EuGH zum Vorsteuerabzug für Gegenstände und Dienstleistungen, die sowohl für steuerbare als auch für steuerbefreite Umsätze verwendet werden

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 09.06.2016, C-332/14, Wolfgang und Dr. Wilfried Rey Grundstücksgemeinschaft GbR

Praxisproblem

Mit Urteil vom 22.08.2013, V R 19/09 hatte der BFH entschieden, dass Vorsteuerbeträge für Eingangsleistungen, die für berichtigungsfähige Objekte im Sinne des § 15a UStG verwendet werden, nach dem Flächenschlüssel aufzuteilen sind. Es handelte sich hierbei um die Folgeentscheidung des BFH aufgrund des EuGH-Urteils v. 08.11.2012, C-511/10, BLC Baumarkt. In diesem Urteil hatte der EuGH festgestellt, dass Vorsteuerbeträge, die für die Anschaffung oder Errichtung eines gemischt genutzten Gebäudes angefallen sind, nach dem Flächenverhältnis aufgeteilt werden dürfen, wenn dies die wirtschaftlich zutreffendere, also präzisere Aufteilungsmethode darstellt. Das BFH-Urteil v. 22.08.2013, V R 19/09 ist noch nicht im BStBl. Teil II veröffentlicht worden, wird von der Verwaltung also noch nicht angewendet.

Mit Urteil vom 07.04.2014, V R 1/10 hatte der BFH eine Aufteilung der Vorsteuerbeträge nach dem Flächenschlüssel bejaht. Auch dieses Urteil ist noch nicht im BStBl. Teil II veröffentlicht worden. Mit Urteil vom 03.07.2014, V R 2/10 hatte der BFH sich dafür ausgesprochen, die Vorsteueraufteilung im Regelfall nach dem objektbezogenen Flächenschlüssel vorzunehmen. Der Umsatzschlüssel soll demnach nur verwendet werden, wenn erhebliche Unterschiede in den Ausstattungsmerkmalen der verschiedenen Nutzungseinheiten vorliegen. Es handelte sich um eine Fortführung der Rechtsprechung zum Urteil V R 1/10. Auch dieses Urteil ist noch nicht im BStBl. Teil II worden.

Sachverhalt

Das Vorabentscheidungsersuchen des XI. Senats des BFH v. 05.06.2014, XI R 31/09 betraf ebenfalls (erneut) Fragen zur Vorsteueraufteilung nach Art. 17 MwStSystRL bzw. § 15 Absatz 4 UStG bei gemischt genutzten Gebäuden. Dabei ging es um die Frage, ob Vorsteuerbeträge, die für die Anschaffung oder Herstellung des Objekts angefallen sind, zunächst den Verwendungsumsätzen direkt zugeordnet werden müssen und lediglich die verbleibenden, nicht direkt zuordenbaren Vorsteuerbeträge nach einem Flächen- oder Umsatzschlüssel aufgeteilt werden müssen.

In der Sache ging es zum einen um die Höhe des Vorsteuerabzugs im Jahr 2004 aus Baukosten sowie aus laufenden Kosten für ein Wohn- und Geschäftshaus, mit dem die Klägerin sowohl steuerfreie als auch steuerpflichtige Vermietungsumsätze ausführte.

Da in diesen Fällen der Vorsteuerabzug nur zulässig ist, soweit die von einem Unternehmer bezogenen Eingangsleistungen (hier: Baumaterial, Handwerkerleistungen etc.) für steuerpflichtige Ausgangsumsätze (hier: Vermietungsumsätze) verwendet werden, müssen die insgesamt angefallenen Vorsteuern nach § 15 Abs. 4 UStG aufgeteilt werden. Seit der Einfügung des § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG mit Wirkung vom 01.01.2004 ist dabei eine Aufteilung nach dem Verhältnis der (voraussichtlichen) steuerpflichtigen zu den steuerfreien Ausgangsumsätzen (sog. „Umsatzschlüssel“) nur noch nachrangig zulässig.

Die Klägerin ermittelte die abziehbaren Vorsteuern für das Streitjahr 2004 – wie in den Vorjahren – nach dem Umsatzschlüssel. Das FA legte dagegen der Vorsteueraufteilung den (für die Klägerin ungünstigeren) Flächenschlüssel zugrunde.

