FG München zur Bedeutung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer für die Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung beim innergemeinschaftlichen Verbringen, Vorlage an den EuGH

Anmerkung zu: FG München, EuGH-Vorlage v. 04.12.2014, 14 K 1511/14; Vorlage an den EuGH, ob der Unternehmer zwingend die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer seines im EU-Ausland belegenen Unternehmensteils aufzeichnen muss, um die Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung beim innergemeinschaftlichen Verbringen zu erlangen.

Praxisproblem

Nach § 17c UStDV 2006 muss der Unternehmer bei innergemeinschaftlichen Lieferungen (§ 6a UStG) die Voraussetzungen der Steuerbefreiung einschließlich Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Abnehmers buchmäßig nachweisen, um die Steuerbefreiung zu erlangen. Das FG München hat dem EuGH die Frage vorgelegt, ob dies auch dann gelten soll, wenn der Lieferer die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer nicht aufgezeichnet hat und auch nicht alle ihm zumutbaren Maßnahmen im Hinblick auf die formellen Erfordernisse bei der Aufzeichnung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer erfüllt hat, aber keine konkreten Anhaltspunkte für eine Steuerhinterziehung bestehen, der Gegenstand in einen anderen Mitgliedsstaat verbracht worden ist und auch die übrigen Voraussetzungen für die Steuerbefreiung vorliegen. Der EuGH wird bei dieser Vorlage darüber befinden, ob jeder Unternehmer, der Gegenstände innergemeinschaftlich verbringt, sich zwingend im Zielstaat umsatzsteuerlich registrieren lassen muss, um die Steuerfreiheit im Inland erlangen zu können.

Sachverhalt

Im Streitjahr 2006 erwarb der Kläger, ein Einzelunternehmer, einen neuen Pkw für sein Unterneh-men, den er diesem zuordnete. Das neue Fahrzeug versandte er am 20.10.2006 an einen spanischen Kfz-Händler, um den Pkw in Spanien zu verkaufen. Nachdem ein Käufer gefunden worden war, veräußerte der Kläger das Fahrzeug am 11.07.2007 an das spanische Unternehmen D. Der Kläger hatte für diesen Vorgang im Jahr 2006 keinen Umsatz und im Jahr 2007 eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung des Pkw an D erklärt. In seinen Aufzeichnungen hielt er fest, dass das Fahrzeug am 20.10.2006 nach Spanien versandt und im Jahr 2007 an D verkauft wurde (Rechnung vom 11.07.2007). Der Kläger zeichnete keine eigene spanische Umsatzsteuer-Identifikationsnummer auf. In Spanien erklärte er keinen Umsatz.

Im Rahmen einer Außenprüfung vertrat das Finanzamt die Auffassung, die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung im Jahr 2007 lägen nicht vor. Es vertrat die Ansicht, das Verbrin-gen des Fahrzeugs im Jahr 2006 nach Spanien unterliege der Umsatzsteuer und sei nicht steuerfrei. Der Kläger habe das Fahrzeug im Jahr 2006 mit Verkaufsabsicht und daher nicht nur vorübergehend vom Inland nach Spanien verbracht. Der Umsatz sei nicht steuerbefreit, weil der Kläger keine eigene spanische Umsatzsteuer-Identifikationsnummer aufgezeichnet und damit den erforderlichen Buchnachweis nicht geführt habe.

Der Kläger erhob Klage. Im Klageverfahren berief sich das FA auf das EuGH-Urteil v. 27.09.2012, C-587/10, VSTR. Die Beteiligten sind sich einig, dass keine Steuerhinterziehung im Raum stehe. Die deutsche Finanzverwaltung hat der spanischen Finanzverwaltung den Sachverhalt nicht mitgeteilt.

Vorlage

Das FG München neigt zu der Ansicht, dass das einer innergemeinschaftlichen Lieferung gleichgestellte Verbringen unter den Umständen der Vorlagefrage steuerfrei ist.

