EuGH zum innergemeinschaftlichen Verbringen

Anmerkung zu EuGH, Urt. v. 06.03.2013, C-606/12 und C-607/12, Dresser Rand SA

Praxisproblem

Bei dem Verfahren ging es um das innergemeinschaftliche Verbringen eines Gegenstandes nach Art. 17 MwStSystRL. Gegenstand des Rechtsstreits war insbesondere die Vereinbarkeit einer italienischen Regelung mit Art. 17 Abs. 2 Buchst. f MwStSystRL.

Nach Art. 17 Abs. 2 Buchst. f MwStSystRL gilt nicht als Verbringen in einen anderen Mitgliedstaat die Versendung oder Beförderung eines Gegenstandes zum Zwecke der „Erbringung einer Dienstleistung an den Steuerpflichtigen, die in Arbeiten an diesem Gegenstand besteht, die im Gebiet des Mitgliedstaats der Beendigung der Versendung oder Beförderung des Gegenstandes tatsächlich ausgeführt wird, sofern der Gegenstand nach der Bearbeitung wieder an den Steuerpflichtigen in dem Mitgliedstaat zurückgesandt wird, von dem aus er ursprünglich versandt oder befördert worden war“. Die Bedingung der Rücksendung der Gegenstände in den Ausgangsstaat ist in der entsprechenden italienischen Regelung nicht enthalten.

Sachverhalt

Die Klägerin stellt industrielle Erdgaskompressoren her und befördert diese u.a. aus Produktionsstätten in anderen EU-Mitgliedstaaten zunächst nach Italien. Dort werden die Kompressoren von italienischen Verarbeitern nach Prüfung der Konformität mit von diesen hergestellten Gegenständen (mechanische und elektronische Teile) zusammengefügt und im Namen und für Rechnung der Klägerin an Kunden aus dem Inland sowie der EU und Drittstaaten veräußert.

Die Beförderung der Kompressoren aus EU-Staaten nach Italien behandelte die Klägerin (unter Einschaltung eines Steuervertreters) als innergemeinschaftliches Verbringen i.S.d. Art. 17 Abs. 1 MwStSystRL. Die anschließende Veräußerung der zusammengesetzten Kompressoren an Kunden aus EU-Staaten behandelte sie als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung.

Dies wurde von den italienischen Steuerbehörden beanstandet. Die italienischen Verarbeiter erbrächten keine Lieferungen, sondern Dienstleistungen in Form von Veredelungsvorgängen an den Kompressoren. Damit liege hinsichtlich der Beförderung nach Italien (nach den italienischen Regelungen) kein Fall des innergemeinschaftlichen Verbringens vor. Dementsprechend sei auch die Veräußerung an EU-Kunden keine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung.

Nach Auffassung der Klägerin war der Ausschluss des Verbringungstatbestandes nach Art. 17 Abs. 2 Buchst. f MwStSystRL – entgegen der italienischen Regelung – schon deshalb nicht einschlägig, weil die „verarbeiteten“ Kompressoren nicht in den Mitgliedstaat zurückgeführt wurden, aus dem sie gekommen waren.

Vor diesem Hintergrund fragte das vorlegende Gericht zum einen nach der Vereinbarkeit der italienischen Regelung mit Art. 17 Abs. 2 Buchst. f MwStSystRL. Weiterhin fragte das Gericht, ob unter den Begriff „Arbeiten an diesem Gegenstand“ in Art. 17 Abs. 2 Buchst. f MwStSystRL auch ein Umsatz fallen kann, der darin besteht, dass Gegenstände von einem Mitgliedstaat in das italienische Hoheitsgebiet verbracht werden, um zu prüfen, ob sie sich mit anderen im Inland erworbenen Gegenständen zusammenfügen lassen, ohne dass irgendein Eingriff an den nach Italien eingeführten Gegenständen vorgenommen wird, und ob es dabei von Nutzen ist, die Art der zwischen dem italienischen Verarbeiter und der Klägerin erfolgten Umsätze zu beurteilen.

Entscheidung

Zu dem in Art. 17 Abs. 2 Buchst. f MwStSystRL geregelten Kriterium der Zurücksendung hat der EuGH entschieden, dass die Anwendung dieser Vorschrift nach ihrem Wortlaut ausdrücklich an die Voraussetzung geknüpft ist, dass der Gegenstand in seinen Ursprungsmitgliedstaat zurückgesandt wird. Weiter weist der EuGH darauf hin, dass die Vorschrift eine abschließende Liste von Ausnahmefällen zum Verbringenstatbestand enthält, die eng auszulegen sind. Schließlich verweist der EuGH auf das Ziel des Verbringenstatbestandes, die Steuereinnahmen auf den Mitgliedstaat des Endverbrauchs zu verlagern.

