BFH zur umsatzsteuerrechtlichen Organschaft

Anmerkung zu: BFH, Urt. v. 19.01.2016, XI R 38/12

(vgl. auch den AWB Newsletter Februar 2016 zu weiteren Entscheidungen zum Thema „umsatzsteuerrechtliche Organschaft“)

Praxisproblem

Der BFH hatte mit Vorabentscheidungsersuchen v. 11.12.2013 in den Revisionssachen XI R 17/11 sowie v. 11.12.2013, XI R 38/12 dem EuGH (dort: verb. Rs C-108/14 und C-109/14, Beteiligungsgesellschaft LARENTIA + MINERVA mbH & Co. KG und Marenave Schiffahrts AG) Fragen zum Umfang des Vorsteuerabzugs einer geschäftsleitenden Holding gestellt. Außerdem ging es um die Problematik, ob eine Personengesellschaft Teil einer umsatzsteuerlichen Organschaft sein kann.

In der Revisionssache XI R 38/12 war die Klägerin eine Holding in der Rechtsform einer AG. Streitig war die Höhe des Vorsteuerabzugs aus Eingangsrechnungen im Zusammenhang mit der Kapitalbeschaffung in Form einer Aktienemission. Das eingeworbene Kapital diente zum Erwerb von Anteilen an Tochtergesellschaften, an die die Holding auch steuerpflichtige Dienstleistungen erbrachte. Da die Tochtergesellschaften in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG geführt wurden, war neben der Höhe des Vorsteuerabzugs streitig, ob die Tochtergesellschaften als Personengesellschaften in das Unternehmen der Klägerin als Organgesellschaften eingegliedert sein können, was wiederum Einfluss auf die Höhe des Vorsteuerabzugs aus den Kapitalbeschaffungskosten der Holding gehabt hätte.

Sachverhalt

Vorsteuerabzug

Der EuGH hatte mit Urteil v. 16.7.2015 entschieden, dass Eingriffe einer Holding in die Verwaltung von Gesellschaften, an denen sie Beteiligungen erworben hat, eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne von Art. 4 Abs. 2 der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 9 MwStSystRL) sind, wenn sie die Durchführung von Transaktionen einschließen, die nach der Richtlinie steuerbar sind, wie etwa administrative, finanzielle, kaufmännische und technische Dienstleistungen der Holdinggesellschaft an ihre Tochtergesellschaften. Die Kosten, die im Zusammenhang mit dem Erwerb von Beteiligungen an ihren Tochtergesellschaften von einer Holding getragen werden, die an deren Verwaltung teilnimmt und insoweit eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, sind als der wirtschaftlichen Tätigkeit der Holding zugeordnet anzusehen. Damit hatte der EuGH für diese Kosten ein vollständiges Vorsteuerabzugsrecht anerkannt. Ein nur teilweises Vorsteuerabzugsrecht kann sich nach der EuGH-Entscheidung nur auf der Basis von Art. 17 Abs. 5 der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 173 MwStSystRL) im Fall gemischter Ausgangsumsätze ergeben. Das heißt, ein teilweises Vorsteuerabzugsrecht kommt in diesen Fällen nur in Betracht, wenn einige der Ausgangsumsätze der Holding steuerfrei sind.

Organschaft

Zu der Organschaftsproblematik hatte der EuGH entschieden, dass Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 11 MwStSystL) im Unterschied zu anderen Bestimmungen der 6. EG-Richtlinie, insbesondere ihren Art. 28a und 28b (jetzt insbesondere Art. 138 ff. MwStSystRL), die sich ausdrücklich auf „juristische Personen“ beziehen, nicht per se Gesellschaften von seinem Anwendungsbereich ausschließt, die – wie die Kommanditgesellschaften im Streitfall des BFH – keine juristischen Personen sind. Auch sieht nach der Entscheidung Art. 4 Abs. 4 der 6. EG-Richtlinie insbesondere nicht vor, dass die Mitgliedstaaten verlangen könnten, dass ausschließlich juristische Personen Mitglieder einer Organschaft sein könnten.

