EuGH zum Vorsteuerabzug bei Umsätzen innerhalb eines Organkreises oder zwischen Betriebsabteilungen eines Unternehmens

Anmerkung zu: EuGH, Beschl. v. 21.06.2016, C-393/15, ESET spol. s r.o. sp. z o.o. Oddział w Polsce

Praxisproblem

Bei Umsätzen zwischen Betriebsabteilungen desselben Unternehmens oder innerhalb eines Organkreises handelt es sich nicht um steuerbare Lieferungen oder sonstige Leistungen, sondern um innerbetriebliche Vorgänge (sog. Innenumsätze). Gleichwohl kann sich in diesen Fällen beim Bezug von Eingangsleistungen die Frage nach dem Vorsteuerabzugsrecht stellen. Der EuGH hatte über die Berechtigung zum Vorsteuerabzug einer in einem Mitgliedstaat registrierten Unternehmensniederlassung zu entscheiden. Die Niederlassung hatte überwiegende innerbetriebliche Umsätze für ihre in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Muttergesellschaft bewirkt, wobei Kosten für vorsteuerbehaftete Eingangsleistungen angefallen waren.

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine in Polen für Mehrwertsteuerzwecke registrierte Niederlassung einer Muttergesellschaft mit Sitz in der Slowakei. In den Jahren 2008 bis 2010 entwickelte die Klägerin Softwarekomponenten, die zur Herstellung von Antivirus-Programmen verwendet wurden. Die Antivirus-Programme verkaufte die Muttergesellschaft in der Slowakei, wo entsprechende Ausgangsumsätze erklärt wurden. Die Leistungen der Klägerin an die Muttergesellschaft wurden in Polen – als nicht der Mehrwertsteuer unterliegende Innenumsätze – erklärt. Die Klägerin nahm gleichzeitig den Vorsteuerabzug aus den für ihre innerbetrieblichen Umsätze verwendeten Eingangsumsätzen vor. Sie hält die Vorsteuer für abziehbar, weil die Eingangsumsätze mit der Herstellung von Softwarekomponenten verbunden gewesen seien, die von der Muttergesellschaft zur Ausführung besteuerter Umsätze in der Slowakei verwendet worden seien.

Die polnische Finanzbehörde hatte den Vorsteuerabzug verweigert, weil die Klägerin die bezogenen Eingangsumsätze nicht zur Ausführung besteuerter Umsätzen in Polen verwendet habe. Sie habe lediglich vereinzelt innergemeinschaftliche Erwerbe von Gegenständen und Dienstleistungen und deren Weitergabe (u.a. Weiterveräußerung von Gegenständen und Dienstleistungen an ihre Arbeitnehmer) bewirkt. Die Klägerin meinte, die Versagung des Vorsteuerabzugs verstoße gegen Art. 169 Buchst. a MwStSystRL.

Entscheidung

Der EuGH hat mit Beschluss nach Artikel 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs entschieden. Diese Vorschrift regelt: Stimmt eine zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage mit einer Frage überein, über die der Gerichtshof bereits entschieden hat, kann die Antwort auf eine solche Frage klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden oder lässt die Beantwortung der zur Vorabentscheidung vorgelegten Frage keinen Raum für vernünftige Zweifel, kann der Gerichtshof auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts durch Beschluss, der mit Gründen zu versehen ist, entscheiden. Der Beschluss ist nur in Polnisch und Französisch ergangen.

Nach dem Beschluss sind die Art. 169 und 169 Buchst. a MwStSystRL dahin auszulegen, dass eine in einem Mitgliedstaat für Umsatzsteuerzwecke registrierte Zweigniederlassung einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Muttergesellschaft, die in erster Linie unternehmensinterne, nichtsteuerbare Umsätze an die Muttergesellschaft bewirkt und gelegentlich steuerbare Umsätze im Mitgliedstaat der Registrierung, das Recht auf Vorsteuerabzug für die in diesem Mitgliedstaat bezogenen Leistungen besitzt, die für Zwecke steuerbarer Umsätze der Muttergesellschaft in deren Staat der Ansässigkeit verwendet werden.

