EuGH zur Änderung der Bemessungsgrundlage

Anmerkung zum EuGH, Urt. v. 15.05.2014, C-337/13, Almos Agrárkülkereskedelmi Kft.

Praxisproblem

In dem Verfahren beschäftigte sich der EuGH mit einer Vorlagefrage aus Ungarn, in der die Änderung der Bemessungsgrundlage nach Art. 90 MwStSystRL thematisiert wurde.

Die Klägerin des Ausgangsverfahrens begehrte eine Erstattung bereits abgeführter Umsatzsteuer für eine getätigte Lieferung wegen Nichtzahlung des Kaufpreises (Uneinbringlichkeit). § 77 des ungarischen Mehrwertsteuergesetzes (HU-MwStG) sieht – anders als Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL – bei Annullierung, Auflösung und vollständiger oder teilweiser Nichtbezahlung keine Minderung der Steuerbemessungsgrundlage vor. Allerdings können die Mitgliedstaaten gem. Art. 90 Abs. 2 MwStSystRL im Fall der vollständigen oder teilweisen Nichtzahlung von Abs. 1 der Vorschrift abweichen.

Sachverhalt

Im August und September 2008 veräußerte die Klägerin Rapssamen an einen Käufer B. Die Ware wurde an B geliefert und eingelagert, ohne dass dieser den Kaufpreis zahlte. Infolge der unterbliebenen Zahlung schlossen die Parteien am 01.10.2008 eine Vereinbarung, nach der die Rapssamen weiterhin im Eigentum der Klägerin standen, und die Klägerin allein berechtigt war, über diese Ware zu verfügen. B hingegen durfte die Ware weder belasten noch verkaufen oder den Besitz einem Dritten übertragen. Darüber hinaus vereinbarten die Parteien den 10.10.2008 als Frist für die Rückgabe der Rapssamen. Es kam jedoch nicht zur Rückgabe der Ware an dem vereinbarten Zeitpunkt, da diese im öffentlichen Lager beschlagnahmt worden war.

Die Klägerin begehrte daraufhin in einem Zivilprozess die Herausgabe der Rapssamen. Mit rechtskräftigem Urteil wurde B verpflichtet, die Rapssamen herauszugeben oder anderenfalls einen bestimmten Betrag zu zahlen. In der Urteilsbegründung wurde ausgeführt, dass die Parteien die Kaufverträge einvernehmlich aufgelöst hätten und die Rapssamen im Eigentum der Klägerin stünden. Im Anschluss an das Urteil berichtigte die Klägerin die Rechnungen und versah die dort ausgewiesenen Beträge mit negativem Vorzeichen. In der Umsatzsteuervoranmeldung für den Dezember 2009 machte sie die ausgewiesenen Umsatzsteuer-Beträge als Vorsteuer geltend. Nach Einschätzung der Finanzbehörden war die Erstattung allerdings unrechtmäßig erfolgt. Es wurde ein Strafzuschlag in Höhe von 10 % festgesetzt. In der Begründung führte die zuständige Behörde aus, dass ungeachtet der nicht erfolgten Zahlung der Gegenleistung eine Lieferung erfolgt sei. Es gebe keinen Grund für eine Berichtigung der Rechnungen; vielmehr stelle die Vereinbarung zwischen den Parteien eine neue Transaktion dar. Der ursprüngliche Zustand sei nicht wieder hergestellt worden, da die Herausgabe der Rapssamen gescheitert und der Betrag nicht zur Auszahlung gekommen sei. Die Klägerin habe sich zu Unrecht auf § 77 Abs. 1 und 2 HU-MwStG berufen. Nach diesen Bestimmungen führe die Ungültigkeit des Geschäfts zwar zu einer nachträglichen Minderung der Bemessungsgrundlage. Dies sei allerdings nicht mit einer Auflösung eines Vertrages zu vergleichen. Das HU-MwStG enthalte keine Bestimmung, die eine nachträgliche Minderung der Steuerbemessungsgrundlage allein wegen der Nicht- oder nur teilweisen Zahlung der Gegenleistung ermögliche.

