EuGH zum Vorsteuerabzug einer Anzahlung bei fehlender Leistungserbringung

Anmerkung zu EuGH, Urt. v. 13.03.2014, C-107/13, FIRIN OOD

Praxisproblem

In Fällen von Anzahlungen auf künftige Leistungen ist der Vorsteuerabzug möglich, wenn eine ordnungsgemäße Anzahlungsrechnung vorliegt und die Zahlung geleistet worden ist. Fraglich in dem vorliegenden Verfahren war, ob ein Vorsteuerabzug in dem Fall, dass die angezahlte Leistung nicht zustande kommt, auch dann zu berichtigen ist, wenn der Zahlungsempfänger die Anzahlung nicht zurückgibt.

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine Gesellschaft, die Brot und Konditorwaren herstellt und damit handelt. Mit einer verbundenen Gesellschaft schloss sie einen Kaufvertrag über die Lieferung von Weizen und machte aus dem im Voraus bezahlten Preis den Vorsteuerabzug geltend. Die Lieferantin entrichtete die auf die Vorauszahlung entrichtete Mehrwertsteuer (MwSt) nicht. Eine Lieferung erfolgte nicht, vielmehr wurde die Lieferantin von Amts wegen abgemeldet. Es erfolgte weder eine Auflösung des Liefervertrages noch wurde der Vorauszahlungsbetrag mittels einer Gutschrift storniert. Die Steuerbehörden stellten allerdings fest, dass die geleistete Vorauszahlung über einen vermeintlichen Darlehensvertrag und eine zusätzliche Kapitalanlage über verbundene Unternehmen an die Klägerin zurückgeflossen war.

Die Steuerbehörden versagten der Klägerin den Vorsteuerabzug wegen fehlender Leistungserbringung. Auch handele es sich bei dem Liefervertrag um einen Scheinvertrag, und die Klägerin habe gewusst, dass die MwSt unbezahlt bleiben werde. Im Ergebnis machte die Steuerbehörde damit wohl eine – nach dem BG-UStG vorgesehene (und auf Art. 205 MwStSystRL beruhende) – gesamtschuldnerische Inanspruchnahme wegen Mehrwertsteuermissbrauch geltend.

Vor diesem Hintergrund fragte das vorlegende Gericht, ob der Vorsteuerabzug aus einer geleisteten Vorauszahlung in Fällen wie dem des Ausgangsverfahrens wegen fehlender Leistungserbringung zum Zeitpunkt seiner Ausübung versagt werden kann und ob es hierfür von Bedeutung ist, dass eine Rechnungsberichtigung erfolgt. Weiterhin wollte das vorlegende Gericht wissen, ob einem Steuerpflichtigen der Vorsteuerabzug wegen einer auf nationalem Recht beruhenden Inanspruchnahme für Steuerschulden einer anderen Person versagt werden kann. Ferner fragte das Gericht hilfsweise nach der Vereinbarkeit der nationalen Haftungsregelung – insbesondere im Hinblick auf darin formulierte gesetzliche Vermutungen – mit Art. 205 MwStSystRL.

Entscheidung

Die vom vorlegenden Gericht zur gesamtschuldnerischen Haftung nach Art. 205 MwStSystRL aufgeworfenen Fragen hat der EuGH für unzulässig erklärt, da sie in keinem Zusammenhang zu dem Ausgangsverfahren stünden. Dies entspricht den Schlussanträgen der Generalanwältin vom 19.12.2013, in denen betont wird, dass das Recht auf Vorsteuerabzug und die gesamtschuldnerische Haftung eines Steuerpflichtigen für die Steuerschuld eines anderen gem. Art. 205 MwStSystRL streng zu trennen sind.

Zur Entstehung des Rechts auf Vorsteuerabzug bei einer Anzahlung verweist der EuGH in seinem Urteil zunächst auf seine Rechtsprechung zur Steuerentstehung bei Anzahlungen (Art. 65 MwStSystRL). Danach handelt es sich um eine Ausnahmeregelung, die eng auszulegen ist. Alle maßgeblichen Elemente des Steuertatbestandes – insbesondere die Gegenstände oder Dienstleistungen – müssen zum Zeitpunkt der Anzahlung genau bestimmt sein.