Der EuGH bezieht sich im Wesentlichen auf sein Urteil v. 02.07.2009, C-377/08, EGN. Dort ging es um den Vorsteuerabzug im Zusammenhang mit Telekommunikationsdienstleistungen, deren Ort am Sitzort des Leistungsempfängers und damit in einem anderen Mitgliedstaat als dem der Ansässigkeit des leistenden Unternehmers lag. Der EuGH entschied, dass ein in einem Mitgliedstaat ansässiger Erbringer von Telekommunikationsdienstleistungen danach berechtigt ist, in diesem Mitgliedstaat die Mehrwertsteuer abzuziehen oder erstattet zu bekommen, die im Zusammenhang mit Telekommunikationsdienstleistungen, die gegenüber einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen erbracht wurden, als Vorsteuer entrichtet wurde, wenn einem solchen Dienstleistungserbringer dieses Recht für den Fall zustünde, dass die fraglichen Dienstleistungen innerhalb des erstgenannten Mitgliedstaats erbracht worden wären. Auch stellt der EuGH den Bezug auf sein Urteil v. 16.07.2009, C-244/08, Kommission/Italien her. Danach ist eine in einem Mitgliedstaat befindliche feste Niederlassung und die in einem anderen Mitgliedstaat gelegene Hauptniederlassung als ein Unternehmer anzusehen. Nach der Entscheidung war es mit Art. 1 der 8. und mit Art. 1 Nr. 1 der 13. EG-Richtlinie unvereinbar, einen Unternehmer teilweise auf das Vorsteuer-Vergütungsverfahren zu verweisen, obwohl er im Inland über eine feste Niederlassung verfügt.

Praxishinweis

Mit dem Beschluss hat der EuGH eindeutig gemacht, dass der Klägerin der Vorsteuerabzug zustand. Unabhängig davon, aus welchem Grund die Dienstleistungen der Klägerin gegenüber der Muttergesellschaft nicht steuerbar sind, sei es als Innenumsätze, wenn die Muttergesellschaft und die Klägerin ein Unternehmen bilden, oder als B2B-Umsätze zwischen zwei selbstständigen Wirtschaftsbeteiligten mit der Verlagerung des Leistungsorts an den Sitz des Leistungsempfängers, ist der Vorsteuerabzug gleichwohl zu gewähren. Für den Fall, dass die Leistungen der Klägerin in der Slowakei steuerbar sind, steht ihr gem. Art. 169 Buchst. a MwStSystRL in Polen der Vorsteuerabzug zu, es sei denn, die Umsätze würden, wenn sie in Polen steuerbar wären, nicht zum Vorsteuerabzug berechtigen. Entsprechend regelt § 15 Abs. 2 Nr. 2 UStG (mit der Rückausnahme für echte Steuerbefreiungen in § 15 Abs. 3 Nr. 2 UStG) den Ausschluss des Vorsteuerabzugs für Umsätze im Ausland, die steuerfrei wären, würden sie im Inland ausgeführt. Im Fall nichtsteuerbarer Innenumsätze käme der Vorsteuerabzug ggf. für die Muttergesellschaft im allgemeinen Besteuerungsverfahren in Polen (nicht im Vergütungs-Verfahren, wenn die Muttergesellschaft über die Niederlassung in Polen dort ansässig ist) in Betracht.

Es ist mit Art. 1 Nr. 1 der 13. EWG-Richtlinie (mit Art. 1 der 8. EG-Richtlinie) unvereinbar, einen Unternehmer teilweise auf das Erstattungsverfahren zu verweisen, obwohl er im Inland über eine feste Niederlassung verfügt. Ein aufgrund einer festen Niederlassung im Inland ansässiger Unternehmer kann den Vorsteuerabzug im normalen Besteuerungsverfahren für sämtliche in dem betreffenden Mitgliedstaat der festen Niederlassung bezogenen Leistungen geltend machen. Das Vorsteuer-Vergütungsverfahren ist folglich nur dann anwendbar, wenn der Unternehmer im Inland weder einen Sitz noch eine feste Niederlassung hat (vgl. EuGH, Urt. v. 16.07.2009, C-244/08, Kommission/Italien). Was für diesen Fall gilt, sollte auch für den Fall gelten, dass die Niederlassung eine rechtlich selbstständige Einheit ist und selbst Leistungen für das Unternehmen bezieht.

Das Vorsteuerabzugsrecht nach Art. 169 Buchst. a MwStSystRL (Vorsteuerabzug für Umsätze, die außerhalb des Mitgliedstaats, in dem die abzugsfähige Steuer geschuldet oder entrichtet wird, bewirkt werden und für die das Recht auf Vorsteuerabzug bestünde, wenn sie in diesem Mitgliedstaat bewirkt worden wären) kann z.B. nicht verwehrt werden, wenn Gegenstände (Pkw) für Leasinggeschäfte in einem anderen Mitgliedstaat verwendet wurden, die als Ausgangsumsätze in diesem anderen Mitgliedstaat nicht der Mehrwertsteuer unterlagen. Für das Bestehen des Vorsteuerabzugsrechts i.S.v. Art. 169 Buchst. a MwStSystRL reicht es aus, dass die Ausgangsumsätze (hier die Leasinggeschäfte) nicht steuerfrei sind und in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fallen (vgl. EuGH, Urt. v. 22.12.2010, C-277/09, RBS Deutschland Holdings).

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