Mit der ersten Vorlagefrage des BFH sollte geklärt werden, ob bei gemischt genutzten Gebäuden die Vorsteuern auf Eingangsleistungen, die die Anschaffung oder Herstellung des Gebäudes betreffen, zunächst den Ausgangsumsätzen zugeordnet werden müssen und lediglich die danach verbleibenden Vorsteuern nach einem (weniger präzisen) Flächen- oder Umsatzschlüssel aufzuteilen sind. Weiter war zu entscheiden, ob dies entsprechend für Vorsteuern auf laufende Kosten gilt. Dies war in dem zu § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG ergangenen EuGH-Urteil v. 08.11.2012, C-511/10, BLC Baumarkt offen geblieben.

Ferner verlangte das FA im Wege der Vorsteuerberichtigung einen Teil der in den vergangenen Jahren (seit Beginn der Baumaßnahme 1999) anerkannten Vorsteuerbeträge von der Klägerin zurück, weil auch insoweit nunmehr der Flächenschlüssel gelte. Der BFH hatte in mehrfacher Hinsicht Zweifel, ob dies mit dem Unionsrecht vereinbar ist:

a) Ändern sich bei einem Gebäude innerhalb von zehn Jahren ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung die für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse, ist für jedes Kalenderjahr der Änderung eine Vorsteuerberichtigung vorzunehmen. Insoweit stellte sich die zweite Vorlagefrage, ob eine solche Änderung der Verhältnisse unionsrechtlich auch dann vorliegt, wenn ein Steuerpflichtiger (wie die Klägerin) die Vorsteuern aus der Errichtung eines gemischt genutzten Gebäudes zulässigerweise nach dem Umsatzschlüssel aufgeteilt hat und Deutschland mit § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG nachträglich einen anderen vorrangigen Aufteilungsschlüssel vorschreibt.

b) Bejahendenfalls wollte der BFH mit der dritten Vorlagefrage wissen, ob die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes einer Vorsteuerberichtigung zu Lasten eines Steuerpflichtigen entgegenstehen. Der deutsche Gesetzgeber könne – nach Auffassung des BFH – gegen diese Grundsätze insbesondere dadurch verstoßen haben, dass er bei Einfügung des § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG keine Übergangsregelung getroffen hat, die dem begründeten Vertrauen der Unternehmer, auf Eingangsleistungen vor der Gesetzesänderung den Umsatzschlüssel anwenden zu dürfen, Rechnung trägt. Der BFH wollte damit wissen, ob die Einführung des neuen § 15 Abs. 4 UStG (Art. 5 Nr. 19 Buchst. d, Art. 25 Abs. 4 StÄndG 2003 v. 15.12.2003, BGBl. I 2003, 2645) zum 01.01.2004 eine Änderung der Verhältnisse i.S.d. § 15a UStG auslöst. Aufgrund der Rechtsänderung erfolgt grundsätzlich eine Vorsteueraufteilung nach dem Flächenschlüssel und nicht mehr wie vorher auch nach dem Umsatzschlüssel.

Entscheidung

Zur ersten Frage hat der EuGH entschieden, dass bei der Anschaffung oder Herstellung von Gebäuden, die sowohl für steuerpflichtige, als auch (vorsteuerschädliche) steuerfreie Umsätze genutzt werden, die Anschaffungskosten/Herstellungskosten nicht zwingend einzeln den jeweiligen Ausgangsumsätzen zugeordnet werden müssen, wenn diese Zuordnung schwierig ist. Bei den laufenden Unterhalts- und Betriebskosten geht der EuGH davon aus, dass die Zuordnung zu Ausgangsumsätzen regelmäßig nicht schwierig ist und eine direkte Zuordnung vorzunehmen ist. Die Prüfung, wie sich dies im Einzelfall darstellt, überlässt der EuGH jedoch dem BFH. Zum Vorsteueraufteilungsschlüssel, der nach dem Urteil – in einem zweiten Schritt nach der Zuordnung – der Berechnung des zulässigen Vorsteuerabzugs dient, führt der EuGH aus, dass insoweit grundsätzlich ein Umsatzschlüssel in Betracht zu ziehen ist. Allerdings kann auch ein anderer Schlüssel (wie z.B. ein Flächenschlüssel) anwendbar sein. Voraussetzung dafür ist aber (insoweit bezieht der EuGH sich auf sein Urteil v. 08.12.2012, C-511/10, BLC Baumarkt), dass dieser Schlüssel zu einem präziseren Ergebnis führt.

