Minderung der Bemessungsgrundlage/Rabatte bei Lieferungen von Arzneimitteln

Anmerkung zu EuGH, Urteil v. 06.10.2021, C-717/19 (Boehringer Ingelheim)

Praxisproblem

Bei dem ungarischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um die Minderung der Bemessungsrundlage bei Lieferungen von Arzneimittel an Großhändler aufgrund von Rabattzahlungen an eine staatliche Krankenkasse, die ihrerseits die Rabatte an Apotheken bei deren Arzneimittelverkauf zur Preisminderung auskehrt.

Sachverhalt

Die Klägerin betreibt ein pharmazeutischen Unternehmen und verkauft Arzneimittel an Großhändler, die diese wiederum an Apotheken weiterverkaufen. Die Apotheken verkaufen den Patienten die Medikamente zu einem durch einen Sozialversicherungszuschuss geminderten Preis. Der ungarische nationale Krankenversicherungsfonds (NEAK) als staatliche Krankenkasse vergütet den Apotheken nachträglich diesen Sozialversicherungszuschuss.

Auf der Grundlage eines zivilrechtlichen Vertrages mit dem NEAK verpflichtete sich die Klägerin (freiwillig; der Vertrag kann aber gewährleisten, dass für die von der Klägerin vertriebenen Arzneimittel ein Sozialversicherungszuschuss gewährt wird), an den NEAK für den durch die Sozialversicherung bezuschussten Verkauf dieser Medikamente Zahlungen – unter Verwendung eines Teils der aus dem Verkauf dieser Medikamente stammenden Einnahmen – zu leisten. Über die Zahlungen der Klägerin an den NEAK wurde keine Rechnung ausgestellt.

Mit dem Abschluss der Verträge verzichtete die Klägerin zugleich auf einen Teil der für die Medikamente vom Großhändler erhaltenen Gegenleistung (also ihres Umsatzes), da sie die Zahlung an den NEAK unter Verwendung dieses Betrages bewirkte.

Unter Berufung auf ihre Zahlungen an den NEAK minderte die Klägerin im Nachhinein die Steuerbemessungsgrundlage. Dem wiedersprach die ungarische Steuerbehörde.

Das vorlegende Gericht sah Ähnlichkeiten zu der EuGH-Rechtssache C-462/16, es unterscheide sich jedoch dahingehend, dass in Ungarn die Zahlungen an den NEAK als staatliche Krankenkasse nicht auf gesetzlichen Rechtsvorschriften beruhen.

Entscheidung

Der EuGH hat zur Minderung der Bemessungsgrundlage entschieden, dass Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der ein pharmazeutisches Unternehmen von seiner Bemessungsgrundlage für die MwSt deshalb nicht den Teil seines Umsatzes aus dem Verkauf von Arzneimitteln, die von dem staatlichen Krankenversicherungsträger bezuschusst werden, abziehen kann, den es aufgrund eines zwischen diesem Träger und dem genannten Unternehmen geschlossenen Vertrags an diesen Träger zahlt, weil die danach gezahlten Beträge nicht auf der Grundlage von zuvor von diesem Unternehmen im Rahmen seiner Geschäftspolitik festgelegten Bedingungen bestimmt worden sind und diese Zahlungen nicht zur Absatzförderung geleistet worden sind. Nach dem Urteil kommt es für die Minderung der Bemessungsgrundlage nur darauf an, dass der Steuerpflichtige nicht die gesamte Gegenleistung oder einen Teil davon erhält. Im vorliegenden Fall verfügte Boehringer Ingelheim nicht über die gesamte Gegenleistung für die verkauften Arzneimittel, sondern nach Abzug der an den staatlichen Krankenversicherungsträger geleisteten Zahlungen nur über einen Teil des von den Großhändlern, an die sie ihre Arzneimittel verkauft hat, gezahlten Endbetrags.

Weiter hat der EuGH (unter Bezugnahme auf sein Urteil v. 26.1.2012, C-588/10, Kraft Foods Polska) entschieden, dass Art. 90 Abs. 1 und Art. 273 MwStSystRL dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach die nachträgliche Verminderung der Bemessungsgrundlage für die MwSt voraussetzt, dass der erstattungsberechtigte Steuerpflichtige über eine Rechnung verfügt, die auf seinen Namen lautet und den zur Erstattung berechtigenden Umsatz nachweist, selbst wenn eine solche Rechnung nicht ausgestellt wurde und dieser Umsatz auf andere Weise nachgewiesen werden kann.

Praxishinweis

Das deutsche Recht ist von dem Urteil betroffen. Der EuGH hatte bereits in seinem Urteil v. 20.12.2017, C-462/17, Boehringer Ingelheim Pharma, entschieden, dass Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL dahin auszulegen ist, dass der Abschlag, den ein pharmazeutisches Unternehmen aufgrund einer nationalen Gesetzesregelung einem Unternehmen der privaten Krankenversicherung gewährt, zu einer Minderung der Bemessungsgrundlage für das Pharma-Unternehmen führt, wenn es Arzneimittel über Großhändler an Apotheken liefert, die die Arzneimittel an privat Krankenversicherte liefern, denen von der privaten Krankenversicherung die Kosten für den Bezug der Arzneimittel erstattet werden. Die ungarische Zuschussregelung im Ausgangsverfahren ähnelt der deutschen Subventionsregelung für die private Krankenversicherung, unterscheidet sich von dieser jedoch dadurch, dass in Ungarn die Zahlungen an den NEAK als staatliche Krankenkasse nicht auf gesetzlichen Rechtsvorschriften beruhen, sondern auf einem freiwillig von den Parteien geschlossenen zivilrechtlichen Vertrag. Nach dem vorliegenden Urteil führt aber auch dies zu einer Minderung der Bemessungsgrundlage der Arzneimittellieferungen an die Großhändler.

Ihre Ansprechpartner