Erfordernis einer Rechnung für den Vorsteuerabzug / Vorsteuer-Vergütungsverfahren

Praxisproblem

Bei dem rumänischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um die Bedeutung einer Rechnung für den Vorsteuerabzug bzw. das Vorsteuer-Vergütungsverfahren und die Auslegung von Art. 167 und 178 MwStSystRL sowie von Art. 14 der RL 2008/9/EG. Im Wesentlichen ging es um die Bedeutung des Vorliegens einer gültigen Rechnung für die Erstattung von Vorsteuern im Vergütungsverfahren.

Sachverhalt

Die Klägerin, ein in Frankreich ansässiges Unternehmen, erwarb 2012 in Rumänien von einem dort ansässigen Lieferanten Produktionsgeräte. Die ihr vom Lieferanten hierfür in Rechnung gestellte rumänische MwSt machte die Klägerin im Wege des Vergütungsverfahrens als Vorsteuer gegenüber der rumänischen Finanzverwaltung geltend (Zeitraum 1.1. bis 31.12.2012). Aufgrund von Unstimmigkeiten in den von ihr eingereichten Unterlagen und Rechnungen lehnte die rumänische Finanzverwaltung die Erstattung der Vorsteuer jedoch ab. Die Klägerin informierte hierüber ihren Lieferanten, woraufhin dieser die Rechnungen zwar stornierte, aber erst 2015 neue Rechnungen ausstellte. Ausgehend von diesen neuen Rechnungen beantragte die Klägerin für den Zeitraum vom 1.8. bis 31.10.2015 erneut die Erstattung der MwSt. Auch diesen Antrag lehnte die rumänische Finanzverwaltung ab. Dies begründete sie damit, dass die geltend gemachten Vorsteuerbeträge in einem bereits abgelehnten Erstattungsantrag für einen früheren Zeitraum enthalten waren.

Die Klägerin war der Auffassung, dass für den Vorsteuerabzug nicht nur dessen materiell rechtliche Voraussetzungen gegeben sein müssten, sondern auch das Vorliegen einer gültigen Rechnung erforderlich sei. Im Hinblick auf das Vorsteuervergütungsverfahren folge hieraus, dass der Erstattungsantrag erst gestellt werden können, wenn eine wirksame Rechnung vorliege (2015).

Entscheidung

Der EuGH hat entschieden, dass die Art. 167 bis 171 und 178 MwStSystRL sowie die RL 2008/9 dahin auszulegen sind, dass ein Steuerpflichtiger, der nicht im Mitgliedstaat der Erstattung, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, den Anspruch auf Erstattung der MwSt, mit der eine Lieferung von Gegenständen belastet wurde, nicht geltend machen kann, wenn er keine Rechnung im Sinne der MwStSystRL über den Erwerb der betreffenden Gegenstände besitzt. Nur wenn ein Dokument so fehlerhaft ist, dass der nationalen Steuerverwaltung die zur Begründung eines Erstattungsantrags erforderlichen Angaben fehlen, kann davon ausgegangen werden, dass ein solches Dokument keine „Rechnung“ im Sinne der MwStSystRL ist.

Weiter hat der EuGH entschieden, dass die Art. 167 bis 171 und 178 MwStSystRL sowie Art. 14 Abs. 1 Buchst. a erste Alternative RL 2008/9 dahin auszulegen sind, dass sie der Ablehnung eines Antrags auf Erstattung der MwSt für einen bestimmten Erstattungszeitraum entgegenstehen, die allein damit begründet wird, dass der Mehrwertsteueranspruch in einem früheren Erstattungszeitraum entstanden ist, die MwSt aber erst in diesem bestimmten Zeitraum in Rechnung gestellt wurde.

Schließlich hat der EuGH entschieden, dass die einseitige Annullierung einer Rechnung durch einen Lieferer, nachdem der Mitgliedstaat der Erstattung eine Entscheidung erlassen hatte, mit der der auf diese Rechnung gestützte Antrag auf Vorsteuervergütung abgelehnt wurde, und obwohl diese Entscheidung bereits bestandskräftig geworden war, gefolgt von der Ausstellung einer neuen Rechnung über dieselben Lieferungen durch diesen Lieferer in einem späteren Erstattungszeitraum, ohne dass die Lieferungen in Frage gestellt würden, weder einen Einfluss auf das Bestehen des bereits geltend gemachten Anspruchs auf Vorsteuervergütung noch auf den Zeitraum hat, für den er geltend zu machen ist.

