BMF zum allgemeinen Besteuerungsverfahren und Vorsteuer-Vergütungsverfahren

Anmerkung zum BMF-Schreiben v. 21.05.2014 zum Verhältnis von allgemeinem Besteuerungsverfahren und Vorsteuer-Vergütungsverfahren; Auswirkungen des BFH-Urteils v. 28.08.2013, XI R 5/11

Praxisproblem

Für einen Voranmeldungszeitraum schließen sich das allgemeine Besteuerungsverfahren und das Vorsteuer-Vergütungsverfahren nach Abschn. 18.15 Abs. 1 UStAE gegenseitig aus. Sind jedoch die Voraussetzungen des Vorsteuer-Vergütungsverfahrens erfüllt und schuldet der im Ausland ansässige Unternehmer die Steuer im allgemeinen Besteuerungsverfahren (z.B. nach § 14c Abs. 1 UStG), kann die Vergütung der Vorsteuerbeträge abweichend von § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG nur im Vorsteuer-Vergütungsverfahren durchgeführt werden.

Hintergrund

Der BFH hat mit Urteil v. 28.08.2013, XI R 5/11 entschieden, dass ein im Ausland ansässiger Unternehmer, der

  • im Inland nur Umsätze ausführt, für die der Leistungsempfänger die Steuer schuldet, und
  • eine Umsatzsteuererklärung für das Kalenderjahr nur deshalb abzugeben hat, weil er ausschließlich Umsatzsteuer unberechtigt ausgewiesen hat,

alle in diesem Kalenderjahr abziehbaren Vorsteuerbeträge nur in dieser Steuererklärung geltend zu machen hat. Eine Anwendung des Vorsteuer-Vergütungsverfahrens (§ 18 Abs. 9 UStG, §§ 59 bis 61 UStDV) schließt der BFH aus.

Das BFH-Verfahren XI R 5/11 betraf eine in Luxemburg ansässige Kapitalgesellschaft, die im Streitjahr 2002 ausschließlich Transportdienstleistungen ausgeführt hat, für die der Leistungsempfänger die Steuer nach § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG a.F. schuldete. Für diese Leistungen hatte die Gesellschaft jedoch widerspruchslos Gutschriften mit Umsatzsteuerausweis entgegengenommen. Im Umsatzsteuerbescheid des Streitjahres hatte das Finanzamt diese Beträge als unrichtig ausgewiesene Steuer nach § 14 Abs. 2 UStG a.F. (neu: § 14c Abs. 1 UStG) angesetzt. Die in der Umsatzsteuererklärung des Streitjahres geltend gemachte Vorsteuer wurde nicht berücksichtigt. Das Finanzamt vertrat hierzu die Auffassung, dass bei Unternehmern, die ausschließlich Umsätze nach § 13b UStG ausgeführt haben, die Vorsteuer gem. § 18 Abs. 9 UStG i.V.m. § 59 Nr. 2 UStDV a.F. ausschließlich im Vorsteuer-Vergütungsverfahren geltend gemacht werden könne.

Zur Begründung seiner von Abschn. 18.15 Abs. 1 Satz 2 UStAE abweichenden Entscheidung führt der BFH aus: Es sei Zweck des Vorsteuer-Vergütungsverfahrens zu vermeiden, dass ein in einem Mitgliedstaat ansässiger Steuerpflichtiger die Steuer, die ihm in einem anderen Mitgliedstaat für die Lieferung von Gegenständen oder die Inanspruchnahme von Dienstleistungen in Rechnung gestellt worden ist, endgültig tragen muss und er damit einer Doppelbesteuerung unterliegt. Die 8. EG-Richtlinie bezwecke eine Vereinfachung und Beschleunigung der Vorsteuererstattung an im Ausland ansässige Steuerpflichtige in bestimmten Fällen. Damit würde aber nicht allein für im Ausland ansässige Unternehmer die Möglichkeit versagt, den Vorsteuerabzug im allgemeinen Besteuerungsverfahren geltend machen zu können. Auch wenn es sich um ein im Ausland ansässiges Unternehmen handele, das entsprechend § 59 UStDV nur Umsätze ausgeführt hat, für die der Leistungsempfänger die Steuer nach § 13b UStG schulde, reiche dies für die Anwendung des Vorsteuer-Vergütungsverfahrens nicht aus.

