BFH zu den energiesteuerrechtlichen Folgen der Feststellung von Unregelmäßigkeiten (Fehlmengen) nach § 14 Abs. 3 EnergieStG – Vorlage an den EuGH

Anmerkung zu: BFH, Entscheidung v. 11.11.2014, VII R 40/13

Praxisproblem

In der Praxis kommt es häufig vor, dass bei der Lieferung von verbrauchsteuerpflichtigen Waren (z.B. Energieerzeugnissen, Branntwein, Tabak, etc.) in einem Verfahren der Steueraussetzung Unregelmäßigkeiten festgestellt werden. Diese Unregelmäßigkeiten führen in der Regel zur Steuerentstehung und können z.B. auf unzutreffend ausgestellten Dokumenten, Verlusten während der Beförderung oder Schwund beruhen. Neben der Frage, nach welchen Vorschriften die Steuer entsteht, ist für die Unternehmen und die zuständigen Behörden der Ort der Steuerentstehung von großer Bedeutung. Insbesondere bei der Lieferung von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat ist die Steuererhebungskompetenz sehr relevant.

Sachverhalt

Die Klägerin versandte im Januar 2011 Gasöl des Codes der Kombinierten Nomenklatur 2710 19 41 unter Verwendung eines elektronischen Verwaltungsdokuments im innergemeinschaftlichen Steueraussetzungsverfahren aus einem in den Niederlanden gelegenen Steuerlager an ein in Deutschland gelegenes Steuerlager. Nach Ankunft des für den Transport eingesetzten Motorschiffs wurde das Gasöl in einen Tank der deutschen Steuerlagerinhaberin, einer GmbH & Co. KG (KG), gepumpt.

Bei der Mengenermittlung durch Bestimmung der Peilhöhe stellte die KG eine gegenüber den Angaben im elektronischen Verwaltungsdokument geringere Menge fest. Die ermittelte Fehlmenge betrug 0,202 % der angemeldeten Menge. Die festgestellte Mengendifferenz teilte die KG dem zuständigen Hauptzollamt (HZA) mit. Aufgrund der Überschreitung der von der deutschen Finanzverwaltung generell akzeptierten Toleranzgröße von 0,2 % setzte das HZA gegenüber der Klägerin Energiesteuer für denjenigen Teil der Fehlmenge fest, der die Toleranzgröße überstieg.

Die nach dem erfolglosen Einspruchsverfahren erhobene Klage hatte keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) urteilte, die Energiesteuer sei aufgrund einer im Steuergebiet eingetretenen Unregelmäßigkeit nach § 14 Abs. 2 des Energiesteuergesetzes (EnergieStG) entstanden, weshalb der angefochtene Steuerbescheid rechtmäßig sei. Der streitgegenständliche Teil der Sendung sei eine Fehlmenge, die auf eine Unregelmäßigkeit i.S.d. § 14 Abs. 1 EnergieStG zurückzuführen sei, denn hinsichtlich eines Teils der Beförderungsmenge sei das Steueraussetzungsverfahren nicht ordnungsgemäß beendet worden. Dabei könne ausgeschlossen werden, dass die Unregelmäßigkeit erst nach der Beförderung eingetreten sei. Die Mengenermittlung im Rahmen des Löschvorgangs gehöre zur Aufnahme im Lager des Empfängers i.S.d. § 11 Abs. 4 Satz 2 EnergieStG.

Gemäß § 14 Abs. 3 EnergieStG gelte die Unregelmäßigkeit als im Steuergebiet eingetreten. Im Streitfall seien darüber hinaus die Voraussetzungen des Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2008/118/EG (Richtlinie 2008/118/EG) des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG (Amtsblatt der Europäischen Union 2009 Nr. L 9/12) erfüllt, weil die Beförderung der Fehlmenge nicht i.S.d. Art. 20 Abs. 2 Richtlinie 2008/118/EG beendet worden sei und die Unregelmäßigkeit trotz der unbekannten Ursache der Fehlmenge eine Überführung des Gasöls in den steuerrechtlich freien Verkehr nach Art. 7 Abs. 2 Buchst. a Richtlinie 2008/118/EG zur Folge gehabt habe.

Da die Klägerin keine weiteren Erläuterungen zum Entstehen der Fehlmenge abgegeben habe, sei der ihr obliegende Nachweis einer Zerstörung oder eines Verlustes i.S.d. Art. 7 Abs. 4 Richtlinie 2008/118/EG nicht geführt worden. Da die zur Beförderung angemeldete Sendung unstreitig am Bestimmungsort eingetroffen sei, könne Art. 14 Abs. 4 Richtlinie 2008/118/EG keine Anwendung finden.

Entscheidung

Aus Sicht des BFH ist die rechtliche Würdigung des Streitfalls unionsrechtlich zweifelhaft, so dass das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt wurde.