Nach Art. 28c Teil A Buchst. d) der Richtlinie 77/388/EWG ist ein Verbringen i.S.d. Art. 28a Abs. 5 Buchst. b) der Richtlinie 77/388/EWG steuerfrei, für das die Steuerbefreiung des Art. 28c Teil A Buchst. a) der Richtlinie 77/388/EWG gelten würde, wenn es für einen anderen Steuerpflichtigen bewirkt worden wäre. Eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung i.S.v. Art. 28c Teil A Buchst. a) Unterabs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG liegt vor, wenn sie Gegenstände betrifft, die durch den Verkäufer oder durch den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb eines Mitgliedstaats, aber innerhalb der Union versandt oder befördert werden, und wenn diese Lieferungen an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nichtsteuerpflichtige juristische Person bewirkt werden, der/die als solcher/solche in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Beginns des Versands oder der Beförderung der Gegenstände handelt. Weitere Voraussetzungen dürfen die Mitgliedstaaten nicht aufstellen, insbesondere kommt es nicht auf die Versteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbs an (EuGH, Urt. v. 27.09.2007, C-409/04, Teleos). Hier sind diese Voraussetzungen erfüllt: Der Kläger, ein Steuerpflichtiger, versandte das Fahrzeug von Deutschland nach Spanien, um es dort weiterhin unternehmerisch zu nutzen.

Allerdings wäre die Steuerbefreiung zu versagen, wenn eine innergemeinschaftliche Lieferung von Gegenständen tatsächlich stattgefunden hat, der Lieferer jedoch bei der Lieferung die Identität des wahren Erwerbers verschleiert hat, um diesem zu ermöglichen, die Mehrwertsteuer zu hinterziehen (EuGH, Urt. v. 07.12.2010, C-285/09, R). Dasselbe gilt, wenn eine Steuerhinterziehung des Erwerbers vorliegt und der Lieferer nicht in gutem Glauben gehandelt und alle Maßnahmen ergriffen hat, die vernünftigerweise verlangt werden können, um sicherzustellen, dass der von ihm getätigte Umsatz nicht zu seiner Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt (EuGH, Urt. v. 06.09.2012 C-273/11, Mecsek-Gabona, DStR 2012, 1917).

Im Streitfall liegen keine konkreten Anhaltspunkte für eine Steuerhinterziehung vor. Der Kläger erfasste den Vorgang des Verbringens und den späteren Verkauf als innergemeinschaftliche Lieferung in seinen Aufzeichnungen, so dass er gegenüber dem Finanzamt keine falschen tatsächlichen Angaben machte; vielmehr ging er lediglich rechtsirrig von einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung an D aus. Zwar hätte der Kläger einen innergemeinschaftlichen Erwerb in Spanien (vgl. Art. 28a Abs. 1, 6, Art. 28b Teil A Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG) und die Lieferung an D in Spanien (vgl. Art. 32 Abs. 1 MwStSystRL) versteuern müssen. Allerdings ist die unterlassene Erwerbsbesteuerung in Spanien schon deswegen keine Steuerhinterziehung, weil dem Kläger zugleich ein Vorsteuerabzug nach Art. 17 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 77/388/EWG zustand (vgl. hierzu BFH, Urt. v. 21.05.2014, V R 34/13, BStBl. II 2014, 914). Ferner fehlt dem Kläger insofern und in Bezug auf die in Spanien nicht erklärte Lieferung an D der erforderliche Vorsatz. Er ging nach seiner Steuererklärung für das Jahr 2007 davon aus, dass der gesamte Vorgang eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung an D sei. Diese Auffassung war auch nicht von vornherein so fernliegend, dass dies den Schluss zuließe, er habe die Nichtversteuerung in Spanien billigend in Kauf genommen. Denn auch das FA hat zunächst angenommen, der Vorgang sei als eine in Deutschland steuerbare Lieferung im Jahr 2007 zu erfassen und setzte eine entsprechende Steuer fest; erst im Klageverfahren änderte es auf Hinweis des Gerichts seine Rechtsauffassung. Auch die Finanzverwaltung geht davon aus, dass keine Steuerhinterziehung im Raum steht.

Jedoch ist fraglich, ob die Finanzverwaltung die Steuerbefreiung versagen darf, wenn der Steuerpflichtige keine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer seines Abnehmers (hier: seines Unternehmensteils in einem anderen Mitgliedstaat) aufzeichnete und nicht alle ihm zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, eine solche aufzuzeichnen, obwohl zweifelsfrei die materiellen Voraussetzungen für die Steuerbefreiung vorliegen und es keine konkreten Anhaltspunkte für eine Steuerhinterziehung gibt. Die deutschen Vorschriften des § 6 Abs. 3 UStG in Verbindung mit § 17c Abs. 1, 3 UStDV sehen für das Verbringen vor, dass der Steuerpflichtige die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer seines „Abnehmers“ aufzeichnen muss und diese Nummer seines im Ausland liegenden Unternehmensteils aufzeichnen soll.

