Unternehmer die ursprüngliche (fehlerhafte) Rechnung ausgestellt hatte. Vielmehr sollte der Vorsteuerabzug nach ständiger Rechtsprechung des BFH (Urt. v. 24.08.2006, V R 16/05; Beschl. v. 31.07.2007, V B 156/06) erst im Besteuerungszeitraum der Nachreichung bzw. Korrektur der Rechnung möglich sein. Auch die Finanzverwaltung lehnt eine rückwirkende Rechnungskorrektur ab, Abschn. 15.2 Abs. 5 UStAE. Dies bedeutete in der Regel die Entrichtung von Nachzahlungszinsen (§ 233a AO).

Der EuGH hatte nun darüber zu entscheiden, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen einer Rechnungsberichtigung Rückwirkung zukommt.

Sachverhalt

Die Klägerin, ein Großhandelsunternehmen aus der Textilbranche, gab in den Steuererklärungen für die Jahre 2008 bis 2011 jeweils an, einen Vorsteuerabzug aus den ihren Handelsvertretern erteilten Provisionsabrechnungen sowie aus den Rechnungen eines Werbegestalters vorgenommen zu haben. Bei einer Außenprüfung im Jahr 2013 stellte das Finanzamt fest, dass ein Vorsteuerabzug aus den von der Klägerin gegenüber ihren Handelsvertretern erteilten Gutschriften nicht möglich sei, da Steuernummer oder Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (USt-IdNr.) des Handelsvertreters fehlten. Gleiches galt für die durch die Werbegestalter ausgestellten Rechnungen. Noch während der Außenprüfung im Jahr 2013 ließ die Klägerin sämtliche Abrechnungen der Jahre 2009 bis 2011, diejenigen des Jahres 2008 im Februar 2014, um die Angabe der Steuernummer bzw. USt-IdNr. ergänzen. Das FA verwehrte dennoch den Vorsteuerabzug in den Streitjahren mit der Begründung, dass die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung erst im Zeitpunkt der Berichtigung der Rechnungen vorlagen. Eine Rückwirkung der Rechnungsberichtigung auf den Zeitpunkt der Erbringung der in Rechnung gestellten Leistungen sei nicht möglich. Hiergegen richtet sich die Klägerin; sie meint, den von ihr vorgenommenen Berichtigungen kommt allein deswegen Rückwirkung zu, da sie vor der letzten Verwaltungsentscheidung erfolgt seien.

Entscheidung

Der EuGH hat unter Berufung auf den Neutralitätsgrundsatz entschieden, dass  es möglich ist, Rechnungen mit Rückwirkung auf den Ausstellungszeitpunkt zu berichtigen. Nach Auffassung des EuGH verlange der Neutralitätsgrundsatz, dass der Vorsteuerabzug gewährt werden muss, wenn die materiellen Anforderungen erfüllt sind. Dies gilt nach Auffassung des EuGH, wie sie sich auch schon aus den Urt. v. 21.10.2010, Nidera Handelscompagnie, C-385/09 sowie v. 01.03.2012, Kopalnia Odkrywkowa Polski Trawertyn, C-280/10 ergibt, auch dann, wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Anforderungen an die Rechnung nicht genügt hat.

Entstehung des Rechts auf Vorsteuerabzug

Unter Berufung auf Art. 168 Buchst. a) MwStSystRL und sein Urt. v. 22.10.2015, PPUH Stehcemp, C-227/14 sieht es der EuGH als materiell einzig maßgeblich für den Vorsteuerabzug an, dass der Leistungsempfänger Steuerpflichtiger ist und die Gegenstände oder Dienstleistungen für sein Unternehmen bezogen hat. Formell fordere Art. 178 Buchst. a) MwStSystRL für das Recht zur Ausübung des Vorsteuerabzugs den Besitz einer Art. 226 MwStSystRL entsprechenden Rechnung – insbesondere mit Hinweis auf die Mehrwertsteuernummer des Leistenden, Art. 226 Nr. 3 MwStSystRL.

Unstreitig waren die in Rede stehenden Rechnungen ordnungsgemäß berichtigt worden, sodass der EuGH nicht darüber befinden musste, ob und wenn ja, welche Mindestanforderungen an eine ordnungsgemäße Rechnung zu stellen sind.