Zur Begründung führt der BFH aus, dass die Vorschriften der Richtlinie 2008/118 EG in Bezug auf den vorliegenden Fall nicht eindeutig genug sind und legt dem EuGH vier Fragen zur Vorabentscheidung vor.

Zunächst wirft der BFH die Frage auf, ob Art. 10 Abs. 4 Richtlinie 2008/118 EG dahingehend auszulegen ist, dass dessen Voraussetzungen nur dann erfüllt sind, wenn die gesamte Menge der in einem Verfahren der Steueraussetzung beförderten Waren nicht an ihrem Bestimmungsort eingetroffen ist, oder ob die Regelung unter Berücksichtigung von Art. 10 Abs. 6 Richtlinie 2008/118/EG auch auf Fälle angewendet werden kann, bei denen nur eine Teilmenge der unter Steueraussetzung beförderten verbrauchsteuerpflichtigen Waren nicht am Bestimmungsort eintrifft. Nach Art. 10 Abs. 4 Richtlinie 2008/118 EG wird unter bestimmten Voraussetzungen eine Unregelmäßigkeit im Abgangsmitgliedstaat und zum Zeitpunkt des Beförderungsbeginns angenommen.

Die zweite Frage betrifft die Auslegung von Art. 20 Abs. 2 Richtlinie 2008/118/EG, nach dem die Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren in einem Verfahren der Steueraussetzung endet, wenn der Empfänger die verbrauchsteuerpflichtigen Waren übernommen hat. Der BFH wirft im Zusammenhang mit dem vorliegenden Fall die Frage auf, ob die Beförderung endet, wenn der Empfänger das bei ihm eingetroffene Transportmittel vollständig entladen hat, so dass die Feststellung einer Fehlmenge während des Entladevorgangs noch während der Beförderung erfolgt. Insofern soll der genaue Zeitpunkt der Beendigung der Beförderung klargestellt werden, um anschließend feststellen zu können, ob eine Unregelmäßigkeit während oder nach der Beförderung aufgetreten ist.

Mit der dritten Frage möchte der BFH wissen, ob bei der Auslegung von Art. 10 Abs. 2 i.V.m. Art. 7 Abs. 2 Buchstabe a Richtlinie 2008/118/EG die Erhebungskompetenz des Bestimmungsmitgliedstaats allein von der Feststellung des Eintritts einer Unregelmäßigkeit und der Unmöglichkeit der Ermittlung des Orts, an dem die Unregelmäßigkeit begangen worden ist, abhängig gemacht werden kann, oder ob zusätzlich die Feststellung erforderlich ist, dass die verbrauchsteuerpflichtigen Waren durch ihre Entnahme aus dem Verfahren der Steueraussetzung in den steuerrechtlich freien Verkehr überführt worden sind. Diese Frage betrifft mittelbar die Beweislastverteilung zwischen Unternehmen und Behörden.

Mit der vierten Frage möchte der BFH die Auslegung des Art. 7 Abs. 2 Buchstabe a Richtlinie 2008/118/EG dahingehend geprüft wissen, ob bei der Feststellung einer Unregelmäßigkeit nach Art. 10 Abs. 2 Richtlinie 2008/118/EG eine Überführung der in einem Verfahren der Steueraussetzung beförderten und am Bestimmungsort nicht eingetroffenen verbrauchsteuerpflichtigen Waren in den steuerrechtlich freien Verkehr in sämtlichen Fällen anzunehmen ist, in denen der in Art. 7 Abs. 4 Richtlinie 2008/118/EG vorgesehene Nachweis der vollständigen Zerstörung oder des unwiederbringlichen Verlustes der festgestellten Fehlmenge nicht erbracht werden kann.

Praxishinweis

Zwar betrifft der vorliegende Fall augenscheinlich die Energiesteuer, jedoch sind die mit den Vorlagefragen aufgeworfenen Fragen auch überwiegend auf die weiteren in der EU harmonisierten Verbrauchsteuern anwendbar. Die aufgeworfenen Fragen zu Teilmengen, zur genauen Bestimmung der Beendigung der Beförderung von verbrauchsteuerpflichtigen Waren in einem Verfahren der Steueraussetzung oder zu den Voraussetzungen für die Feststellung einer Unregelmäßigkeit sind sehr praxisrelevant.

Unabhängig von der Frage der Steuerschuldentstehung bei Fehlmengen sollten Unternehmen in jedem Fall sicherstellen, dass die in ihrem Macht- und Risikobereich liegenden Faktoren für Fehlmengen soweit wie möglich und zumutbar minimiert werden. Oftmals lassen sich im Sinne einer guten Verbrauchsteuer-Compliance durch Beseitigung von Prozessfehlstellungen, Kontrolle und Pflege von Stammdaten, ausreichende Schulung von Mitarbeitern und regelmäßige stichprobenweise Prüfung der einzelnen Vorgänge Fehler in den Daten oder Dokumenten erkennen, die zukünftig vermieden werden können.