Der Spielraum für die Mitgliedstaaten vorzusehen, dass nicht für jeden Leistungsbezug bei der Anschaffung oder Herstellung eines gemischt genutzten Gebäudes eine Verbindung zu einem konkreten Ausgangsumsatz hergestellt werden muss, wird nach dem Urteil nicht durch die Wahl des Mitgliedstaats, eine andere Abzugsmethode als die nach dem Umsatzschlüssel vorzusehen, in Frage gestellt. Die gewählte Methode der Vorsteueraufteilung bezieht sich auf den Pro-Rata-Satz des Vorsteuerabzugs und nicht auf die Zuordnung der Eingangsumsätze zu bestimmten Ausgangsleistungen.

Zur zweiten Frage betreffend die Möglichkeit der Vorsteuerberichtigung bei Wechsel der Methode der Vorsteueraufteilung (hier nach Flächenschlüssel bei vorheriger Anwendung des Umsatzschlüssels) hat der EuGH entschieden, dass eine solche Vorsteuerberichtigung zwingend ist. Dies folgt daraus, dass beim Übergang zu einer präziseren Aufteilungsmethode auch der Vorsteuerberichtigungsmechanismus betroffen sein muss, damit die gebotene Genauigkeit des abzugsfähigen Teils der Vorsteuern erreicht wird.

Zur dritten Frage zum Grundsatz der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes hat der EuGH entschieden, dass der Zwang einer Vorsteuerberichtigung nach Änderung des Aufteilungsschlüssels auch dann besteht, wenn das nationale Recht dies nicht ausdrücklich vorschreibt. Auch ist eine Vorsteuerberichtigung ohne entsprechende Übergangsregelung zulässig. Der Grundsatz des Vertrauensschutzes wird nach dem Urteil nicht verletzt, wenn eine Änderung der Vorsteueraufteilungsmethode nicht die Aufhebung des Vorsteuerabzugs bewirkt, sondern nur eine Änderung hinsichtlich dessen Umfangs.

Praxishinweis

Das Urteil bestätigt in vollem Umfang die geltende nationale Rechtsgrundlage der Vorsteueraufteilung nach dem Flächenschlüssel, wenn dieser im Einzelfall präziser ist als der Umsatzschlüssel. Handelt es sich um Aufwendungen für den Gegenstand selbst (aus der Anschaffung oder Herstellung), kommt nach Abschn. 15.17 Abs. 5 Satz 3 UStAE nur eine Aufteilung der gesamten auf den einheitlichen Gegenstand entfallenden Vorsteuerbeträge nach einem sachgerechten Aufteilungsmaßstab (§ 15 Abs. 4 UStG) in Betracht. Bereits in seinem Urteil v. 08.11.2012, C-511/10, BLC Baumarkt stellte der EuGH fest, dass Vorsteuerbeträge, die für die Anschaffung oder Errichtung eines gemischt genutzten Gebäudes angefallen sind, nach dem Flächenverhältnis aufgeteilt werden dürfen, wenn dies die wirtschaftlich zutreffendere, also präzisere Aufteilungsmethode darstellt.

Im Vorlagebeschluss des XI. Senats des BFH an den EuGH wurde in dieser Folge auch die Frage gestellt, ob sich die Aufteilung sämtlicher Vorsteuerbeträge nach einem einheitlichen Schlüssel auch auf Eingangsleistungen aus laufenden Kosten (Erhaltungsaufwendungen) bezieht. Dies ist nach dem EuGH-Urteil regelmäßig nicht der Fall, so dass bei laufenden Kosten grundsätzlich eine direkte Zuordnung zu Ausgangsumsätzen vorzunehmen ist, es sei denn, diese direkte Zuordnung ist zu schwierig. Auch dies ist eine Bestätigung der nationalen Rechtslage. Der Umfang der abzugsfähigen Vorsteuerbeträge auf sog. Erhaltungsaufwendungen an dem Gegenstand kann sich gem. Abschn. 17.15 Abs. 5 Satz 4 UStAE danach richten, für welchen Nutzungsbereich des gemischt genutzten Gegenstands die Aufwendungen vorgenommen werden. Selbst wenn Herstellungskosten eines Gebäudes aus einer Vielzahl von einzelnen Leistungsbezügen bestehen können, die für sich betrachtet einzelnen Gebäudeteilen zugeordnet werden oder auf mehrere unterschiedliche Nutzungen aufgeteilt werden könnten, muss einerseits zwischen der Verwendung des Gegenstands selbst und andererseits der Verwendung von Gegenständen und Dienstleistungen zur Erhaltung oder zum Gebrauch dieses Gegenstands unterschieden werden. Anschaffungs- oder Herstellungskosten betreffen jeweils die Anschaffung oder Herstellung eines bestimmten Gegenstands (bei einem Gebäude das einheitliche Gebäude) und nicht bestimmte Gebäudeteile (vgl. Abschn. 17.15 Abs. 5 Sätze 5 bis 7 UStAE).