Der EuGH hat in seinem Urteil v. 27.09.2012, C-587/10, VSTR,  DStR 2012, 2014 entschieden, dass es der Finanzverwaltung eines Mitgliedstaats nicht verwehrt ist, die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung davon abhängig zu machen, dass der Lieferer die USt-Identifikationsnummer des Erwerbers mitteilt; dies gilt allerdings unter dem Vorbehalt, dass die Steuerbefreiung nicht allein aus dem Grund verweigert wird, dass diese Verpflichtung nicht erfüllt worden ist, wenn der Lieferer redlicherweise, und nachdem er alle ihm zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, diese Identifikationsnummer nicht mitteilen kann und er außerdem Angaben macht, die hinreichend belegen können, dass der Erwerber ein Steuerpflichtiger ist, der bei dem betreffenden Vorgang als solcher gehandelt hat.

Aus diesem Tenor könnte man folgern, dass ein Mitgliedstaat allein deswegen, weil der Steuerpflichtige nicht alle ihm zumutbaren Maßnahmen zur Aufzeichnung der USt-Identifikationsnummer des Erwerbs ergriffen hat, die Steuerbefreiung versagen darf, obwohl feststeht, dass deren materielle Voraussetzungen vorliegen, und auch keine konkreten Anhaltspunkte für eine Steuerhinterziehung bestehen. Denn die Voraussetzungen für den Vorbehalt sind kumulativ formuliert (vgl. BFH, Urt. v. 28.05.2013 XI R 11/09, BFHE 242, 84).

Das FG München neigt allerdings dazu, die Entscheidungsformel des EuGH-Urteils v. 27.09.2012, C-587/10, VSTR anders zu verstehen. Der EuGH hat nämlich in dem Urteil VSTR eindeutig festgestellt, dass die USt-Identifikationsnummer keine materielle Voraussetzung für die Steuerbefreiung ist, sondern lediglich dazu dient, den steuerlichen Status des Steuerpflichtigen nachzuweisen und die Kontrolle innergemeinschaftlicher Umsätze zu erleichtern. Die Fragen des im Verfahren VSTR vorlegenden Gerichts hat der EuGH so ausgelegt, dass sie die Beweismodalitäten betreffen, die dem Lieferer für den Nachweis, dass die Bedingung in Bezug auf die Steuerpflichtigeneigenschaft des Erwerbers erfüllt ist, vorgeschrieben werden können. Es ging also um die Beweisanforderungen für einen ungeklärten Sachverhalt und nicht um zusätzliche Voraussetzungen bei einem geklärten Sachverhalt.

Praxishinweis

Mit seiner Entscheidung hat das FG München dem EuGH erneut eine Frage aus dem Themenbereich vorgelegt, unter welchen Voraussetzungen und Umständen die Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung (hier: beim innergemeinschaftlichen Verbringen) gewährt werden kann, wenn nicht alle förmlichen Nachweise nach § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a bis 17c UStDV durch den Unternehmer geführt werden können.

Das FG München vertritt die Auffassung, dass eine USt-Identifikationsnummer durch den Unternehmer nicht benötigt wird, wenn die objektiven Voraussetzungen der innergemeinschaftlichen Lieferung vorliegen und kein Betrug oder Steuerhinterziehung im Raum steht. Problematisch ist nur, dass Letzteres durch den deutschen Fiskus auf spanischem Boden weder im konkreten Vorlagefall noch in anderen Fällen sicher ermittelt werden kann. Damit spanische Behörden insoweit ermitteln können, bedürfen sie jedoch gerade Kenntnis vom Unternehmer und vom Umsatz. Es kann daher – trotz der vielen durch das FG München aufgeführten Argumente – nicht sicher gesagt werden, ob sich der EuGH den Ausführungen des FG München anschließen wird.

Der Fall verdeutlicht einmal mehr die im grenzüberschreitenden Verkehr aufkommenden umsatz-steuerlichen Risiken. Sobald ein Gegenstand ohne konkreten Erwerber/Leistungsempfänger in das EU-Ausland überführt wird, liegt keine innergemeinschaftliche Lieferung bei späterer Veräußerung an einen Dritten vor, sondern ein innergemeinschaftliches Verbringen im Zeitpunkt der Überführung. Damit ändern sich die Aufzeichnungs- und Nachweispflichten, da sich das innergemeinschaftliche Verbringen (im Rahmen des eigenen grenzüberschreitenden Unternehmens) von einer Lieferung an einen fremden Dritten unterscheidet. Der Aufbau einer sorgfältigen umsatzsteuerlichen Compliance, die die unterschiedlichen Fallgestaltungen und die damit einhergehenden Nachweispflichten identifiziert, verringert die Risiken bei grenzüberschreitenden Überführungen bzw. Transaktionen.