Der BFH musste in seinem abschließenden Urteil prüfen, ob der Ausschluss von Personengesellschaften von der Eigenschaft als Organgesellschaften den in Art. 11 Abs. 2 MwStSystRL geregelten Zielen dient und eine für diese Ziele der Verhinderung missbräuchlicher Praktiken oder Verhaltensweisen und der Vermeidung von Steuerhinterziehung oder -umgehung erforderliche und geeignete Maßnahme ist. Art. 4 Abs. 4 der 6. EG-Richtlinie bringt nach dem EuGH-Urteil auch nicht zum Ausdruck, dass Organgesellschaften in einem Unterordnungsverhältnis zum Organträger stehen müssen.

Entscheidung

Vorsteuerabzug

Der BFH hat nunmehr entschieden, dass einer geschäftsleitenden Holding, die an der Verwaltung einer Tochtergesellschaft teilnimmt und insoweit eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, für Vorsteuerbeträge, die im Zusammenhang mit dem Erwerb von Beteiligungen an dieser Tochtergesellschaft stehen, grundsätzlich der volle Vorsteuerabzug zusteht. Da die AG im Streitfall aber neben den entgeltlichen administrativen und kaufmännischen Dienstleistungen an ihre Tochter-Personengesellschaften noch u.a. Kapital verzinslich bei einer Bank anlegte, steht der Holding insoweit kein Vorsteuerabzug zu. Die verzinsliche Anlage eines Teils des eingeworbenen Kapitals bei einer Bank ist nach dem BFH-Urteil ein umsatzsteuerfreier Umsatz, sodass die mit der Kapitalanlage in Zusammenhang stehende Vorsteuer (anteilig) nicht abziehbar ist. Auf die erforderliche Vorsteueraufteilung kann auch nicht aufgrund der Vereinfachungsregelung des § 43 UStDV verzichtet werden, weil die verzinsliche Anlage von Kapital nach dem Urteil zur Haupttätigkeit der Holding gehörte.

Organschaft

Hinsichtlich eines möglichen Organschaftsverhältnisses der Holding mit ihren Tochtergesellschaften in der Rechtsform der GmbH & Co. KG hat der BFH entschieden, dass § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG jedenfalls insoweit unionsrechtswidrig ist, als dort vorgesehen ist, dass eine GmbH & Co. KG allein aufgrund ihrer Rechtsform nicht Organgesellschaft sein kann. Dieser Ausschluss ist nach dem BFH-Urteil weder zur Verhinderung missbräuchlicher Praktiken oder Verhaltensweisen noch zur Vermeidung von Steuerhinterziehung oder -umgehung erforderlich und angemessen. Weiter hat der BFH entschieden, dass § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG richtlinienkonform dahingehend ausgelegt werden kann, dass der Begriff „juristische Person“ auch eine GmbH & Co. KG umfasst. Der BFH knüpft dabei an Rechtsprechung des BVerfG und des BVerwG an, die dieselbe Auslegung (Behandlung einer GmbH & Co. KG als juristische Person) in anderem Zusammenhang bereits ebenfalls vorgenommen hätten.

In diesem Zusammenhang hat der XI. Senat des BFH aber offen gelassen, ob er der Auffassung des V. Senats des BFH im Urteil v. 02.12.2015, V R 15/14 folgt, für das sich aus dem nationalen Recht ergebende Erfordernis einer Eingliederung mit Durchgriffsrechten i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG bestehe eine hinreichende Grundlage im Unionsrecht.

Praxishinweis

Organschaft

Mit diesem Urteil hat der XI. Senat sich einmal mehr (zwar im vorliegenden Streitfall nicht im Ergebnis, aber jedenfalls doch in der Begründung) von einer Rechtsauffassung des V. Senats des BFH abgesetzt.