Zeitpunkt der Ausübung des Vorsteuerabzugs

Zum Zeitpunkt des Vorsteuerabzugs verweist der EuGH auf Art. 179 Abs. 1 MwStSystRL und sein Urt. v. 29.04.2004, Terra Baubedarf-Handel, C-152/02 und lässt den Vorsteuerabzug für den Zeitraum zu, in dem der Vorsteuererstattungsanspruch entstanden ist und der Steuerpflichtige zudem – überhaupt – im Besitz einer Rechnung ist. In der Rs. C- 152/02 besaß der Steuerpflichtige – anders als im Vorlagefall – im maßgeblichen Zeitpunkt überhaupt keine Rechnung, sodass nicht über die zeitlichen Wirkungen einer Berichtigung zu entscheiden war.

Besitzt der Steuerpflichtige hingegen eine Rechnung, die die in Art. 226 MwStSystRL vorgesehenen Angaben enthält, so ist dies lediglich eine formelle, aber keine materielle Bedingung für das Recht auf Vorsteuerabzug.  Der Vorsteuerabzug ist mithin auch dann zu gewähren, wenn die materiellen Anforderungen erfüllt sind, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Bedingungen nicht genügt hat.

Sanktionen

Der EuGH weist zudem darauf hin, dass es den Mitgliedstaaten gem. Art. 273 MwStSystRL gestattet sei, Sanktionen für den Fall vorzusehen, dass formelle Anforderungen an den Vorsteuerabzug nicht erfüllt sind. Die Versagung des Rechts auf Vorsteuerabzug im Zeitpunkt der Rechnungserstellung als Sanktion anzusehen, verstößt nach Ansicht des EuGH allerdings gegen den Neutralitätsgrundsatz. Vielmehr seien Bußgelder geeignet, als Sanktionierung formell fehlerhafter Rechnungen zu dienen.

Nachzahlungszinsen i.S.v. § 233a AO

Schließlich weist der EuGH darauf hin, dass die Erhebung von Nachzahlungszinsen auf die vor einer Berichtigung der ursprünglich ausgestellten Rechnung geschuldeten Mehrwertsteuerbeträge – wie dies in Deutschland durch § 233a AO der Fall ist – einen Verstoß gegen den Neutralitätsgrundsatz darstellt.

Praxishinweis

Mit diesem Urteil hat der EuGH sehr deutlich gemacht, dass Rechnungskorrekturen Rückwirkung zukommt. Materiell einzig maßgeblich für die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug sind die Unternehmereigenschaft des Leistungsempfängers und der unternehmerische Bezug der zum Vorsteuerabzug berechtigenden Leistung. Hinsichtlich der formellen Anforderungen an den Vorsteuerabzug ist ausreichend, dass der Unternehmer überhaupt im Besitz einer Rechnung ist. Dies bedeutet, dass es bei der Versagung der Rückwirkung bleibt, wenn der Unternehmer, wie in der Rs. Terra Baubedarf, C-152/02 gar keine Rechnung besitzt. Besitzt er hingegen eine Rechnung und hat er diese korrigieren lassen, so wirkt die Korrektur auf den ursprünglichen Zeitpunkt der Rechnungserstellung zurück.

Nicht geklärt hat der EuGH hingegen, ob es Mindestanforderungen an die Rechnung gibt, die der Unternehmer zu erfüllen hat, und wenn ja, welche und bis zu welchem Zeitpunkt eine Rechnung zu korrigieren ist. Beides war im Vorlageverfahren unproblematisch, denn den Rechnungen fehlte die Steuernummer des Leistenden und diese waren unstreitig vor der letzten Verwaltungsentscheidung ordnungsgemäß korrigiert worden.    

Die in Deutschland gängige Praxis, auf der Grundlage von § 233a AO Zinsen auf die Rückerstattung der Vorsteuer zu erheben, hält der EuGH für rechtswidrig. Vor diesem Hintergrund ist es den Unternehmen empfohlen, in der Vergangenheit erfolgte Vorsteuerkorrekturen aufgrund formeller Mängel in der Belegführung zu überprüfen und Erstattungsanträge zur Rückforderung zu viel gezahlter Zinsen in Erwägung zu ziehen.

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