Vorsteuerabzug: Zuordnung von Gegenständen zum Unternehmensvermögen!?

Anmerkung zu EuGH, Urteil v. 14.10.2021 vom 2021, verb. Rs C-45/20 und C-46/20 (Finanzamt N)

Sachverhalt

Bei dem Vorabentscheidungsersuchen des BFH v. 18.9.2019, XI R 3/19, Rs. C-45/20, ging es um die Frage, ob ein Unternehmer Vorsteuer für ein Büro in einem ansonsten nicht unternehmerisch genutzten Gebäude geltend machen kann, wenn die in Abschn. 15.2c Abs. 15 Satz 5, Abs. 18 Satz 5 bzw. Abs. 19 Satz 1 UStAE normierte Ausschlussfrist für die Dokumentation der Zuordnungsentscheidung bei bestehendem Zuordnungswahlrecht überschritten wurde.

Bei dem Vorabentscheidungsersuchen des BFH v. 18.9.2020, XI R 7/19, Rs. C-46/20, ging es wie in der Rechtssache C-45/20 um die Frage, ob ein Unternehmer Vorsteuer geltend machen kann, wenn die in Abschn. 15.2c Abs. 15 Satz 5, Abs. 18 Satz 5 bzw. Abs. 19 Satz 1 UStAE normierte Ausschlussfrist für die Dokumentation der Zuordnungsentscheidung bei bestehendem Zuordnungswahlrecht überschritten wurde.

Der Kläger in der Rs. C-45/20 betreibt als Einzelunternehmer einen Gerüstbaubetrieb. Im Jahr 2014 plante er die Errichtung eines Einfamilienhauses, in dem laut Grundriss im Erdgeschoss ein 16,57 m2 großes Zimmer „Arbeiten“ errichtet werden sollte. In der im September 2016 eingegangenen Umsatzsteuer-Jahreserklärung, nicht aber in den zuvor eingereichten Voranmeldungen, machte der Kläger für dieses Zimmer „Arbeiten“ anteilig Vorsteuer geltend. Nachdem das FA den anteiligen Vorsteuerabzug für das Zimmer versagt hatte, wandte sich der Kläger nach erfolglosem Einspruch im Klageweg gegen die Festsetzung. Er machte geltend, dass die in der Bauzeichnung vorgenommene Eintragung des Wortes „Arbeiten“ nichts anderes bedeuten könne als die Bestimmung dieses Raumes als das Büro des Unternehmens. Außerdem werde Abschn. 15.2c Abs. 16 UStAE bei der Anwendung des UStG seitens der Verwaltung eine Verbindlichkeit zugeschrieben, die der einer gesetzlichen Vorschrift gleichkomme. Das Versagen des Vorsteueranspruchs bedeute die Versagung eines Rechts und eine Einengung des gesetzlich vorgeschriebenen Anwendungsrahmens, welche einer Korrektur bedürfe. Das Sächsische FG wies die Klage im ersten Rechtszug ab (Urteil v. 19.3.2018, 5 K 249/18).

In der Rs. C-46/20 ging es um den Vorsteuerabzug aus der Errichtung einer Photovoltaikanlage. Der Kläger erwarb im Jahr 2014 (Streitjahr) eine Photovoltaikanlage. Den erzeugten Strom verbrauchte er teilweise selbst, teilweise speiste er ihn in ein Stromnetz bei einem Energieversorger ein. Der Einspeisevertrag wurde im Streitjahr abgeschlossen und sah eine Vergütung zuzüglich USt vor. Der Kläger machte aus der Lieferung und Installation der Photovoltaikanlage den Vorsteuerabzug geltend. Das FA war der Ansicht dass der Vorsteuerabzug nicht gewährt werden könne. Der Kläger habe eine unternehmensbezogene Zuordnungsentscheidung nicht rechtzeitig (bis zum 31. Mai des Folgejahres) getroffen.

Für den BFH war insbesondere im Hinblick auf die Entscheidung des EuGH v. 25.7.2018, C-140/17, Gmina Ryjewo, zweifelhaft i.S. des Art. 267 Abs. 3 AEUV geworden, ob die bislang von der Rechtsprechung entwickelten und angewendeten Kriterien zur Ausübung des Zuordnungswahlrechts mit Unionsrecht vereinbar sind. Die erste Vorlagefrage sollte klären, ob ein Mitgliedstaat eine Ausschlussfrist für die Zuordnung zum Unternehmensvermögen vorsehen darf.

Zudem war für den BFH fraglich, ob die in der Entscheidung Gmina Ryjewo getroffenen Aussagen auch für den Fall eines privatrechtlichen Unternehmers, der ein Zuordnungswahlrecht hat, gelten, während ein solches Zuordnungswahlrecht bei nichtwirtschaftlicher Tätigkeit nicht besteht.