Danach ist Art. 17 Abs. 2 Buchst. f MwStSystRL dahin auszulegen, dass es nur zulässig ist, das Verbringen eines Gegenstandes in einen anderen Mitgliedstaat nicht als innergemeinschaftliche Lieferung zu qualifizieren, soweit dieser Gegenstand vorübergehend in diesem Mitgliedstaat bleibt und danach in den Ursprungsmitgliedstaat zurückgesandt werden soll.

Die erste Vorlagefrage, die sich auf den Begriff der „Arbeiten an diesem Gegenstand“ bezog, bedurfte keiner Beantwortung mehr, da sich aus dem Vorlageersuchen ergab, dass die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Gegenstände nicht in den Ursprungsmitgliedstaat zurückgesandt wurden.

Praxishinweis

Die zweite Vorlagefrage bezog sich speziell auf die italienische Regelung, mit der offenbar Art. 17 Abs. 2 Buchst. f MwStSystRL nicht vollständig in italienisches Recht umgesetzt wurde.

Die erste Vorlagefrage erschien zum einen missverständlich, da für die Frage, ob „Arbeiten an diesem Gegenstand“ i.S.d. Art. 17 Abs. 2 Buchst. f MwStSystRL erbracht wurden, nicht allein das Verbringen zum Zwecke einer Konformitätsprüfung maßgebend ist. Nach dem Sachverhalt war vielmehr strittig, wie die Leistungen der italienischen Verarbeiter (Zusammensetzen der Kompressoren mit anderen Gegenständen) zu beurteilen sind. Zum anderen handelte es sich hier um eine Frage der Beweiswürdigung, die in die Zuständigkeit der nationalen Gerichte fällt. Es ist daher folgerichtig, dass der EuGH zunächst auf die zweite Vorlagefrage einging und die erste Vorlagefrage keiner Antwort mehr bedurfte.

Die deutsche Rechtslage steht nicht vollständig im Einklang mit dem vorliegenden Urteil. Art. 17 Abs. 2 Buchst. f MwStSystRL ist nicht im UStG unmittelbar umgesetzt. Nach dem Wortlaut des § 3 Abs. 1a i.V.m. § 6a Abs. 2 bzw. § 1a Abs. 2 UStG ist das Verbringen zu einer nur vorübergehenden Verwendung zwar von der Liefer- und Erwerbsfiktion ausgenommen. Die Ausnahmeregelung ist jedoch unter Beachtung von Art. 17 MwStSystRL auszulegen. Insoweit ist die Regelung in Abschnitt 1a.2 Abs. 10 UStAE, die die Fälle der Art nach vorübergehenden Verwendung regelt, nicht vollständig deckungsgleich mit dem vorliegenden EuGH-Urteil. In dem Beispiel 1 in Abschnitt 1a.2 Abs. 1 Nr. 10 UStAE dürfte das Verbringen der Baumaterialien zur Errichtung eines Hotels in einem anderen Mitgliedstaat einer innergemeinschaftlichen Lieferung gleichzustellen sein, weil die Baumaterialien nicht wieder in den Ausgangsstaat zurückgelangen. Auch das Verbringen des Baukrans steht einer innergemeinschaftlichen Lieferung gleich, wenn nicht ein Fall des Art. 17 Abs. 2 Buchst. h MwStSystRL (vorübergehende Verwendung während eines Zeitraums von höchstens 24 Monaten) vorliegt. In diesen Fällen der Werklieferung liegt eventuell keine Montagelieferung i.S.d. Art. 17 Abs. 2 Buchst. b MwStSystRL vor und auch keine sonstige Leistung i.S.d. Art. 17 Abs. 2 Buchst. g MwStSystRL. In Abschn. 1a.2 Abs. 10 Nr. 3 UStAE (Verbringen eines Gegenstandes zum Zwecke seiner Reparatur) müsste als zusätzliche Voraussetzung geregelt sein, das der reparierte Gegenstand wieder in den Ausgangsmitgliedstaat zurückgelangt (Fall des Art. 17 Abs. 2 Buchst. f MwStSystRL).