FG Münster zu unmittelbaren Erstattungsansprüchen gegen das Finanzamt hinsichtlich zu Unrecht bezahlter Umsatzsteuer

Anmerkung zu: FG Münster, Urt. v. 03.09.2014, 6 K 939/11 AO; Leistungsempfänger hat keinen unmittelbaren Erstattungsanspruch gegen das FA hinsichtlich zu Unrecht bezahlter Umsatzsteuer an den Leistenden bei Insolvenz des Leistenden, Rev. eingelegt

Praxisproblem

Macht der Leistungsempfänger einer steuerpflichtigen Leistung die Vorsteuern aus dieser Eingangsleistung geltend, kommt es aber aufgrund der Insolvenz des Leistenden nicht mehr zur Ausführung der Leistung, so ist die Vorsteuer zu korrigieren und an das Finanzamt zurückzuzahlen. Der Leistungsempfänger ist grundsätzlich auf zivilrechtliche Ansprüche auf Rückzahlung der im Kaufpreis enthaltenen Umsatzsteuer gegen den insolventen Leistenden verwiesen. Es stellt sich die Frage, ob aufgrund der Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH (EuGH, Urt. v. 15.03.2007, C-35/05) ausnahmsweise ein Direktanspruch gegen das FA in Betracht kommt.

Sachverhalt

Die Klägerin, die ihr Unternehmen in der Rechtsform einer GmbH betreibt, erhielt in den Jahren 2001 bis 2006 von diversen Firmen Rechnungen mit gesondertem Umsatzsteuerausweis. Auf der Grundlage dieser Eingangsrechnungen erstattete das beklagte Finanzamt Vorsteuerbeträge an die Klägerin. Eine bei der Klägerin durchgeführte Steuerfahndungsprüfung ergab, dass den Eingangsrechnungen der vorgenannten Firmen keine entsprechenden Leistungen zugrunde lagen. Der Vorsteuerabzug war wegen der unrichtigen Leistungsbezeichnung daher rückgängig zu machen und die Klägerin zahlte in der Folge die zunächst als Vorsteuern an sie ausgekehrten Beträge zurück.

Am 27.01.2010 begehrte die Klägerin die Erstattung von Umsatzsteuerbeträgen vom Beklagten. Der geltend gemachte Erstattungsbetrag setzt sich aus den Umsatzsteuerbeträgen zusammen, die die Klägerin in den Jahren 2001 bis 2005 an diverse Firmen geleistet hatte. Von den vorbenannten Rechnungsausstellern sei nach den Ausführungen der Klägerin keine Rückerstattung der Umsatzsteuer zu erlangen gewesen. Der Beklagte teilte der Klägerin mit, dass er keine Möglichkeit sehe, die Umsatzsteuerbeträge an die Klägerin zu erstatten. Mit ihrer Klage macht die Klägerin geltend, sie habe analog § 218 Abs. 2 Satz 2 AO i.V.m. § 37 Abs. 2 AO gegen den Beklagten einen Anspruch auf Erlass eines Erstattungsbescheides, der die streitigen Umsatzsteuerbeträge als Guthaben ausweise.

Entscheidung

Nach der Entscheidung des FG Münster steht der Klägerin kein unmittelbarerer Erstattungsanspruch gegen das beklagte Finanzamt zu. Für die von der Klägerin begehrte Erstattung der von ihr an die Rechnungsaussteller zu viel entrichteten Umsatzsteuer bzw. der von den Leistenden zu viel in Rechnung gestellten Umsatzsteuer fehlt es an einer Rechtsgrundlage. Ein Erstattungsanspruch ergibt sich weder aus den nationalen Gesetzen noch aus dem Anwendungsvorrang des Europarechts oder den Grundsätzen der Neutralität und Effektivität der Mehrwertsteuer.

§ 37 Abs. 2 AO scheidet als Anspruchsgrundlage aus, da diese Norm nur demjenigen einen Erstattungsanspruch aus Überzahlungen zuweist, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist. Das sind hinsichtlich der Umsatzsteuer allein die Rechnungsaussteller, die ihre Rechnungen nach § 17 UStG berichtigt haben. § 37 Abs. 2 AO regelt keinen Anspruch des Leistungsempfängers – hier der Klägerin – auf Auszahlung an ihn.

