Neu anhängiges Verfahren beim EuGH zum Buchnachweis für innergemeinschaftliche Lieferungen, Registrierung des Erwerbers im MIAS-System

Anmerkung zu dem beim EuGH neu anhängigen Verfahren C-21/16

Praxisproblem

Das Vorliegen einer (steuerfreien) innergemeinschaftlichen Lieferung i.S.d. § 6a UStG setzt voraus, dass der Unternehmer, der Abnehmer oder ein vom liefernden Unternehmer oder vom Abnehmer beauftragter Dritter den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet hat. Eine Person/Einrichtung, die den Gegenstand für ihr Unternehmen erwirbt, muss zum Zeitpunkt der Lieferung Unternehmer sein. Von der Unternehmereigenschaft des Abnehmers kann regelmäßig ausgegangen werden, wenn dieser gegenüber dem liefernden Unternehmer mit einer ihm von einem anderen Mitgliedstaat erteilten, im Zeitpunkt der Lieferung gültigen USt-IdNr. auftritt. Nicht ausreichend ist es, wenn die USt-IdNr. im Zeitpunkt des Umsatzes vom Abnehmer lediglich beantragt wurde. Die USt-IdNr. muss vielmehr im Zeitpunkt des Umsatzes gültig sein (vgl. Abschn. 6a.1 Abs. 12 UStAE). Von einem Erwerb des Gegenstands für das Unternehmen des Abnehmers kann regelmäßig ausgegangen werden, wenn der Abnehmer mit einer ihm von einem anderen Mitgliedstaat erteilten, im Zeitpunkt der Lieferung gültigen USt-IdNr. auftritt und sich aus der Art und Menge der erworbenen Gegenstände keine berechtigten Zweifel an der unternehmerischen Verwendung ergeben (vgl. Abschn. 6a.1 Abs. 13 UStAE). Zur Führung des Buchnachweises muss der liefernde Unternehmer u.a. die ausländische USt-IdNr. des Abnehmers aufzeichnen (§ 17c Abs. 1 UStDV). Die nach § 17c Abs. 1 Satz 1 UStDV buchmäßig nachzuweisende USt-IdNr. des Abnehmers bezeichnet die gültige ausländische USt-IdNr. des Abnehmers i.S.d. Abschn. 6a.1 Abs. 10 UStAE. Wenn der liefernde Unternehmer die gültige USt-IdNr. des Abnehmers nicht aufzeichnen bzw. im Bestätigungsverfahren beim BZSt nicht erfragen kann, weil ihm eine unrichtige USt-IdNr. genannt worden ist, steht nicht objektiv fest, an welchen Abnehmer die Lieferung bewirkt wurde. Im Übrigen steht nicht entsprechend § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG fest, dass der Erwerb des Gegenstands in dem anderen Mitgliedstaat der Erwerbsbesteuerung unterliegt. In einem solchen Fall liegen die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung für eine innergemeinschaftliche Lieferung somit grundsätzlich nicht vor (vgl. Abschn. 6a.7 Abs. 2 UStAE).

Zur Kontrolle des innereuropäischen Warenhandels wurde mit Beginn des Binnenmarktes zum 01.01.1993 ein elektronisches Mehrwertsteuer-Informationsaustauschsystem (MIAS) eingeführt, über das Unternehmen sich die Gültigkeit der USt-IdNrn. ihrer Geschäftspartner bestätigen lassen können und die Finanzverwaltungen der EU-Mitgliedstaaten den Fluss des innergemeinschaftlichen Handels beobachten und auf etwaige Unregelmäßigkeiten hin überprüfen können. Die in jedem Mitgliedstaat für die mehrwertsteuerliche Kontrolle des innergemeinschaftlichen Handels zuständige Stelle, das zentrale Verbindungsbüro, hat über das MIAS direkten Zugriff auf die Datenbanken, in denen die Mehrwertsteuer-Registrierungen anderer Mitgliedstaaten gespeichert sind.