In seinem Urteil v. 02.12.2015, V R 25/13 hatte der V. Senat des BFH entschieden, dass § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG mit der Verwendung der im Zivilrecht geläufigen Terminologie „juristische Person“ den darin ausgedrückten Tatbestand aufnimmt. Juristische Person sei daher eine Körperschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit, wie etwa eine GmbH oder eine AG. Personengesellschaften würden deshalb von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG nicht umfasst. Ferner hielt der BFH an seiner Rechtsprechung im Interesse einer einfachen und rechtssicheren Bestimmung des Steuerschuldners für den Organträger im Grundsatz fest, wonach eine Personengesellschaft nicht i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 1 UStG unselbstständig sein kann. Für den nationalen Gesetzgeber bestehe in Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 11 Unterabs. 2 MwStSystRL) eine hinreichende unionsrechtliche Grundlage, die Regelung zur Organschaft im Grundsatz auf die Eingliederung juristischer Personen zu beschränken. Diese Einschränkung dient nach dem BFH-Urteil v. 02.12.2015, V R 25/13 nicht dazu, die Umsatzbesteuerung rechtsformabhängig auszugestalten, sondern sie soll den unionsrechtlich auch vom EuGH anerkannten Präzisierungsvorbehalt rechtssicher ausfüllen. Während über die finanzielle Eingliederung einer juristischen Person rechtssicher, einfach und ohne Nachweisschwierigkeiten entschieden werden kann, trifft dies nach Auffassung des BFH auf die Personengesellschaft nicht zu. Jedoch kam der BFH zu dem Schluss, dass im Wege einer teleologischen Erweiterung von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG eine Personengesellschaft ausnahmsweise wie eine juristische Person als eingegliedert angesehen werden kann. Erforderlich ist danach, dass die finanzielle Eingliederung wie bei einer juristischen Person zu bejahen ist. Dies setze voraus, dass Gesellschafter der Personengesellschaft neben dem Organträger nur Personen sind, die nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind. Die erforderliche Durchgriffsmöglichkeit müsse selbst bei – der stets möglichen – Anwendung des Einstimmigkeitsprinzips bei Personengesellschaften gewährleistet sein. Treffe dies auf alle Gesellschafter der Personengesellschaft zu, könne der Organträger seinen Willen durchsetzen, sodass dem allgemeinen Einstimmigkeitsprinzip bei der Personengesellschaft von vornherein keine Bedeutung zukomme. Denn seien die Mitgesellschafter bei der Personengesellschaft finanziell in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert, sei das bei der Personengesellschaft grundsätzlich bestehende Einstimmigkeitserfordernis allgemein ungeeignet, einer Willensdurchsetzung des Organträgers bei der Organgesellschaft entgegenzustehen. Ist neben dem Organträger z.B. eine Personengesellschaft Mitgesellschafter, kommt es nach dem BFH-Urteil v. 02.12.2015, V R 25/13 dementsprechend darauf an, dass auch in Bezug auf deren Gesellschafter eine finanzielle Eingliederung ausnahmslos – in einer bis zum Organträger reichenden Organkette – zu bejahen ist.

Der XI. Senat des BFH verfolgt in der vorliegenden Entscheidung einen anderen Ansatz. Nach seiner Auffassung ergeben sich aus der Gesetzesbegründung zu § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG keine Hinweise darauf, dass mit der Beschränkung der Organgesellschaften auf „juristische Personen“ missbräuchliche Praktiken oder Verhaltensweisen und Steuerhinterziehung oder –umgehung verhindert werden sollten und damit diese Beschränkung unionsrechtskonform sein könnte. Der XI. Senat ist aber (anders als der V. Senat) der Auffassung, dass § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG richtlinienkonform dahingehend ausgelegt werden kann, dass der Begriff „juristische Person“ im Sinne dieser Vorschrift auch Personengesellschaften umfasst. Der BFH leitet dies methodisch im Wesentlichen aus der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG her, die bereits anerkannt habe, dass „juristische Personen“ auch Personengesellschaften sein könnten.

Der BFH folgt mit Blick auf das Unionsrecht – insbesondere unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Rechtsformneutralität – der Auffassung des FG München (Urt. v. 13.03.2013, 3 K 235/10, EFG 2013, 1434), dass „kapitalistisch strukturierte“ Personengesellschaften wie eine GmbH Co. KG in den persönlichen Anwendungsbereich von § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG fallen können. In der Rechtsprechung werde die GmbH & Co. KG der Form nach als Personengesellschaft gesehen; der Sache nach werde sie jedoch eher als GmbH gewertet. Steuerrechtlich seien die ehemals erheblichen Unterschiede zwischen einer GmbH und einer GmbH & Co. KG in vielerlei Hinsicht mittlerweile durch den Gesetzgeber eingeebnet worden. Die GmbH & Co. KG unterliege außerdem aufgrund der §§ 264a ff. des Handelsgesetzbuchs (HGB) weitgehend denselben Regeln der Rechnungspublizität und Prüfungspflicht wie eine Kapitalgesellschaft. Sie könne wie eine juristische Person unselbstständig dem Willen eines anderen Rechtsträgers (des Organträgers) unterworfen sein, da bei ihr lediglich eine GmbH und damit eine juristische Person als Komplementärin gem. § 164 HGB die Geschäfte führt.

