BFH: Zweifel an der restriktiven Rechtsprechung zu den Rechnungsangaben

Anmerkung zu: BFH, Beschl. v. 06.04.2016, V R 25/15 und XI R 20/14

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat bislang regelmäßig sehr restriktiv in Fragen des Vorsteuerabzugs geurteilt und bei Zweifeln oder Fehlern in den Rechnungsangaben den Vorsteuerabzug versagt.

Angesichts des EuGH Urteils v. 22.10.2015, C-277/14, PPUH Stehcemp haben sowohl der V. als auch der XI. Senat des BFH nun Zweifel an der bisherigen Vorgehensweise und dem EuGH zwei Vorlageverfahren mit nahezu identischer Fragestellung vorgelegt.  

Der EuGH soll die Frage klären, welche Anforderungen im Umsatzsteuerrecht an eine ordnungsgemäße Rechnung zu stellen sind, damit der Leistungsempfänger zum Vorsteuerabzug berechtigt ist.

Es geht um die Frage, ob die von einem Unternehmer geltend gemachten Vorsteuerbeträge aus Rechnungen auch dann abziehbar sind, wenn es sich bei der in den Rechnungen angegebenen Anschrift des Lieferers lediglich um einen „Briefkastensitz“ gehandelt hat (V R 25/15) bzw.  ob nur die Angabe derjenigen Anschrift des leistenden Unternehmers zum Vorsteuerabzug berechtigt, unter der der leistende Unternehmer seine wirtschaftlichen Aktivitäten entfaltet (XI R 20/14).

Im Urteilssachverhalt des V. Senats erwarb der Kläger (Kfz-Händler) Pkws von Z, der seinerseits Fahrzeuge im Onlinehandel vertrieb. In den Rechnungen des Z war eine Anschrift angegeben, an der Z zwar Räumlichkeiten angemietet hatte, die aber nicht geeignet waren, um dort geschäftliche Aktivitäten im Rahmen eines Autohandels zu entfalten. So wurden die Fahrzeuge dem Kläger oder seinen Mitarbeitern teilweise an öffentlichen Plätzen wie z.B. Bahnhofsvorplätzen  übergeben.

In dem Verfahren des XI. Senats geht es ebenfalls um einen Kfz-Händler, der von D Fahrzeuge erwarb, welcher unter der in den Rechnungen angegebenen Anschrift mit statuarischem Sitz gemeldet war, welcher aber als „Briefkastensitz“ lediglich eine postalische Erreichbarkeit gewährleiste. Dort wurde D nicht wirtschaftlich tätig.

Beide Senate legten dem EuGH die Frage vor, ob eine zum Vorsteuerabzug erforderliche Rechnung die „vollständige Anschrift“ bereits dann enthalte, wenn der leistende Unternehmer in der von ihm über die Leistung ausgestellten Rechnung eine Anschrift angebe, unter der er zwar postalisch zu erreichen sei,  aber keine wirtschaftliche Tätigkeit ausübe oder ob der Vorsteuerabzug die Angabe einer Anschrift des Steuerpflichtigen voraussetzt, unter der er seine wirtschaftlichen Tätigkeiten entfaltet.

Das EuGH-Urteil „PPUH Stehcemp“ lässt den Schluss zu, dass es für den Vorsteuerabzug nicht auf das Vorliegen aller formellen Rechnungsvoraussetzungen ankommt oder zumindest die vollständige Anschrift des Steuerpflichtigen keine Anschrift voraussetzt, unter der wirtschaftliche Tätigkeiten entfaltet wurden. Der V. Senat hat Zweifel, ob seine bisherige ständige Rechtsprechung, nach der die formellen Rechnungsvoraussetzungen die Angabe der zutreffenden Anschrift des leistenden Unternehmers voraussetzt, unter der er seine wirtschaftlichen Aktivitäten entfaltet, mit dieser Rechtsprechung des EuGH in Einklang steht. Nach Ansicht des XI. Senats des BFH ist nach der Entscheidung des EuGH im Hinblick auf das Vorsteuerabzugsrecht des Leistungsempfängers möglicherweise nicht entscheidend, ob unter der in der Rechnung angegebenen Adresse i.S.v. Art. 226 Nr. 5 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem eine wirtschaftliche Tätigkeit des Leistenden ausgeübt wird.

Bislang hatten beide Senate bei Fehlern in den formellen Rechnungsvoraussetzungen den Vorsteuerabzug versagt und im Hinblick auf Vertrauensschutz/Gutgläubigkeit lediglich auf den Billigkeitsweg verwiesen. Dies wird in der Literatur seit längerem als unionsrechtswidrig kritisiert, da dem Steuerpflichtigen eine Stufe im Rechtsweg genommen wird.

Die Vorlageverfahren sind mit Spannung abzuwarten. Es bleibt zu hoffen, dass der EuGH eine klare, aber den aktuellen Bedürfnissen der Arbeitswelt und globalisierten Märkte sowie der Abwicklung über Internet und ohne feste Büroräume oder Anwesenheitszeiten entsprechende, Entscheidung treffen wird.

Alle Betroffenen sollten entsprechende Verfahren prüfen und ggf. offen halten sowie die weitere Entwicklung beobachten.

Link

Pressemitteilung des BFH Nr. 46 v. 06.07.2016 

Quelle

BFH

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