Vor diesem Hintergrund fragte das vorlegende Gericht im Wesentlichen nach der Vereinbarkeit der nationalen Regelung zur Änderung der Bemessungsgrundlage mit Art. 90 MwStSystRL.

Entscheidung

Der EuGH hat in seinem Urteil (das nicht in deutscher Sprache vorliegt) festgestellt, dass in Anwendung von Art. 90 Abs. 2 MwStSystRL eine nationale Regelung zulässig ist, die für den Fall der Nichtzahlung der Gegenleistung keine Minderung der Steuerbemessungsgrundlage vorsieht. Eine solche Regelung muss dann jedoch auch alle anderen in Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL genannten Situationen erfassen, in denen nach Bewirkung des Umsatzes die Gegenleistung vom Steuerpflichtigen nicht oder nicht vollständig vereinnahmt wird. Dies sei vom nationalen Gericht zu prüfen.

Zur Frage der unmittelbaren Wirkung hat der EuGH ausgeführt, dass der Steuerpflichtige sich vor den nationalen Gerichten auf Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL berufen kann, um eine Minderung der Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer zu erreichen. Die Mitgliedstaaten können die Ausübung des Rechts zur Minderung der Bemessungsgrundlage von der Einhaltung bestimmter Formalitäten abhängig machen. Insbesondere könnten diese dem Nachweis dafür dienen, dass nach der Bewirkung des Umsatzes die Gegenleistung vom Steuerpflichtigen endgültig nicht oder nicht vollständig vereinnahmt wurde und dass der Steuerpflichtige sich auf eine der in Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL genannten Fälle berufen kann. Diese Formalitäten dürfen jedoch nicht über das für diesen Nachweis Erforderliche hinausgehen, was vom nationalen Gericht zu prüfen ist.

Praxishinweis

Der EuGH hat sich bisher nur in seinem (in der vorliegenden Entscheidung aber nicht zitierten) Urteil v. 03.07.1997, C-330/95, Goldsmiths Jewellers Ltd. mit einem Fall der Uneinbringlichkeit des Entgelts befasst. Danach muss auch die Uneinbringlichkeit von Sachleistungen als Entgelt zu einer Minderung der Bemessungsgrundlage führen, wenn ein Mitgliedstaat dies für die Uneinbringlichkeit der Gegenleistung in Geld geregelt hat. Nach der Entscheidung sind Sachleistungen und Geldzahlungen als Entgelt gleich zu behandeln. Da sich die Besteuerungsgrundlage immer nur nach der tatsächlich erhaltenen Gegenleistung richte, müsse der Unternehmer für einen Ausgangsumsatz nicht mehr Umsatzsteuer an die Finanzbehörde abführen, als er für das erhaltene Entgelt abzuführen verpflichtet wäre.

Mit dem vorliegenden Urteil bekräftigt der EuGH, dass eine nationale Regelung, wonach bei Uneinbringlichkeit des Entgelts eine Minderung der Bemessungsgrundlage dennoch unzulässig ist, für den Steuerpflichtigen klar, eindeutig und zudem rechtssicher anwendbar sein muss.

Das Urteil sollte keinerlei Auswirkungen auf das deutsche Umsatzsteuerrecht haben. Hier wurde Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL in § 17 UStG umgesetzt. Insbesondere sieht das nationale Umsatzsteuerrecht (§ 10 Abs. 1, § 17 Abs. 1 UStG) eine Änderung der Bemessungsgrundlage bei vollständiger oder teilweiser Nichtzahlung des Kaufpreises vor; nach deutschem Recht folgt demnach in allen Fällen der Uneinbringlichkeit des Entgelts eine entsprechende Minderung der Bemessungsgrundlage.