Auch § 37 Abs. 2 AO bedarf unter europarechtlichen Gesichtspunkten und mit Blick auf die Neutralität der Mehrwertsteuer keiner erweiternden Auslegung. Insbesondere lässt sich aus der Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH (EuGH, Urt. v. 15.03.2007, C-35/05, Slg. 2007 I-02425) kein Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten auf die beantragte Umsatzsteuererstattung ableiten. Der EuGH hat insoweit entschieden, dass die Grundsätze der Neutralität und Effektivität der Mehrwertsteuer beachtet werden, wenn – wie nach deutschem Steuerrecht – nur der Dienstleistungserbringer, der die Mehrwertsteuer irrtümlich an die Steuerbehörde entrichtet hat, die Erstattung der Mehrwertsteuer verlangen und der Dienstleistungsempfänger lediglich zivilrechtlich Klage gegen den Dienstleistungserbringer auf Rückzahlung einer nicht geschuldeten Leistung erheben kann. Denn ein solches System ermögliche es dem Dienstleistungsempfänger, der mit der irrtümlich in Rechnung gestellten Steuer belastet war, die rechtsgrundlos gezahlten Beträge erstattet zu bekommen. Nur für den Fall, dass die Erstattung der Mehrwertsteuer unmöglich oder übermäßig erschwert wird – insbesondere bei Zahlungsunfähigkeit des Leistungserbringers –, müssen die Mitgliedstaaten nach der Rechtsprechung des EuGH zur Wahrung des Grundsatzes der Effektivität die erforderlichen Mittel vorsehen, die es dem Dienstleistungsempfänger ermöglichen, die zu Unrecht in Rechnung gestellte Steuer erstattet zu bekommen. In diesem Ausnahmefall können die Grundsätze der Neutralität und Effektivität der Mehrwertsteuer es gebieten, dass der Dienstleistungsempfänger seinen Antrag auf Erstattung unmittelbar an die Steuerbehörden richten kann.

Im Streitfall waren die Rechnungsaussteller zwar inzwischen insolvent geworden, so dass es der Klägerin zumindest übermäßig erschwert sein dürfte, die zu viel gezahlte Umsatzsteuer von diesen Firmen zurückzuerhalten. Gleichwohl folgt hieraus auch unter Beachtung der Grundsätze der EuGH-Rechtsprechung nach Auffassung des FG Münster kein automatischer Direktanspruch der Klägerin gegen den Beklagten auf Erstattung der an diese beiden Firmen geleisteten Umsatzsteuer. Denn die Durchsetzung des gegen die Rechnungsaussteller bestehenden Rückzahlungsanspruchs der Klägerin ist – anders als in dem vom EuGH in der Rechtssache Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH entschiedenen Fall – nicht durch das Vorliegen eines grenzüberschreitenden Sachverhalts erschwert.

Der Verweis der Klägerin auf die zivilrechtliche Geltendmachung ihres Erstattungsanspruchs ist nach Ansicht des FG Münster insbesondere deshalb gerechtfertigt, weil dem Interesse der Klägerin an einem Direktanspruch die berechtigten Interessen des Beklagten sowie der weiteren Gläubiger der beiden Rechnungsaussteller entgegenstehen. Würde dem Leistungsempfänger ein Direktanspruch gegen die Finanzbehörde eingeräumt werden, so käme es zu einer Anspruchskonkurrenz zwischen dem Rechnungsaussteller, der seine Rechnung berichtigt, und dem Leistungsempfänger, der sich auf den Direktanspruch beruft. Diese Anspruchskonkurrenz müsste dann wiederum aufgelöst werden, um die Steuerbehörde nicht zwei Ansprüchen auszusetzen. Würde die Anspruchskonkurrenz dahin gelöst, dass eine Gesamtgläubigerschaft zwischen dem Leistungsempfänger und dem Leistenden angenommen und die Finanzbehörde mit der Zahlung an einen der Gesamtgläubiger frei würde, ginge die Auflösung der Anspruchskonkurrenz zu Lasten des Rechnungsausstellers. Denn der in § 37 Abs. 2 AO normierte Erstattungsanspruch des Rechnungsausstellers würde durch eine frühere Begleichung des Direktanspruchs des Leistungsempfängers ausgeschlossen. Diese Rechtsfolge sieht das Gesetz bezogen auf den Anspruch des Leistenden gem. § 37 Abs. 2 AO jedoch nicht vor. Darüber hinaus würde der Leistungsempfänger im Falle der Insolvenz des Leistenden gegenüber anderen Insolvenzgläubigern bevorzugt, da ihm ein Direktanspruch zugebilligt würde und er nicht darauf angewiesen wäre, seine Forderung zur Insolvenztabelle anzumelden und im Rahmen des Insolvenzverfahrens geltend zu machen. Eine derartige Bevorzugung gegenüber den anderen Insolvenzgläubigern sieht das Insolvenzrecht nicht vor. Sie wäre aus der Sicht des Finanzgerichts Münster auch systemwidrig.