Der EuGH muss aufgrund des Vorabentscheidungsersuchens des portugiesischen Tribunal Arbitral Tributário v. 30.11.2015 (EuGH-Rechtssache C-21/16, Euro Tyre BV) zu den buchmäßigen Voraussetzungen der Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung entscheiden. Das Gericht hat dem EuGH folgende Fragen gestellt (vgl. ABl. EU 2016 Nr. C 118/11):

1. Sind die Art. 131 und 138 Abs. 1 MwStSystRL dahin auszulegen, dass sie die Steuerverwaltung eines Mitgliedstaats daran hindern, einem in diesem Mitgliedstaat ansässigen Veräußerer bei einer innergemeinschaftlichen Lieferung die Gewährung einer Mehrwertsteuerbefreiung aus dem Grund zu verweigern, dass der in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Erwerber nicht im MIAS registriert ist und in diesem anderen Mitgliedstaat auch nicht von einem Besteuerungssystem für den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen erfasst wird, obwohl er zum Zeitpunkt des Umsatzes über eine gültige Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer in diesem anderen Mitgliedstaat verfügte, die in den Rechnungen für die Umsätze verwendet wurde, wenn die materiellen Voraussetzungen für eine innergemeinschaftliche Lieferung kumulativ vorliegen, d.h. wenn das Recht, über den Gegenstand gleich einem Eigentümer zu verfügen, an den Erwerber übertragen wurde und der Lieferer beweist, dass dieser Gegenstand in einen anderen Mitgliedstaat versandt oder befördert wurde und dass er infolge dieser Versendung oder Beförderung das Gebiet des Mitgliedstaats der Lieferung physisch verlassen hat und an einen Erwerber ausgeliefert wurde, der ein Steuerpflichtiger oder eine juristische Person ist und als solche/r in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Abgangs der Gegenstände handelt?

2. Steht der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz einer Auslegung des Art. 138 Abs. 1 MwStSystRL dahin entgegen, dass die Befreiung zu verweigern ist, wenn ein in einem Mitgliedstaat ansässiger Veräußerer wusste, dass der in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Erwerber dort zwar eine gültige Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer hatte, jedoch nicht im MIAS registriert war und in diesem anderen Mitgliedstaat auch von keinem Besteuerungssystem für den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen erfasst war, aber erwartete, dass ihm die Registrierung als innergemeinschaftlicher Wirtschaftsteilnehmer rückwirkend gewährt werden würde?

Der EuGH muss somit entscheiden, ob die EU-Mitgliedstaaten nach Art. 131 und 138 MwStSystRL berechtigt sind, die Steuerbefreiung für innergemeinschaftlichen Lieferungen wegen fehlender Registrierung des Abnehmers der Lieferung (Erwerber) im MIAS-System (aber Verwendung einer USt-IDNr. durch den Erwerber) zu verweigern.

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine Zweigniederlassung einer niederländischen Gesellschaft in Portugal. Sie ist im Import und Export von Reifen sowie in der Vermarktung von Reifen verschiedener Marken für Einzelhändler in Portugal sowie in Spanien tätig. Bei den innergemeinschaftlichen Lieferungen von Reifen für Unternehmer auf dem spanischen Markt nahm die Klägerin die in Art. 14 Buchst. a PT-MwStG geregelte Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Umsätze (RITI) in Anspruch.

Die portugiesische Steuerbehörde lehnte die Steuerbefreiung bezüglich der Lieferungen in den Jahren 2010 bis 2012 an einen spanischen Abnehmer S ab, weil es für die Zwecke der in Art. 14 Buchst. a des RITI vorgesehenen Steuerbefreiung erforderlich sei, dass der Erwerber der Gegenstände mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat im MIAS registriert ist. Die Reifen wurden an S nach Spanien geliefert. S war in Spanien seit Juni 2010 mit einer USt-IdNr. registriert. Bei sämtlichen durch die Klägerin an S getätigten Verkäufen war auf den entsprechenden Rechnungen die USt-IdNr. von S angegeben. S unterlag in Spanien verfahrenstechnisch nicht der Besteuerung für den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen, weil er erst im März 2013 mit Rückwirkung zum 01.07.2012 im MIAS-System registriert wurde. Zum Zeitpunkt der Lieferungen wusste die Klägerin, dass S noch nicht als innergemeinschaftlicher Erwerber registriert war. Ihr war aber bekannt, dass S steuerpflichtig war, und ging davon aus, dass S seine Registrierung als innergemeinschaftlicher Erwerber in Spanien rückwirkend erhalten würde.

Die portugiesische Steuerbehörde räumt ein, dass im Streitfall kein Verdacht auf Steuerhinterziehung seitens des Klägers besteht. Sie geht aber davon aus, dass bezüglich des Abnehmers S die letzte in Art. 14 Buchst. a RITI vorgesehene Voraussetzung nicht erfüllt sei, wonach der Erwerber „von einem Besteuerungssystem für den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen erfasst“ werden müsse, und zwar zu den Zeitpunkten, zu denen die Umsätze getätigt worden seien, weshalb der Klägerin die Befreiung für die innergemeinschaftlichen Lieferungen der Reifen an S nicht in Anspruch nehmen könne.