Eingangsleistungen für die Nutzung, Erhaltung oder Unterhaltung eines gemischt genutzten Gebäudes, die einen konkreten Nutzungsbereich des Gebäudes (z.B. Tapezierarbeiten in einer Wohnung) betreffen, ermöglichen regelmäßig eine direkte Zuordnung der bezogenen Leistungen zu den steuerpflichtigen oder steuerfreien Umsätzen. Nur Eingangsleistungen für die Nutzung, Erhaltung oder Unterhaltung eines gemischt genutzten Gebäudes, die nicht direkt zuordenbar sind (z.B. Winterdienst für das gesamte Gebäude, Fassadenanstrich für das gesamte Gebäude, Dachreparaturen), kommen für eine Vorsteueraufteilung in Betracht.

Aufgrund des Vorabentscheidungsersuchen des XI. Senats des BFH schien die Problematik der Vorsteueraufteilung bei gemischt genutzten Gebäuden wieder virulent geworden zu sein. Nach dem vorliegenden EuGH-Urteil wurde im Prinzip jedoch die vorgenannte Rechtsprechung des V. Senats bestätigt. Es kann somit erwartet werden, dass die Verwaltung sich nunmehr auch zu den zwischenzeitlich ergangenen BFH-Entscheidungen äußert bzw. diese anwendet.

Auch die Ausführungen des EuGH zum Vertrauensschutz bzw. zur Rechtssicherheit bestätigen seine bisherige Rechtsprechung. In den verbundenen Rechtssachen Gemeente Leusden und Holin Groep (C-487/01 und C-7/02) hatte der EuGH anerkannt, dass die Regelung in Art. 20 der 6. EG-RL über die Umstände, unter denen eine Vorsteuerberichtigung erforderlich ist, die Möglichkeit einer Berichtigung nicht ausschließt, wenn es zu einer Gesetzesänderung kommt. Außerdem behandelt Art. 20 Abs. 1 Buchst. b der 6. EG-RL den Umstand, dass „sich die Faktoren, die bei der Festsetzung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt werden, nach Abgabe der Erklärung geändert haben“, während Art. 20 Abs. 2 der 6. EG-RL, der speziell Investitionsgüter betrifft, für die der Berichtigungszeitraum länger ist, klarstellt, dass die Berichtigung unter Berücksichtigung der „Änderungen des Anspruchs auf Vorsteuerabzug in den folgenden Jahren gegenüber dem Anspruch für das Jahr [erfolgt], in dem die Güter erworben oder hergestellt wurden“; damit sieht diese Bestimmung den Fall einer Änderung des Vorsteuerabzugs vor, die mit einer Änderung des Rechts korreliert, für die Besteuerung eines vorausgegangenen, von der Mehrwertsteuer grundsätzlich befreiten Umsatzes zu optieren (Urteile Gemeente Leusden und Holin Groep, C-487/01 und C-7/02, Rn. 53). In den Urteilen Breitsohl (C-400/98) und Schlossstraße (C-396/98) hatte der EuGH zwar darauf hingewiesen, dass das Recht auf Vorsteuerabzug, nachdem es einmal entstanden ist, erhalten bleibt, er hat jedoch betont, dass dies nur gilt, „vorbehaltlich etwaiger Berichtigungen gemäß Artikel 20 der 6. Sechsten Richtlinie“ (Urteil Gemeente Leusden und Holin Groep, C-487/01 und C-7/02, Rn. 63).

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