Im Falle einer Steuerfestsetzung durch das Finanzamt entfalte § 59 UStDV bei der gebotenen unionsrechtskonformen Auslegung für gleichzeitig geltend gemachte Vorsteuerbeträge keine Sperrwirkung im Hinblick auf das allgemeine Besteuerungsverfahren. Die zwingende Anwendung des Vorsteuer-Vergütungsverfahrens stehe auch im Widerspruch zu dem fünften Erwägungsgrund der 8. EG-Richtlinie. Danach darf die Regelung nicht dazu führen, dass die Unternehmer unterschiedlich behandelt werden, je nachdem, in welchem Mitgliedstaat sie ansässig sind. Es sei unionsrechtlich geboten, dass jeder Unternehmer, der dem allgemeinen Besteuerungsverfahren im Inland unterliegt – unabhängig davon, wo er ansässig ist – auch den Vorsteuerabzug aus abziehbaren Vorsteuerbeträgen geltend machen könne. Auch würde es nicht zu der vom Vorsteuer-Vergütungsverfahren angestrebten „Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens“ führen, den im Ausland ansässigen Unternehmer für ein Kalenderjahr, für das er eine Umsatzsteuer-Jahreserklärung abzugeben hat, daneben zur Geltendmachung der abziehbaren Vorsteuer im Vorsteuer-Vergütungsverfahren zu verpflichten.

Zum Inhalt des BMF-Schreibens

Nach dem BMF-Schreiben v. 21.05.2014 ist das BFH-Urteil v. 28.08.2013, XI R 5/11 nur auf mit dem entschiedenen Fall vergleichbare Szenarien anzuwenden. Dies sind Sachverhalte, bei denen folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

  • Der im Ausland ansässige Unternehmer hat fristgerecht einen Antrag auf Vergütung der Vorsteuer beim BZSt gestellt,
  • die weiteren Voraussetzungen für eine Erstattung im Vorsteuer-Vergütungsverfahren für den Vergütungszeitraum sind erfüllt,
  • aufgrund irriger Beurteilung ist keine Vergütung der Vorsteuer im Vorsteuer-Vergütungsverfahren erfolgt und
  • eine Vergütung der Vorsteuer im Vorsteuer-Vergütungsverfahren ist nicht mehr möglich, weil der Antrag auf Vorsteuer-Vergütung auf Hinweis des BZSt zurückgenommen wurde und die Antragsfrist abgelaufen ist oder der Bescheid des BZSt über die Ablehnung der Vergütung formell bestandskräftig ist.

In diesen Fällen kann der im Ausland ansässige Unternehmer die im Antrag auf Vorsteuer-Vergütung geltend gemachten Vorsteuerbeträge im allgemeinen Besteuerungsverfahren geltend machen, wenn er eine Voranmeldung oder eine Umsatzsteuererklärung für das Kalenderjahr nur aus dem Grund zu übermitteln hat, weil er eine Steuer nach § 13a Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 14c Abs. 1 UStG schuldet.

In den mit dem entschiedenen Fall vergleichbaren Sachverhalten schließen sich nach dem BMF-Schreiben v. 21.05.2014, entgegen Abschn. 18.15 Abs. 1 Satz 1 UStAE, das allgemeine Besteuerungsverfahren und das Vorsteuer-Vergütungsverfahren nicht aus.

Praxishinweis

Das BMF-Schreiben regelt, dass das BFH-Urteil v. 28.08.2013, XI R 5/11 nur in mit dem entschiedenen Fall vergleichbaren Szenarien anzuwenden ist, und kommt damit fast einem Nichtanwendungserlass gleich. Eine Vollanwendung des BFH-Urteils hätte möglicherweise zu – vom Gesetzgeber nicht gewollten – Umgehungsmöglichkeiten für im Ausland ansässige Unternehmer geführt, insbesondere wenn sie im Drittlandsgebiet ansässig sind:

  • Unternehmer, welche die Mindestgrenzen von 50 € (bei im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässigen Unternehmern) oder von 1.000 € (bei im Drittlandsgebiet ansässigen Unternehmern) im Kalenderjahr für das Vorsteuer-Vergütungsverfahren nicht erreichen, könnten nach dem BFH-Urteil ihre Vorsteuerbeträge in voller Höhe im allgemeinen Besteuerungsverfahren geltend machen.
  • Im Drittlandsgebiet ansässige Unternehmer könnten generell ihre Vorsteuerbeträge in voller Höhe im allgemeinen Besteuerungsverfahren geltend machen. Der Ausschluss des Vorsteuer-Vergütungsverfahrens wegen fehlender Gegenseitigkeit sowie die generelle Nichtgewährung des Vorsteuerabzugs bei Kraftstoffen (§ 18 Abs. 9 Satz 4 und 5 UStG) würde somit umgangen.
  • Erforderlich wäre lediglich, dass die Unternehmer in einer Rechnung deutsche Umsatzsteuer – auch nur in geringer Höhe – unberechtigt ausweisen.

