EuGH zur rückwirkenden Überprüfung der Zollschuld

Anmerkung zum EuGH, Urt. v. 27.02.2014, C-571/12, rückwirkende Überprüfung der Zollschuld wegen Beschau gleicher Waren

Praxisproblem

Auch nach Überlassung der Waren kontrollieren die Zollbehörden umfassend das zollrechtliche Geschehen und nehmen Korrekturen von Zollanmeldungen zu Lasten des Zollanmelders vor.

In dem von einem lettischen Gericht vorgelegten Fall hatte ein Unternehmen über Jahre hinweg bei der Einfuhr von Waren eine falsche Zolltarifnummer angegeben. Im Rahmen einer Zollbeschau hatte die Behörde dies bemerkt und daraufhin rückwirkend höhere Einfuhrabgaben nacherhoben und ein Bußgeld verhängt. Der EuGH hat mit Urteil v. 27.02.2014, C-571/12 entschieden, wann die Ergebnisse einer Zollbeschau auf Waren gleicher Art, bei denen eine Beschau physisch nicht mehr möglich ist, übertragen und ggf. entsprechende Zollschulden erhoben werden dürfen.

Sachverhalt

Der EuGH hatte über die Vorlagefrage eines lettischen Gerichts zu entscheiden, in welchem Umfang die Zollbehörden befugt sind, die Ergebnisse einer Prüfung von Zollanmeldungen anhand von Proben der in ihnen angeführten Waren auf frühere Anmeldungen von allem Anschein nach identischen Waren, von denen keine Proben genommen wurden und auch nicht mehr genommen werden können, zu erweitern.

Im vorgelegten Fall ging es um die Einfuhr von Keksen und Schokoladenriegeln aus Russland zum freien Verkehr in die EU durch einen Dienstleister für Rechnung eines anderen Unternehmens. Seitens der lettischen Steuerverwaltung wurde im Frühjahr 2007 eine Überprüfung der von dem Käufer der Warenlieferung zwischen dem 01.05.2004 und dem 31.12.2006 entrichteten Zölle durchgeführt. 35 Zollanmeldungen wurden als Grundlage betrachtet. Zuvor hatten die Behörden Proben von Warensendungen bezogen auf sechs im Oktober und November 2005 erfolgte Zollanmeldungen genommen und überprüft. Dabei stellten sie fest, dass die zum freien Verkehr in der EU eingeführten Waren mit falschen Zolltarifnummern der Kombinierten Nomenklatur für ihre Einstufung in den Integrierten Zolltarif der Europäischen Gemeinschaften (TARIC) angemeldet worden waren. Auf Grundlage dieser Überprüfung kam die lettische Steuerverwaltung zu dem Ergebnis, dass auch hinsichtlich der weiteren 29 Zollanmeldungen für die Warenlieferung zwischen dem 01.05.2004 und dem 31.12.2006 die falsche Zolltarifnummer angewandt worden sei. Daraufhin wurden rückwirkend per Bescheid höhere Einfuhrabgaben erhoben, zudem wurde ein Bußgeld verhängt.

Entscheidung

Der EuGH hat entschieden, dass im Rahmen einer Teilbeschau nach Art. 70 Abs. 1 Zollkodex (ZK) die erzielten Ergebnisse nur auf die gleichen Waren übertragen werden können, die in derselben Anmeldung bezeichnet wurden. Allerdings bleibt es den Behörden nach Art. 78 Abs. 1 ZK überlassen, eine nachträgliche Überprüfung einer Anmeldung vorzunehmen und ggf. rückwirkend Einfuhrabgaben nachzuerheben. Damit können bereits eingeführte Waren, bei denen eine Beschau physisch nicht mehr möglich ist, erneut geprüft werden anhand von Geschäftsunterlagen und anderem Material, das im Zusammenhang mit den betreffenden Einfuhr- und Ausfuhrgeschäften sowie mit späteren Geschäften mit diesen Waren steht (Art. 78 Abs. 2 ZK). Hierbei kann die Behörde auch die Ergebnisse einer Teilbeschau der in einer Anmeldung bezeichneten Waren für früher angemeldete Waren übernehmen, sofern die Waren identisch sind. Letzteres ist vom nationalen Gericht zu prüfen und muss wohl (insoweit ist der EuGH nicht eindeutig) von der Behörde bewiesen werden.

Praxishinweis

Die Zollbehörden können eine Überprüfung von Zollanmeldungen vornehmen, selbst wenn eine Überprüfung der den Zollanmeldungen zugrunde liegenden Waren nach Überlassung physisch nicht mehr möglich ist. Im Vordergrund der Prüfung stehen dann die Unterlagen, die mit den betreffenden Ein- und Ausfuhrgeschäften sowie mit späteren Geschäften mit den fraglichen Warensendungen in Verbindung stehen. Dabei können auch die Ergebnisse aus einer Beschau für früher angemeldete Waren übernommen werden, sofern die Waren identisch sind. Es besteht dann die Gefahr, dass die Zollbehörden rückwirkend Zölle für (grundsätzlich) drei Jahre nacherheben. Darüber hinaus droht ein Bußgeldverfahren. Im Unternehmen sollten daher entsprechende Mechanismen zur regelmäßigen Kontrolle der in den Zollanmeldungen vorgenommenen Angaben etabliert werden, so u.a. zur Prüfung der Richtigkeit der angegeben Zolltarifnummern und der Warenbezeichnungen.