Die Klägerin meint, dass Art. 14 Buchst. a des RITI den Art. 138 Abs. 1 MwStSystRL nicht zutreffend umsetze. Zwar finde sich die erste in Art. 14 Buchst. a des RITI vorgesehene Voraussetzung der Verwendung der jeweiligen USt-IdNr. für die Durchführung des Erwerbs nicht in Art. 138 MwStSystRL. Dies ergebe sich aber aus Art. 226 Nr. 4 MwStSystRL, wo als eine der obligatorischen Rechnungsangaben für Mehrwertsteuerzwecke „die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer im Sinne des Artikels 214, unter der der Erwerber oder Dienstleistungsempfänger eine Lieferung von Gegenständen oder eine Dienstleistung, für die er Steuerschuldner ist, oder eine Lieferung von Gegenständen nach Artikel 138 erhalten hat“, aufgeführt ist. Die zweite im RITI vorgesehene Voraussetzung (die Erfassung des Erwerbers im Mitgliedstaat des Erwerbs durch ein Besteuerungssystem für den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen) sei in der MwStSystRL überhaupt nicht vorgesehen und stelle ein unionsrechtlich unzulässiges Formalerfordernis dar. Die Klägerin ist der Meinung, dass für die Anwendung der in Art. 138 MwStSystRL geregelten Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen der Nachweis ausreicht, dass der Erwerber Unternehmer ist und für den Empfang der innergemeinschaftlichen Lieferung seine USt-IdNr. verwendet. Die Überprüfung der USt-IdNr. im MIAS-System sei nicht zwingend erforderlich, um die Steuerbefreiung zu erhalten, und die Verpflichtung dazu verstoße gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

Praxishinweis

Die deutsche Rechtslage ist von dem Verfahren zwar nicht unmittelbar betroffen, da der Beleg- und Buchnachweis für innergemeinschaftliche Lieferungen nach den §§ 17a bis 17c UStDV nicht an eine Registrierung des Erwerbers im MIAS-System anknüpft. Andererseits würde ein in Deutschland ansässiger Lieferer bei einer innergemeinschaftlichen Lieferung den Buchnachweis nicht führen können, wenn er keine Abfragemöglichkeit im MIAS-System hätte, weil die von seinem Abnehmer präsentierte USt-IdNr. dort überhaupt nicht gespeichert ist. Insofern hat das MIAS-Verfahren sehr wohl praktische Bedeutung. Das innergemeinschaftliche Kontrollverfahren macht grundsätzlich keinen Sinn, wenn die von der Finanzverwaltung eines Mitgliedstaates vergebene USt-IdNr. im MIAS-System nicht gespeichert ist. Andererseits dürfte dies nicht als (materiell-rechtliche) Voraussetzung für die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung herhalten können.

Der EuGH hatte bereits in seinem Urteil v. 06.09.2012 2012 in der Rechtssache C-273/11, Mecsek-Gabona festgestellt, dass mangels einer konkreten Bestimmung in der MwStSystRL, welche Beweise das Vorliegen einer innergemeinschaftlichen Lieferung belegen können, die Mitgliedstaaten dafür zuständig sind, dies festzulegen. Dabei haben die Mitgliedstaaten jedoch die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts wie die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Diese Grundsätze hatte der EuGH in seinem Urteil v. 09.10.2014, C-492/13, Traum wiederum angeführt. Hier hatte der EuGH entschieden, dass für den Unternehmer hinsichtlich Art. 138 Abs. 1 MwStSystRL ein unmittelbares Berufungsrecht besteht. Der EuGH hält die Regelung für inhaltlich unbedingt und hinreichend genau, ungeachtet dessen, dass nach Art. 131 MwStSystRL den Mitgliedstaaten ein gewisser Spielraum zusteht, die Bedingungen der Steuerbefreiung (in erster Linie Regelungen zur Nachweisführung) festzulegen. Wenn das Finanzamt die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung versagt hat, weil die USt-IdNr. des Erwerber gelöscht wurde, ist entscheidend, ob im Zeitpunkt der Lieferung eine gültige USt-IdNr. vorlag. Hatte der liefernde Unternehmer im Übrigen keinen begründeten Anlass, an den Angaben des Erwerbers und seiner Unternehmereigenschaft bzw. dem Bezug der Ware für dessen Unternehmen zu zweifeln, steht ihm die Steuerbefreiung aus Gründen des Vertrauensschutzes zu (vgl. auch Abschn. 6a.7 Abs. 3 und 4 und Abschn. 6a.8 UStAE).

Die Entscheidung des EuGH wird daher mit Spannung abzuwarten sein. Wir werden wieder berichten.

Ihre Ansprechpartner