Zulässigkeit von Steuergestaltungen zur Vermeidung von Umsatzsteuer

EuGH, Urt. v. 20.06.2013 - Rs. C-653/11 – Paul Newey

Praxisproblem

So lange, wie das System der Umsatzsteuer – Umsatzsteuer beim Leistenden und Vorsteuerabzugsberechtigung beim Leistungsempfänger - vollumfänglich funktioniert, entwickeln die Wirtschaftsteilnehmer nur selten Steuervermeidungsstrategien. Hierzu werden sie erst dann gezwungen, wenn entweder eine angestrebte Steuerbefreiung – z.B. für grenzüberschreitende Warenlieferungen – nicht risikolos erreicht werden kann oder der Vorsteuerabzug aus einer Eingangsleistung scheitert und damit die nicht abziehbare Vorsteuer zu einem Kostenfaktor mutiert. Mögliche Vermeidungsstrategien finden sich einmal in der Begründung eines Organschaftsverhältnisses. Da sämtliche Leistungsbewegungen innerhalb eines (inländischen) Organschaftsverhältnisses nicht steuerbar sind, führen ansonsten steuerfreie Leistungen eines Organkreisunternehmens ohne korrespondierenden Vorsteuerabzug beim anderen Organkreisunternehmen bei Begründung eines Organschaftverhältnisses nicht mehr länger zu einer wirtschaftlichen Belastung. Eine andere Vermeidungsstrategie besteht in der Sitzverlagerung des Unternehmens selbst bzw. in der Zwischenschaltung eines im Ausland – vorzugsweise im Drittland -  ansässigen Tochterunternehmens. Werden solche Steuervermeidungsmodelle offen gelegt, entsteht stets die Frage, ob und welchen Bedingungen der Unternehmer sich dieser Gestaltungen bedienen kann, um einen Steuervorteil zu erlangen. In der Rechtssache Paul Newey musste sich der EuGH auf Vorlage eines englischen Gerichts genau mit dieser Frage beschäftigen.

Sachverhalt

Der Kläger, Paul Newey, war als im Vereinigten Königreich ansässiger Darlehnsvermittler tätig. Da seine Vermittlungsleistung – zutreffend – steuerfrei war, konnte er aus empfangenen Werbedienstleistungen den Vorsteuerabzug nicht geltend machen. Zur Vermeidung der sich hieraus ergebenden Definitivsteuerbelastung mit der nicht abziehbaren Vorsteuer gründete der Kläger die Alabaster Ltd. mit Sitz in Jersey. Jersey unterliegt nicht den Regelungen der MwStSystRL. Alabaster beschäftigte mindestens eine Vollzeitkraft und hatte ihre eigene Geschäftsführung und in Jersey ansässige natürliche Personen ohne unmittelbare Erfahrung im Bereich der Vermittlung. Der Kläger war an der Leistung von Alabaster nicht beteiligt.

Die Vermittlungsverträge wurden unmittelbar zwischen den Darlehnsgebern und Alabaster geschlossen, die Vermittlungsgebühr wurde nicht an den Kläger, sondern an Alabaster gezahlt. Allerdings bearbeitete Alabaster die Darlehnsanträge nicht selbst, sondern bediente sich hierfür der Dienste des Klägers auf der Grundlage eines Subunternehmervertrages. Die hiernach vertraglich geschuldeten Sachbearbeitungstätigkeiten wurden im Wesentlichen am Sitz des Klägers durch bei ihm angestellte Personen erbracht. Der Kläger war vertraglich ermächtigt, die Bedingungen der zwischen Alabaster und den Darlehnsgebern geschlossenen  Verträge auszuhandeln. Aus seiner Subunternehmertätigkeit für Alabaster erhielt der Kläger eine Provision in Höhe von zunächst 50%, später 60% der von Alabaster vereinnahmten Bruttoprovision zzgl. Kosten und Auslagen.

Tatsächlich nahmen die potentiellen Darlehnsnehmer unmittelbar mit den Angestellten des Klägers im Vereinigten Königreich Kontakt auf, die jeden Antrag bearbeiteten und die Anträge – so sie die Voraussetzungen für die Darlehnsgewährung erfüllten – Alabaster zur Bewilligung zusandten. Innerhalb einer Stunde war das Bewilligungsverfahren bei Alabaster abgeschlossen, eine Ablehnung fand nicht statt.