Praxishinweis

Das deutsche Recht ist von dem Urteil grundsätzlich betroffen. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 UStG ist jeder Unternehmer bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen zum Vorsteuerabzug berechtigt, auch wenn er in Deutschland keinen Sitz oder Betriebsstätte hat und dort auch keine Leistungen ausführt. Nach § 18 Abs. 9 UStG i.V.m. den §§ 59 bis 61a UStDV erfolgt die Vergütung der Vorsteuerbeträge an im Ausland ansässige Unternehmer unter bestimmten Voraussetzungen abweichend vom normalen Besteuerungsverfahren. Das Vorsteuer-Vergütungsverfahren an nicht im Mitgliedstaat der Erstattung der MwSt, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Unternehmen (Art. 171 Abs. 1 MwStSystRL) regelt die RL 2008/9/EG. Die Vorgaben dieser Richtlinie wurden durch § 61 UStDV in nationales Recht umgesetzt.

Die Bedeutung der Rechnung für den Vorsteuerabzug war in den vergangenen Jahren bereits mehrfach Gegenstand der Rechtsprechung von EuGH und BFH. Die sich aus dieser Rechtsprechung ergebenden Konsequenzen (eine Rechnung hat nur formale Bedeutung für den Vorsteuerabzug) werden seither im Schrifttum kontrovers diskutiert. Die Finanzverwaltung hat sich mit BMF-Schreiben v. 18.9.2020, BStBl I 2020, 976, zu den Auswirkungen dieser Rechtsprechung geäußert. Regelungen zur Bedeutung der Rechnung im Vorsteuer-Vergütungsverfahren sind darin nicht enthalten.

Über die wesentliche Frage der Bedeutung der Rechnung für den Vorsteuerabzug im Allgemeinen hinaus musste der EuGH im vorliegenden Verfahren erstmals zu konkreten verfahrensrechtlichen Fragen bezüglich des durch die RL 2008/9/EG geregelten Vorsteuer-Vergütungsverfahrens, die sich in diesem Zusammenhang ergeben, Stellung nehmen.

Besitz einer Rechnung über Leistungsbezug als Voraussetzung für Vorsteuervergütung – aber sehr weiter Rechnungsbegiff

Nach Art. 8 Abs. 2 Buchst. d RL 2008/9 muss der Antrag auf Mehrwertsteuererstattung für jeden Mitgliedstaat der Erstattung und für jede Rechnung oder jedes Einfuhrdokument „Datum und Nummer der Rechnung oder des Einfuhrdokuments“ enthalten. Der Erstattungsantrag gilt nach Art. 15 Abs. 1 Satz 2 RL 2008/9 nur dann als vorgelegt, wenn der Antragsteller alle u. a. in Art. 8 RL 2008/9 geforderten Angaben gemacht hat. Weiterhin kann der Mitgliedstaat der Erstattung nach Art. 10 Satz 1 RL verlangen, dass der Antragsteller im Sinne der RL 2008/9 zusammen mit dem Erstattungsantrag auf elektronischem Weg eine Kopie der Rechnung oder des Einfuhrdokuments einreicht, falls sich die Steuerbemessungsgrundlage auf einer Rechnung oder einem Einfuhrdokument auf mindestens 1 000 EUR oder den Gegenwert in der jeweiligen Landeswährung beläuft. Diese Aspekte veranschaulichen nach dem vorliegenden Urteil auch, dass der nicht im Mitgliedstaat der Erstattung, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerpflichtige die Rechnung über den Erwerb der betreffenden Gegenstände oder Dienstleistungen besitzen muss, um den Vorsteuervergütungsanspruch geltend machen zu können.

Nur dann, wenn ein Dokument so fehlerhaft ist, dass der nationalen Steuerverwaltung die zur Begründung eines Erstattungsantrags erforderlichen Angaben fehlen, kann nach dem vorliegenden Urteil davon ausgegangen werden, dass ein solches Dokument keine „Rechnung“ im Sinne der MwStSystRL ist, so dass der Erstattungsanspruch nicht geltend gemacht werden konnte, als der Steuerpflichtige in den Besitz dieses Dokuments gelangt ist. Der EuGH gibt insoweit aber leider keine Kriterien vor, wann ein fehlerhaftes Dokument als Nichtrechnung angesehen werden muss.

Deutlich wird allerdings, dass der Rechnungsbegriff sehr weit gefasst wird und viele Dokumente, welche bislang nicht als Rechnung betrachtet wurden nun als solche anzusehen sind.

Ein Vergütungsantrag kann nach dem vorliegenden Urteil nicht allein deshalb abgelehnt werden, weil der Vorsteueranspruch in einem bestimmten Erstattungszeitraum entstanden ist, die Steuer aber erst in einem späteren Erstattungszeitraum in Rechnung gestellt wurde. Dies ist konsequent, wenn (wie entschieden) die Vergütung den Besitz einer Rechnung voraussetzt, in der die zu vergütenden MwSt ausgewiesen ist.

Dennoch bleiben Fragen offen. Wenn Sie um Ihren Vorsteuerabzug kämpfen oder Unterstützung bei der Durchsetzung des Vorsteuerabzugs benötigen, so sprechen Sie uns gern an. Das USt-Team der AWB hilft Ihnen gern weiter.

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