Organschaft, finanzielle Eingliederung, Personengesellschaft als Organgesellschaft

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 15.04.2021, C-868/19 (M-GmbH)

Praxisproblem

Der EuGH musste auf Vorlageersuchen des FG Berlin-Brandenburg entscheiden, ob bei einer Organschaft die Regelung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG zutreffend ist, soweit durch diese einer Personengesellschaft (hier: einer GmbH & Co. KG), bei der Gesellschafter neben dem Organträger nicht nur Personen sind, die nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind, verwehrt ist, Organgesellschaft im Rahmen einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft zu sein.

Sachverhalt

Das FG hält es in dem Verfahren für ernstlich zweifelhaft, dass die finanzielle Eingliederung einer Personengesellschaft (GmbH & Co. KG), an der auch Personen (hier: natürliche Personen) beteiligt sind, die nicht nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert sind, grds. ausscheidet. Das FG lehnte diesbezüglich die engere Auffassung des V. Senats im BFH-Urteil v. 02.12.2015, V R 25/13, ab.

Gegenstand des Verfahrens war eine GmbH & Co. KG (KG) als streitige Organgesellschaft. Gesellschafter der KG waren im streitigen Besteuerungszeitraum eine Komplementär-GmbH (A) sowie als Kommanditisten eine GbR (B), drei natürliche Personen sowie eine GmbH (C) als möglicher Organträger. Laut Gesellschaftsvertrag besaß jeder Gesellschafter, unabhängig von der Höhe der Pflichteinlagen, jeweils eine Stimme. Hiervon abweichend besaß die C sechs Stimmen. Beschlüsse der Gesellschaft wurden grds. mit einfacher Mehrheit gefasst. Hiervon ausgenommen waren Beschlüsse über den Ausschluss und die Aufnahme von Gesellschaftern sowie über eine Änderung des Gesellschaftsvertrages. A und C handelten im Streitjahr durch denselben Geschäftsführer. Darüber hinaus bestanden umfangreiche Leistungsbeziehungen zwischen der KG und C. Die wirtschaftliche und die organisatorische Eingliederung wurden als unstrittig beurteilt.

Entscheidung

Der EuGH hat (mit Blick auf seine bisherige Organschaftsrechtsprechung nicht überraschend) entschieden (das Urteil ist von einer bloß dreiköpfigen Kammer des EuGH ergangen), Art. 11 MwStSystRL steht einer nationalen Regelung wie der des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG entgegen, die die Möglichkeit für eine Personengesellschaft, zusammen mit dem Unternehmen des Organträgers eine Organschaft zu bilden, davon abhängig macht, dass Gesellschafter der Personengesellschaft neben dem Organträger nur Personen sind, die in dieses Unternehmen finanziell eingegliedert sind.

Praxishinweis

Die Frage, ob das Bestehen einer engen Verbindung durch finanzielle Beziehungen i. S. v. Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL im Fall einer Personengesellschaft verlangt, dass deren Gesellschafter neben dem Organträger zwangsläufig in finanzieller Hinsicht in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert sind, hat der EuGH verneint. Die Voraussetzung des Vorliegens einer engen Verbindung durch finanzielle Beziehungen darf nicht restriktiv ausgelegt werden. Der Organträger konnte nach Auffassung des EuGH seinen Willen bei der KG durch mehrheitlich gefasste Beschlüsse durchzusetzen, so dass das Bestehen enger Verbindungen durch finanzielle Beziehungen vermutet werden könne. Der bloße Umstand, dass die Gesellschafter von der KG theoretisch mittels mündlicher Vereinbarungen den Gesellschaftsvertrag so ändern konnten, dass Beschlüsse künftig einstimmig zu fassen waren, reiche nicht aus, um diese Vermutung zu entkräften.

Das Urteil widerspricht der Auslegung von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG durch Abschn. 2.8 Abs. 5a UStAE und der darin übernommenen Auffassung des V. Senats des BFH. Nach dem EuGH-Urteil kann sich die finanzielle Eingliederung einer Personengesellschaft aus der Möglichkeit der Willensdurchsetzung des Organträgers bei der Personengesellschaft ergeben; damit kann die finanzielle Eingliederung Annex der organisatorischen Eingliederung sein. Es bleibt abzuwarten, wie die Verwaltung (und ggf. der deutsche Gesetzgeber) auf die Entscheidung reagiert. Ein unmittelbares Berufungsrecht auf das EuGH-Urteil erscheint (auch mit Blick auf das EuGH-Urteil v. 16.07.2015, C-108/14 und 109/14, Larentia und Minerva, in dem der EuGH die unmittelbare Berufbarkeit auf Art.Abs. 4 Unterabs. 2 der 6. EG-Richtlinie, jetzt Art. 11 MwStSystRL, ausdrücklich verneint hatte)nicht gegeben, weil das Vorliegen der finanziellen Eingliederung einer Personengesellschaft in einen Organkreis gemessen an den Entscheidungsgründen sehr stark von den Umständen des Einzelfalls, d. h. insbes. der Ausprägung der organisatorischen Eingliederung abhängt.

Diese EuGH Entscheidung ist ein Wendepunkt in der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft und für alle Unternehmen, welche Personengesellschaften zum potentiellen Organkreis zählen besonders wichtig. Auch wird eine sog. Abschirmwirkung der Personengesellschaft zur Beendigung/zum Ausschluss eines umsatzsteuerrechtlichen Organkreises betroffen sein. Die Auswirkungen auf die derzeitige Verwaltungsauffassung liegen auf Hand.

Die Entscheidung verdeutlicht einmal mehr, dass in Deutschland der Gesetzgeber mit einer (in Entwürfen bereits diskutierten) neuen Umsatzsteuergruppenregelung die bisherigen Organschaftsregelungen ablösen sollte, um Rechtsklarheit zu gewährleisten.

Aktuell ist allen betroffenen Unternehmen anzuraten, die Auswirkungen der Entscheidung auf Ihre Situation kritisch zu prüfen. Besonders vor dem Hintergrund, dass Vertrauensschutz nach § 176 AO bei EuGH-Urteilen umstritten ist, sollte kurzfristig Lösungen gefunden werden. Das USt-Team der AWB hilft Ihnen gern weiter. Sprechen Sie uns einfach an.

Link

EuGH Urt. v. 15.04.2021, C-868/19 (M-GmbH)

Quelle

EUR-Lex

 

 

 

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