Aus den Erwägungen des vorliegenden Urteils ist zu schließen, dass jedenfalls eine GmbH & Co. KG als Organgesellschaft in das Unternehmen eines Organträgers eingegliedert sein kann. Ob dies auch für Personengesellschaften in anderen Rechtsformen (wie z.B. reine KG oder OHG) gilt, bleibt aber weiter offen. Insoweit hilft ggf. nur die Entscheidung des BFH v. 02.12.2015, wonach Gesellschafter der Personengesellschaft neben dem Organträger nur Personen dürfen, die nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind. Sollte die Finanzverwaltung das vorliegende Urteil allgemein anwenden, würden sich in allen offenen Steuerfällen – unter den weiteren Voraussetzungen von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG – Organschaftsverhältnisse zu einer Tochtergesellschaft in Form einer GmbH & Co. KG mit allen damit verbundenen – positiven, aber auch negativen – Rechtsfolgen für die Beteiligten ergeben.

Vorsteuerabzug

Mit dem vorliegenden BFH-Urteil ist endgültig geklärt, dass einer Holding, die unternehmerisch tätig ist, weil sie ihren Tochtergesellschaften entgeltliche administrative und kaufmännische Dienstleistungen erbringt, für Vorsteuerbeträge, die im Zusammenhang mit dem Erwerb von Beteiligungen an dieser Tochtergesellschaft stehen, grundsätzlich der volle Vorsteuerabzug zusteht. Ungeklärt ist nach wie vor, in welchem Umfang solche entgeltlichen Leistungen erbracht werden müssen, bzw. von welcher wirtschaftlichen Bedeutung sie für die Tochtergesellschaften sein müssen. Fraglich ist z.B., ob eine Beschränkung der Holding darauf, die Buchführung ihrer Tochtergesellschaften zu übernehmen, bereits ausreichend ist. Dies dürfte an insbesondere an dem Organschaftskriterium der wirtschaftlichen Verbundenheit zu messen sein. Unbedeutende Tätigkeiten dürften nicht zu einer Vorsteuerabzugsberechtigung führen. Die Höhe des Entgelts für die Leistungen an eine Tochtergesellschaft alleine dürfte andererseits aber auch nicht ausschlaggebend sein.

Geklärt ist auch, dass sich bei Vorliegen steuerfreier Ausgangsumsätze der Holding die Notwendigkeit einer Vorsteueraufteilung nach § 15 Abs. 4 UStG ergibt. Werden Darlehen steuerpflichtig (Option nach § 9 UStG) an eine Tochtergesellschaft vergeben, ist die Holding auch insoweit bei Eingangskosten zum Vorsteuerabzug berechtigt. Entgeltliche Kapitalüberlassungen an die Tochtergesellschaft bzw. entgeltliche Kapitalüberlassungen an ein Kreditinstitut berechtigen die Holding, soweit sie steuerfrei sind, nicht zum Vorsteuerabzug. Kapitalüberlassungen an Kreditinstitute durch eine Holding führen nach dem vorliegenden BFH-Urteil nur dann nicht nach § 43 Nr. 3 UStDV zu einer Vorsteueraufteilung, wenn sie Hilfsumsätze sind. Diese Voraussetzung traf im Streitfall nicht zu. Hilfsumsätze liegen nach dem Urteil nicht vor, wenn die Tätigkeit die unmittelbare, dauerhafte und notwendige Erweiterung der steuerbaren Tätigkeit des Unternehmens darstellt (vgl. Abschn. 15.18 Abs. 5 UStAE). Hilfsumsätze dürfen nicht den eigentlichen Gegenstand des Unternehmens bilden. Im Ausgangsfall gehörten die Kapitalüberlassungen zur Haupttätigkeit der Holding, weil Gegenstand des Unternehmens u.a. der Erwerb und die Verwaltung von in- und ausländischen Finanzanlagen war. Auf die Frage, ob die Umsätze von Anfang an beabsichtigt oder Folge einer Erweiterung der steuerbaren Tätigkeit der Holding sind, kommt es nach dem BFH-Urteil nicht an.