EuGH zur Steuerbefreiung auf Lieferungen von Zahnersatz

Anmerkung zu EuGH, Urt. v. 26.02.2015, verb. Rs. C-144/13, C-154/13, C-160/13, VDP Dental Laboratory NV u.a.; Lieferungen von Zahnersatz durch Zahnärzte und Zahntechniker, Einfuhr, innergemeinschaftlicher Erwerb

Praxisproblem

Für die Lieferungen von Zahnersatz durch Zahnärzte und Zahntechniker sieht Art. 132 Abs. 1 Buchst. e MwStSystRL zwar eine zwingende Steuerbefreiung vor. Nach Art. 370 i.V.m. Anhang X Teil A Nr. 1 MwStSystRL können die Mitgliedstaaten jedoch eine (am 01.01.1978 geltende) Steuerpflicht dieser Lieferungen allerdings beibehalten. Hiervon macht Deutschland Gebrauch.

Fraglich ist, wie Art. 143 Abs. 1 Buchst. a und Art. 140 Buchst. a und b MwStSystRL im Fall von Zahnersatz auszulegen ist, wonach die Einfuhr bzw. der innergemeinschaftliche Erwerb von Gegenständen steuerfrei ist, wenn deren Inlandslieferung in jedem Fall steuerfrei ist. Der EuGH hatte dies in insgesamt drei Vorabentscheidungsersuchen zu klären, die zu einem Verfahren verbunden wurden.

Sachverhalt

In der Rs. C-144/13 handelt die Klägerin mit Zahnersatz. Sie lässt auf Bestellung von innerhalb und außerhalb der Niederlande niedergelassenen Zahnärzten Zahnersatz durch außerhalb der Niederlande – sowohl innerhalb als auch außerhalb der EU – niedergelassene zahntechnische Labors herstellen. Bei ihrer Umsatzsteuerklärung für das erste Quartal des Jahres 2006 ging die Klägerin für die in diesem Zeitraum in den Niederlanden erfolgten Lieferungen von Zahnersatz davon aus, dass diese Lieferungen nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. g Nr. 1 NL-MwStG steuerfrei sind. Ferner hatte die Klägerin die Umsatzsteuer, die ihr im Zusammenhang mit den in den Niederlanden durchgeführten Lieferungen von Zahnersatz in Rechnung gestellt wurde, als Vorsteuer abgezogen. Die niederländische Finanzbehörde war der Ansicht, dass die Klägerin kein Recht auf Vorsteuerabzug habe.

In der Rs. C-154/13 betreibt die Klägerin eine Zahnarztpraxis und tätigt steuerfreie Umsätze nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. g Nr. 1 NL-MwStG. Die Klägerin kaufte Zahnersatz von einem in Deutschland ansässigen Zahntechniker. Der deutsche Lieferant stellte ihr für die Lieferungen des Zahnersatzes keine MwSt in Rechnung. Die Klägerin führte hinsichtlich des erhaltenen Zahnersatzes keine MwSt für den innergemeinschaftlichen Erwerb ab. Die niederländische Finanzbehörde ging von der Steuerpflicht des innergemeinschaftlichen Erwerbs aus.

In der Rs. C-160/13 verkauft die Klägerin, eine Zahntechnikerin, Zahnersatz an zahntechnische Labore in den Niederlanden. Der Zahnersatz wird im Auftrag der Klägerin in Schweden durch ihre Muttergesellschaft A AB gefertigt, die ebenfalls Zahntechnikerin ist. Die Klägerin führte für die von der A AB bezogenen Lieferungen MwSt auf innergemeinschaftlichen Erwerb ab, legte aber gegen ihre Voranmeldung Einspruch ein, weil der innergemeinschaftliche Erwerb steuerfrei sei. Die niederländische Finanzbehörde machte geltend, dass der innergemeinschaftliche Erwerb nicht befreit sei, da die Lieferung von Zahnersatz in den Niederlanden nicht „in jedem Fall“ i.S.v. Art. 140 Buchst. a und b MwStSystRL befreit sei. Die Befreiung sei auf bestimmte Lieferungen von Zahnersatz beschränkt, nämlich Lieferungen von Steuerpflichtigen, die Zahnärzte oder Zahntechniker seien.

Entscheidung

Das vorlegende Gericht fragte den EuGH zu der Voraussetzung, dass eine Lieferung im Inland „in jedem Fall“ steuerfrei sein muss, ob der innergemeinschaftliche Erwerb und die Einfuhr von Zahnersatz der Steuerbefreiung nach Art. 140 Buchst. a und b MwStSystRL bzw. nach Art. 143 Buchst. a MwStSystRL unterliegen. Insbesondere wollte das vorlegende Gericht wissen, ob es darauf ankommt, dass der Zahnersatz aus dem Ausland durch einen Zahnarzt oder Zahntechniker und/oder an einen Zahnarzt oder Zahntechniker geliefert wird.

Der EuGH bejaht diese Frage. Die Formulierung „in ihrem jeweiligen Gebiet“ in Art. 140 Buchst. a und Art. 143 Buchst. a MwStSystRL bezieht sich auf den jeweiligen Mitgliedstaat der Einfuhr. Der innergemeinschaftliche Erwerb von Zahnersatz fällt nach dem EuGH-Urteil in den Anwendungsbereich der Steuerbefreiung nach Art. 140 Buchst. a, wenn der betreffende Mitgliedstaat nicht von der übergangsweisen Steuerpflicht nach Art. 370 i.V.m. Anhang X Nr. 1 MwStSystRL Gebrauch macht. Gleiches gilt für die Einfuhrfälle über Art. 143 Buchst. a MwStSystRL. Die Frage, ob die Steuerbefreiung von Zahnersatz voraussetzt, dass entsprechende Lieferungen durch Zahnärzte oder Zahntechniker erfolgen, beantwortet der EuGH mit dem Wortlaut von Art. 132 Abs. 1 Buchst. e, der genau dies bestimmt. Damit sind der innergemeinschaftlichen Erwerb und die endgültige Einfuhr von Zahnersatz durch Zahnärzte und Zahntechniker, sofern der Mitgliedstaat der Lieferung oder der Einfuhr nicht von der Übergangsregelung (d.h. der Steuerpflicht) Gebrauch gemacht hat, steuerfrei.