Der Eintritt des Steuertatbestandes sei zum Zeitpunkt der Anzahlung jedoch unsicher und Art. 65 MwStSystRL damit nicht anwendbar, wenn ein betrügerisches Verhalten vorliegt. Hier verweist der EuGH auf seine Rechtsprechung zur Versagung des Vorsteuerabzugs bei Beteiligung an einem MwSt-Betrug und die Prüfungszuständigkeit des vorlegenden Gerichts.

Die grundsätzliche Frage, ob der Vorsteuerabzug aus Anzahlungen gem. Art. 185 Abs. 1 MwStSystRL zu berichtigen ist, wenn die Leistung letztlich nicht bewirkt wird, bejaht – wie bereits die Generalanwältin – auch der EuGH. Dies gelte auch dann, wenn der Lieferer zur Entrichtung der MwSt verpflichtet bleiben sollte und die Anzahlung nicht zurückgezahlt haben sollte.

Nach dem Urteil gebietet die MwStSystRL keine Gleichbehandlung der beteiligten Wirtschaftsteilnehmer. Zum einen schuldet der Aussteller einer Rechnung die darin ausgewiesene MwSt gem. Art. 203 MwStSystRL auch, wenn kein steuerpflichtiger Umsatz vorliegt. Zum anderen ist die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts nach Art. 63 i.V.m. Art. 167 MwStSystRL auf die Steuern beschränkt, die auf einen steuerpflichtigen Umsatz entfallen. Der Grundsatz der steuerlichen Neutralität werde durch die von den Mitgliedstaaten vorzusehende Möglichkeit der Rechnungsberichtigung gewahrt.

Hinsichtlich der Anzahlungsbesteuerung beim (potenziellen) Leistungserbringer verweist der EuGH darauf, dass die Bemessungsgrundlage nicht nach Art. 65 i.V.m. 90 und 193 MwStSystRL gemindert werden kann, solange die Anzahlung nicht zurückgezahlt worden ist. Die fehlende Berichtigung der geschuldeten MwSt stellt das Recht der Steuerverwaltung auf Rückforderung des Vorsteuerabzugs indes nicht in Frage.

Damit bestätigt der EuGH die Würdigung der Generalanwältin, wonach die Berichtigung der Bemessungsgrundlage nach Art. 90 MwStSystRL und die Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach den Art. 184-186 MwStSystRL unterschiedlichen Voraussetzungen unterliegen.

Praxishinweis

Die Grundsätze zum Vorsteuerabzug aus einer Vorauszahlung bei Nichterbringung der Leistung ergeben sich aus den Regelungen der MwStSystRL und der EuGH-Rechtsprechung:

  • Das Vorsteuerabzugsrecht aus Vorauszahlungen (Art. 168 Buchst. a MwStSystRL) entsteht (vorbehaltlich der übrigen Abzugsvoraussetzungen) in dem Zeitpunkt, in dem die MwSt auf die Vorauszahlung entsteht (Art. 167 MwStSystRL), also bei Vereinnahmung der Vorauszahlung (Art. 65 MwStSystRL).
  • Der Vorsteuerabzug ist gem. Art. 184, 185 MwStSystRL zu berichtigen, wenn feststeht, dass die Leistung nicht mehr erfolgt. Dies folgt aus der EuGH-Rechtsprechung, wonach die Leistungserbringung, nicht aber die Entgeltentrichtung der Besteuerung unterliegt, und die Anzahlungsbesteuerung [sowie der damit korrespondierende Vorsteuerabzug] eine eng auszulegende Ausnahmeregel darstellt (vgl. EuGH, Urt. v. 21.02.2006, C-419/02, BUPA, Rz. 45, 50).

Die Berichtigung einer Anzahlungsversteuerung nach § 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG setzt nach der BFH-Rechtsprechung (vgl. BFH, Urt. v. 02.09.2010, V R 34/09 und v. 15.09.2011, V R 36/09) die Rückgewähr des Entgelts voraus, vgl. auch A 17.1 Abs. 7 UStAE. Gegenüber der Systematik der MwStSystRL dürfte dies nach der Systematik des § 17 UStG auch für die Berichtigung des Vorsteuerabzugs aus einer Anzahlung gelten.

Diese Systematik, wonach die Berichtigung des Vorsteuerabzugs an die Berichtigung der Bemessungsgrundlage beim Leistungserbringer anknüpft, entspricht nach dem vorliegenden Urteil des EuGH nicht den Vorgaben der MwStSystRL. Danach ist die Berichtigung des Vorsteuerabzugs bei fehlender Leistungserbringung auch dann vorzunehmen, wenn keine Rückzahlung der Anzahlung erfolgt.