Das BFH-Urteil v. 28.08.2013, XI R 5/11 ist jedoch auch aus unionsrechtlicher Sicht nicht unproblematisch: Nach dem eindeutigen Wortlaut von Art. 1 der 8. EG-Richtlinie (für nach dem 31.12.2009 gestellte Vorsteuer-Vergütungsanträge: Art. 3 der Richtlinie 2008/9/EG) und Art. 1 der 13. EG-Richtlinie fällt ein Unternehmer in den Anwendungsbereich des Vorsteuer-Vergütungsverfahrens, wenn er – wie im entschiedenen Fall – nicht im Inland ansässig ist und nur solche Dienstleistungen „erbracht“ hat, für die der Empfänger die Mehrwertsteuer schuldet. Dies entspricht auch Art. 17 Abs. 4 Unterabs. 2 Buchst. a und b der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 170 MwStSystRL). Danach gelten Unternehmer, die im Inland ausschließlich Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen „bewirken“, für die der Empfänger als Steuerschuldner bestimmt worden ist, bei Anwendung der 8. und 13. EG-Richtlinie ebenfalls als nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige. Die genannten Vorschriften des Unionsrechts beziehen sich auf Leistungen, die im Mitgliedstaat der Erstattung bewirkt werden. Das Vorsteuer-Vergütungsverfahren bezieht sich also nur auf Leistungen als solche und nicht auf die zu entrichtende Steuer, die nur deshalb geschuldet wird, weil sie in einer Rechnung ausgewiesen wird (vgl. Art. 21 Abs. 1 Buchst. d der 6. EG-Richtlinie und Art. 203 MwStSystRL).

Die in einer Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer wird unabhängig davon geschuldet, ob ein steuerpflichtiger Umsatz tatsächlich bewirkt wurde. Art. 21 Abs. 1 Buchst. d der 6. EG-Richtlinie und Art. 203 MwStSystRL beziehen sich somit nur auf die reine Steuerschuld, unabhängig von einem tatsächlich bewirkten Umsatz (vgl. EuGH, Urt. v. 31.01.2013, C-642/11, Stoy trans). Eine Leistung, für die der Unternehmer – wie im vom BFH entschiedenen Fall – Umsatzsteuer unabhängig von einer tatsächlichen Leistungserbringung ausschließlich wegen unrichtigem Steuerausweis schuldet, ist danach keine Leistung, die zum Ausschluss aus dem besonderen Vorsteuer-Vergütungsverfahren führt.

Einen Ausschluss aus dem besonderen Vorsteuer-Vergütungsverfahren bei Vorliegen einer Steuerschuld wegen unberechtigtem Steuerausweis sieht die 8. EG-Richtlinie nicht vor. Nach der Systematik der 6. EG-Richtlinie und der MwStSystRL unterliegt ein Unternehmer zwar grundsätzlich entweder dem normalen Besteuerungsverfahren oder dem besonderen Vorsteuer-Vergütungsverfahren. Die EG-Richtlinien zur Mehrwertsteuer regeln aber an keiner Stelle, dass sich beide Verfahren gegenseitig ausschließen. Ein solcher Ausschluss lässt sich auch der EuGH-Rechtsprechung nicht entnehmen. Vielmehr ist der Anwendungsbereich des Vorsteuer-Vergütungsverfahrens durch den eindeutigen Wortlaut der entsprechenden EG-Richtlinien klar geregelt. Der Wortlaut ist im Sinne einer rechtssicheren und unionsweit einheitlichen Rechtsanwendung genau zu beachten.

Sind die Voraussetzungen des Vorsteuer-Vergütungsverfahrens erfüllt, kann der im Ausland ansässige Unternehmer seine im Besteuerungszeitraum angefallenen Vorsteuerbeträge wegen der eindeutigen auf den Vorgaben des Unionsrechts beruhenden gesetzlichen Regelungen nur im Vorsteuer-Vergütungsverfahren geltend machen. Dies gilt auch dann, wenn dieser Unternehmer wegen anderer Sachverhalte eine Umsatzsteuer-Voranmeldung und/oder eine Umsatzsteuer-Jahreserklärung abgeben muss.

Außerdem steht dem Unternehmer im Fall eines unberechtigten Steuerausweises nach der EuGH-Rechtsprechung (vgl. z.B. EuGH, Urt. v. 18.06.2009, C-566/07, Stadeco) zwingend eine Berichtigungsmöglichkeit zu. Sobald der ausländische Unternehmer den unberechtigten Steuerausweis berichtigt, unterliegt er also nicht mehr dem normalen Besteuerungsverfahren. Er ist zur Geltendmachung seines Vorsteueranspruchs zwingend auf das Vorsteuer-Vergütungsverfahren angewiesen. Dies macht deutlich, dass eine Steuerschuld, die allein auf einem zu hohen Steuerausweis beruht, nicht zum Ausschluss aus dem besonderen Vorsteuer-Vergütungsverfahren führen kann.