Entscheidung

Der EuGH hat entschieden, dass Art. 168 Buchst. a i.V.m. Art. 167 MwStSystRL dahin auszulegen ist, dass er nationalen Bestimmungen nicht entgegensteht, die von einem nationalen Gericht so ausgelegt werden, dass die zuständige nationale Steuerverwaltung den Vorsteuerabzug in Bezug auf einen Gegenstand unter der Annahme, dass dieser dem Privatvermögen des Steuerpflichtigen zugewiesen wurde, verweigern darf, wenn ein Steuerpflichtiger ein Wahlrecht hat, ob er einen Gegenstand dem Vermögen seines Unternehmens zuordnet, und die Steuerverwaltung nicht spätestens bis zum Ablauf der gesetzlichen Frist für die Abgabe der Umsatzsteuer-Jahreserklärung in die Lage versetzt wurde, aufgrund einer ausdrücklichen Entscheidung oder hinreichender Anhaltspunkte eine solche Zuordnung des Gegenstands festzustellen, es sei denn, die besonderen rechtlichen Modalitäten für die Ausübung dieser Befugnis lassen erkennen, dass sie nicht mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist.


Praxishinweis

Grundsätzliche Bestätigung bisheriger BFH-Rechtsprechung

Mit der Entscheidung ist die bisherige Rechtsprechung des BFH zum Zuordnungswahlrecht prinzipiell bestätigt worden. Bei Bezug eines einheitlichen Gegenstands, der gemischt, also für unternehmerische und private Zwecke, verwendet wird oder werden soll, steht nach der Rechtsprechung des BFH und des EuGH dem Unternehmer ein Zuordnungswahlrecht zu. Er kann z.B. ein Grundstück in vollem Umfang in seinem Privatvermögen belassen, insgesamt seinem Unternehmen zuordnen, oder entsprechend dem unternehmerischen Nutzungsanteil seinem Unternehmen zuordnen. Gibt es keine Beweisanzeichen für eine Zuordnung zum Unternehmen, kann diese nicht unterstellt werden (ständige Rechtsprechung des BFH). Dies gilt auch bei beabsichtigter oder tatsächlicher unternehmerischer Nutzung, denn in einem solchen Fall steht es dem Unternehmer gleichwohl frei, den Gegenstand in vollem Umfang seinem nichtunternehmerischen Bereich zuzuordnen und damit dem Mehrwertsteuersystem zu entziehen. Aus Gründen der Praktikabilität kann nach der Rechtsprechung des BFH gleichwohl die Zuordnungsentscheidung spätestens und mit endgültiger Wirkung in einer "zeitnah" erstellten Umsatzsteuererklärung (§ 18 Abs. 3 UStG) für das Jahr, in das der Leistungsbezug fällt, nach außen dokumentiert werden. Den Zeitpunkt der „zeitnah“ zu treffenden Zuordnungsentscheidung hat der BFH durch Bezugnahme auf den Ablauf der gesetzlichen Abgabefrist für Steuererklärungen (§ 149 Abs. 2 Satz 1 AO; im Streitjahr: 31. Mai des Folgejahres, jetzt: 31. Juli des Folgejahres) konkretisiert.

Wichtig an dem Urteil ist zudem, dass der EuGH noch einmal auf seine Entscheidung v. 25.7.2018, C-140/17, Gmina Ryjewo abgehoben hat. In Bezug auf die Beurteilung, ob ein Unternehmer beim Erwerb eines Gegenstands in seiner Eigenschaft als Unternehmer gehandelt hat, hatte der EuGH in dieser Entscheidung bereits Folgendes klargestellt: Auch wenn eine eindeutige und ausdrückliche Bekundung der Absicht, einen Gegenstand bei seinem Erwerb einer wirtschaftlichen Verwendung zuzuordnen, ausreichend sein kann, um den Schluss zu ziehen, dass der Gegenstand von dem als solchem handelnden Unternehmer erworben wurde, schließt doch das Fehlen einer solchen Erklärung nicht aus, dass diese Absicht implizit zum Ausdruck kommen kann. Der Umstand, dass der EuGH diese Klarstellung in Beantwortung einer Vorlagefrage in einer Rechtssache vorgenommen hat, die das Recht betraf, den Abzug der Mehrwertsteuer zu berichtigen, die eine als Unternehmer registrierte Einrichtung des öffentlichen Rechts (Gemeinde) auf den Erwerb einer Immobilie entrichtet hatte, wirkt sich nach der jetzigen Entscheidung entgegen dem Vorbringen des FA nicht auf ihre Relevanz im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten wie die aus, um die es in den Ausgangsverfahren ging. Diese Klarstellung gilt nach der vorliegenden Entscheidung nämlich für alle Fälle, in denen ein Gegenstand entsprechend dem vom EuGH entwickelten weiten Verständnis des Begriffs eines Erwerbs „als Steuerpflichtiger“ der wirtschaftlichen Tätigkeit eines Unternehmers zugeordnet wird. Nach der MwStSystRL setzt die Gewährung eines Rechts auf Vorsteuerabzug folglich nicht voraus, dass eine ausdrückliche Entscheidung über die Zuordnung getroffen und mitgeteilt wird.

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