Die der Werbung dienenden Dienstleistungen kaufte Alabaster bei einer ebenfalls auf Jersey ansässigen Firma ein, die ihrerseits die Werbedienstleistungen bei im Vereinigten Königreich ansässigen Werbeagenturen einkaufte. Der Kläger durfte die eingekauften Werbedienstleistungen nicht nutzen, war aber befugt, die Werbemaßnahmen inhaltlich zu bewilligen. Hierzu fanden Treffen des Klägers mit den im Vereinigten Königreich ansässigen Werbefirmen im Vereinigten Königreich statt. Die dort erarbeiteten Vorschläge wurden der von Alabaster beauftragten Werbefirma auf Jersey unterbreitet, die stets der Empfehlung entsprechend ihre Dienstleistung erbrachte.

Die englische Finanzverwaltung sah sowohl die Darlehnsvermittlungsleistungen als vom Kläger im Vereinigten Königreich erbracht an – und nicht durch Alabaster mit Sitz in Jersey –als auch die Werbedienstleistungen direkt vom Kläger im Vereinigten Königreich bezogen.

Entscheidung

Die vom englischen Gericht vorgelegten insgesamt 10 Fragen hat der EuGH relativ knapp beschieden.  Letztlich reduzierte der EuGH seine Antwort auf die Frage, ob die am Leistungsaustausch beteiligten Parteien die für die Entstehung der Umsatzsteuer maßgebenden Vorgaben - Steuerpflichtiger und Leistungsempfänger – alleine durch eine, wenn auch tatsächlich vollzogene vertragliche Gestaltung beeinflussen können. Mit anderen Worten: war es dem Kläger erlaubt, durch ein vertragliches Konstrukt wie dem Vorliegenden, die Leistungserbringung auf die Alabaster zu verlagern, während er nur als Subunternehmer für Alabaster tätig wurde, obwohl letztlich – schon aufgrund des Know-Hows – nur der Kläger mit seinen Mitarbeitern die Leistung effektiv gegenüber Dritten erbringen konnte.

Der EuGH stellt hierzu zunächst darauf ab, dass die von den Parteien gewählte vertragliche Situation normalerweise die wirtschaftliche und geschäftliche Realität der zugrunde liegenden Transaktionen wiederspiegelt. Wenn allerdings die betreffenden vertraglichen Bestimmungen eine rein künstliche Gestaltung darstellen, die mit der wirtschaftlichen und geschäftlichen Realität der Transaktion nicht übereinstimmen, also nur zu dem Zweck der Erlangung eines Steuervorteils vorgenommen wurden, muss die umsatzsteuerliche Beurteilung von einer Lage ausgehen, die ohne die diese missbräuchliche Praxis darstellenden Transaktionen bestanden hätte.

Dies festzustellen, so der EuGH weiter, sei aber alleine Sache des vorlegenden Gerichts. In Anbetracht der wirtschaftlichen Realität der Geschäftsbeziehungen zwischen dem Kläger, Alabaster und den Darlehnsgebern einerseits sowie dem Kläger, Alabaster und der auf Jersey ansässigen Werbefirma andererseits will der EuGH im vorliegenden Fall aber nicht ausschließen, dass die tatsächliche Nutzung und Auswertung der in Rede stehenden Dienstleistungen tatsächlich im Vereinigten Königreich zugunsten des Klägers erfolgte.

Praxishinweis

Die Ausführungen des EuGH sind weder Fisch noch Fleisch, konnten es aber realistischer Weise angesichts der Vorlagefragen auch nicht sein. Zwar sind Steuergestaltungen zur Erlangung von Steuervorteilen nicht grundsätzlich ausgeschlossen, wie der EuGH bereits in der Rechtssache RBS (EuGH, Urt. v. 22.12.2012 – Rs. C-277/09 – RBS Deutschland Holdings GmbH und Weald Leasing (EuGH, Urt. v. 22.12.2012 – Rs. C-103/09 – Weald Leasing Ltd.) festgestellt hat. Voraussetzung ist aber stets, dass die getroffenen Vertragsbestimmungen nicht künstlich sind, sondern der wirtschaftlichen und geschäftlichen Realität der Transaktion entsprechen. Während der EuGH aber noch in den zuvor genannten Rechtssachen RBS und Weal Leasing selbst diese Frage beantwortet hat, hat er sie nunmehr in die alleinige Verantwortung der nationalen Gerichte gelegt. Damit gewinnt in Deutschland die Regelung in § 42 AO mit der Beweislastumkehrung – liegt eine unangemessene rechtliche Gestaltung vor, muss der Steuerpflichtige nachweisen, dass hierfür außersteuerliche Gründe maßgeblich waren – auch im Bereich der Umsatzsteuer aktuelle Bedeutung.