Praxishinweis

Mit seiner Entscheidung hat sich das FG Münster den Entscheidungen des FG des Saarlandes (Urt. v. 24.04.2013, 1 K 1156/12, EFG 2013, 1637) und des FG Köln (Urt. v. 24.04.2014 1 K 2015/10, EFG 2014, 1566) angeschlossen. Es hat klargestellt, dass aus dem Urteil des EuGH v. 15.03. 2007, C-35/05, Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH ein Direktanspruch des Leistungsempfängers gegenüber dem Finanzamt auf Erstattung von Umsatzsteuer nicht hergeleitet werden kann, wenn sich später herausstellt, dass die Umsatzsteuer durch den Leistenden zu Unrecht in Rechnung gestellt und zu Unrecht an den Leistenden gezahlt wurde, von diesem aber wegen dessen zwischenzeitlich eingetretener Insolvenz nicht mehr zurückverlangt werden kann.

Da die Entscheidungsgründe der Entscheidung des EuGH im Wesentlichen genau den durch das FG Münster entschiedenen Fall betreffen, hat das FG Münster einen Direktanspruch entgegen der EuGH-Rechtsprechung nicht zugebilligt, da ansonsten die Grundsätze des deutschen Insolvenzrechts gefährdet wären. Die Entscheidung des FG Münster wurde durch die Revision angegriffen und es ist durchaus anzunehmen, dass der EuGH nach Vorlage durch den BFH ein weiteres Mal über einen derartigen Fall entscheiden muss. Da die Zubilligung eines Direktanspruchs in derartigen Fällen einen erheblichen Eingriff in das deutsche Zivil-, Insolvenz- und Umsatzsteuerrecht begründen würde, ist aber davon auszugehen, dass die finanzgerichtlichen Entscheidungen gehalten werden.

Die Entscheidung zeigt auf, dass ein Leistungsempfänger, der die Leistung nicht mehr erlangt, aber den Kaufpreis einschließlich der Umsatzsteuer an den Leistenden bezahlt hat, keinen Vorrang durch einen Direktanspruch gegen das Finanzamt in der Insolvenz des Leistenden erlangen kann, sondern den übrigen Insolvenzgläubigern gleichgestellt ist. Es kann daher – auch aus umsatzsteuerlicher Sicht – das Ausbleiben der Leistung und die Insolvenz des Leistenden nicht abgewartet werden, sondern es ist im Vorfeld Vorsorge zu tragen, dass man neben dem Netto-Kaufpreis nicht auch mit dem Umsatzsteueranteil ausfällt. Über den Aufbau einer Compliance-Struktur zur Verminderung der umsatzsteuerrechtlichen Risiken sollte nachgedacht werden.

Angesichts der Rechtsprechung des EuGH, nach der in den Fällen, in denen die Erstattung der Mehrwertsteuer unmöglich oder übermäßig erschwert wird, zur Wahrung des Grundsatzes der Effektivität ein Weg gefunden werden muss, der es dem Dienstleistungsempfänger ermöglicht, die zu Unrecht in Rechnung gestellte Steuer erstattet zu erhalten (EuGH, Urt. v. 15.03.2007, C-35/05, Reemtsma Cigarettenfabriken, UR 2007, 343, 348; so auch FG Köln, Urt. v. 24.04.2014, 1 K 2015/10, EFG 2014, 1566) ist mit Spannung abzuwarten, ob der BFH die Entscheidung des FG Münster aufhebt.

Die Revision ist eingelegt (Az. BFH VII R 42/14).

Zudem sei darauf hingewiesen, dass das FG Köln in der Entscheidung v. 24.04.2014,  1 K 2015/10 verwies, dass dem Steuerpflichtigen zumindest im Billigkeitswege nach § 163 AO bzw. § 227 AO geholfen werden müsse. Auch gegen die Entscheidung des FG Köln ist die Revision anhängig (Az. VII R 30/14).