Zudem fragte das Gericht, ob die Steuerbefreiung auch für einen innergemeinschaftlichen Erwerb von Zahnersatz aus einem Mitgliedstaat gilt, der von der Ausnahmeregelung des Art. 370 MwStSystRL Gebrauch gemacht hat (Rs. C-154/13). Hierauf antwortet der EuGH, dass die im Bestimmungsmitgliedstaat geltende Regelung maßgeblich ist. Hat dieser (wie im Ausgangsfall die Niederlande) von Art. 370 i.V.m. Anhang X Nr. 1 MwStSystRL keinen Gebrauch gemacht und wendet er daher die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. e MwStSystRL vorgesehene Steuerbefreiung an, gelten auch die in Art. 140 Buchst. a und b geregelten Steuerbefreiungen des innergemeinschaftlichen Erwerbs.

Weiterhin wollte das vorlegende Gericht in der Rs. C-144/13 wissen, ob sich der Steuerpflichtige auch dann auf einen Vorsteuerabzug nach Art. 17 Abs. 1 und 2 der 6. EG-Richtlinie berufen kann, wenn das nationale Recht entgegen der Richtlinie eine – den Vorsteuerabzug ausschließende – Befreiung vorsieht. Die Frage, ob ein Steuerpflichtiger sowohl eine nationale (unionsrechtswidrige) Steuerbefreiung als auch das (unionsrechtmäßige) Recht auf Vorsteuerabzug in Anspruch nehmen darf, war dem EuGH auch im Verfahren C-319/12, MDDP vorgelegt worden. Dazu hatte der EuGH mit Urteil v. 28.11.2013 entschieden, dass das Unionsrecht es im Falle einer nationalen Steuerbefreiung, die unionsrechtswidrig ist, nicht zulässt, gleichzeitig eine Steuerbefreiung für einen Ausgangsumsatz und für damit zusammenhängende Eingangsumsätze den Vorsteuerabzug geltend zu machen. Diese Entscheidung hat der EuGH nunmehr bestätigt. In solchen Fällen kann man sich entweder nur auf nationales Recht oder nur auf das Unionsrecht berufen.

Praxishinweis

Das deutsche Umsatzsteuerrecht ist von dem Urteil unmittelbar betroffen, da Deutschland von der Möglichkeit des Art. 370 MwStSystRL Gebrauch gemacht hat und die Lieferung (als auch den innergemeinschaftlichen Erwerb und die Einfuhr) von Zahnersatz der Mehrwertsteuer unterwirft (vgl. § 4 Nr. 14 Buchst. a S. 2 UStG; zum ermäßigten Satz § 12 Abs. 2 Nr. 6 UStG).

In seinem Urteil v. 14.12.2006, C-401/05, VDP Dental Laboratory N) hatte der EuGH bereits entschieden, dass die Steuerbefreiung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. e der 6. EG-Richtlinie eng auszulegen ist und nur für Lieferungen von Zahnärzten und Zahntechnikern gilt. Daher können Lieferungen von Zahnersatz durch einen Zwischenhändler, der kein Zahnarzt oder Zahntechniker ist, nicht unter die Steuerbefreiung fallen.

Heilbehandlungsleistungen, die von Zahnärzten durchgeführt werden, sind grundsätzlich nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG steuerfrei. Dies gilt nicht für die Lieferung und Wiederherstellung von Zahnprothesen, andere Waren der Zahnprothetik sowie kieferorthopädische Apparate und Vorrichtungen, soweit diese im Unternehmen des Zahnarztes (wieder-)hergestellt wurden. Entsprechend Abschn. 4.14.3 UStAE sind zahnärztliche Leistungen regelmäßig umsatzsteuerfrei. Die Steuerfreiheit entfällt nur, wenn die Herstellung oder Wiederherstellung von Zahnprothesen, worunter beispielsweise Füllungen (Inlays) oder Dreiviertelkronen (Onlays) und kieferorthopädische Apparate fallen, im eigenen Unternehmen erfolgt; unerheblich dabei ist, ob die Arbeiten vom Zahnarzt selbst oder von angestellten Zahntechniker durchgeführt werden. Die selbst hergestellten Inlays, Onlays usw. unterliegen in diesem Fall dem ermäßigten Steuersatz gem. § 12 Abs. 2 Nr. 6 UStG.

In Abgrenzung dazu gehören zum Entgelt für umsatzsteuerfreie zahnärztliche Leistungen gem. Abschn. 4.14.3 Abs. 5 UStAE Pauschbeträge oder tatsächlich entstandene Kosten, die der Zahnarzt für folgende Leistungen berechnet: Abformmaterial zur Herstellung von Kieferabdrücken, Hülsen zum Schutz beschliffener Zähne für die Zeit von der Präparierung der Zähne bis zur Eingliederung der Kronen, nicht individuell hergestellte provisorische Kronen, Material für direkte Unterfütterung von Zahnprothesen sowie Versandkosten für die Übersendung von Abdrücken usw. an das zahntechnische Labor.