BMF zur unionsrechtskonformen Auslegung des § 10 Abs. 5 UStG (Mindestbemessungsgrundlage)

Anmerkung zum BMF-Schreiben v. 23.2.02016, II C 2 - S 7208/11/10001

Praxisproblem

Die Bemessungsgrundlage für die Leistungen eines Unternehmers ist grundsätzlich das Entgelt, das der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten – abzüglich der Umsatzsteuer. Nur im Sonderfall der verbilligten Abgabe von Leistungen an den in § 10 Abs. 5 UStG benannten Personenkreis (z.B. Anteilseigner, Gesellschafter, Mitglieder und nahestehende Personen) ist die Mindestbemessungsgrundlage zu prüfen. Die Mindestbemessungsgrundlage soll Entgelte, die u.a. wegen naher verwandtschaftlicher Beziehungen ungewöhnlich niedrig bemessen sind, auf den Wert aufstocken, der für die betreffenden Leistungen bei Unentgeltlichkeit als Bemessungsgrundlage in Betracht käme. Die Aufstockung geschieht in der Weise, dass das vereinbarte Entgelt mit den nach § 10 Abs. 4 UStG zu ermittelnden Beträgen verglichen wird; der Umsatz ist jedoch höchstens nach dem marktüblichen Entgelt zu bemessen (Erweiterung des Regelungsinhalts des § 10 Abs. 5 UStG durch das KroatienAnpG zum 31.07.2014).

Die Mindestbemessungsgrundlage nach § 10 Abs. 5 UStG für folgende Umsätze:

  • Umsätze der in § 10 Abs. 5 Nr. 1 UStG genannten Vereinigungen an ihre Anteilseigner, Gesellschafter, Mitglieder und Teilhaber oder diesen nahestehende Personen;
  • Umsätze von Einzelunternehmern an ihnen nahestehende Personen;
  • Umsätze von Unternehmern an ihr Personal oder dessen Angehörige auf Grund des.

Als „nahestehende Personen“ sind Angehörige i.S.d. § 15 AO sowie andere Personen und Gesellschaften anzusehen, zu denen ein Anteilseigner, Gesellschafter usw. eine enge rechtliche, wirtschaftliche oder persönliche Beziehung hat. Ist das für die genannten Umsätze entrichtete Entgelt niedriger als die nach § 10 Abs. 4 UStG in Betracht kommenden Werte oder Ausgaben für gleichartige unentgeltliche Leistungen, sind als Bemessungsgrundlage die Werte oder Ausgaben nach § 10 Abs. 4 UStG anzusetzen.

§ 10 Abs. 5 UStG ist eine zulässige Sondermaßnahme i.S.d. Art. 395 Abs. 1 MwStSystRL (vorher Art. 27 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie), die auf einer Ermächtigung des Rates beruht und nur angewandt werden darf, soweit es zur Verhütung von Steuerhinterziehungen und Steuerumgehungen erforderlich ist; als bloße Vereinfachungsregelung für die Steuererhebung darf die Vorschrift nicht herangezogen werden (vgl. BFH, Urt. v. 24.01.2008, V R 39/06, BStBl. II 2009, 786). Durch Art. 80 MwStSystRL ist eine für die Mitgliedstaaten optionale unionsrechtliche Vorschrift zur Regelung der Mindestbemessungsgrundlage getroffen worden, die der Vorbeugung gegen Steuerhinterziehung oder –umgehung dient. Diese Vorschrift hat allerdings engere Voraussetzungen als § 10 Abs. 5 UStG. Art. 80 MwStSystRL setzt in den Buchstaben a und b für eine Mindestbesteuerung nach dem Normalwert („Fremdvergleichspreis“) voraus, dass bei niedrigerer Gegenleistung als dem Normalwert Leistungsempfänger oder Leistender „nicht zum vollen Vorsteuerabzug“ berechtigt sein dürfen.

Sachverhalt

Der BFH hatte sich in seinem Urteil v. 24.01.2008, V R 39/06, BStBl. II 2009, 786 dahingehend geäußert, dass die Gefahr von Steuerhinterziehungen und –umgehungen grundsätzlich nicht nur bei Leistungen an Personen, die nicht oder nur eingeschränkt zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, sondern auch bei Leistungen an Personen, die den Vorsteuerabzug nach § 15 UStG vollumfänglich in Anspruch nehmen können, existiert. Die Gefahr besteht in der Gestalt einer ggf. später vorzunehmenden Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach § 15a UStG bei einer Änderung der für den Vorsteuerabzug maßgeblichen Verhältnisse. Dies bedeutet, dass davon auszugehen ist, dass die Mindestbemessungsgrundlage grundsätzlich auch bei Leistungen zwischen voll zum Vorsteuerabzug berechtigten Unternehmern beachtet werden muss.

Der EuGH hatte sich in seinem Urteil v. 26.04.2012, C-621/10 und C-129/11, Balkan and Sea Properties mit der Möglichkeit einer Mindestbesteuerung auf Grundlage des Art. 80 Abs. 1 MwStSystRL befasst. Er verneinte die Anwendbarkeit des Art. 80 Abs. 1 MwStSystRL, wenn die Beteiligten zum Vorsteuerabzug berechtigt sind und daher keine Gefahr einer Steuerhinterziehung oder- umgehung durch Vereinbarung eines fremdunüblichen Entgelt besteht. Erst beim Endverbraucher oder bei einem eine „Mischung“ von Umsätzen bewirkenden Steuerpflichtigen könne ein künstlich hoher oder niedriger Preis zu einem Steuerausfall führen.

Mit Urteil v. 05.06.2014, XI R 44/12 hatte der BFH schließlich entschieden, dass die Mindestbemessungsgrundlage bei Leistungen an einen zum vollen Vorsteuerabzug berechtigten Unternehmer jedenfalls dann nicht anwendbar ist, wenn der vom Leistungsempfänger in Anspruch genommene Vorsteuerabzug keiner Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG unterliegt. Eine (mögliche) Berichtigung nach § 15a UStG beziehe sich auf den Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers und erfolge somit auf der Grundlage des Entgelts für die an diesen erbrachte Leistung. Wäre § 10 Abs. 5 Nr. 1 UStG aufgrund der Berechtigung des Leistungsempfängers zum Vorsteuerabzug nach § 15 UStG nicht anwendbar, würden Berichtigungen nach § 15a UStG auf der Grundlage eines Vorsteuerbetrags vorgenommen, der auf einem verbilligten Entgelt beruhe, woraus sich die Gefahr von Steuerumgehungen ergeben könnte. In dem entschiedenen Fall war der Leistungsempfänger zwar zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt, allerdings resultierte hieraus keine Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG. Demzufolge kam die Mindestbemessungsgrundlage im Streitfall nicht zur Anwendung.

Entscheidung

Mit dem BMF-Schreiben v. 23.02.2016 zur unionsrechtskonformen Auslegung des § 10 Abs. 5 UStG folgt die Verwaltung nunmehr der vorbezeichneten Rechtsprechung. Die Anwendung der Mindestbemessungsgrundlage nach § 10 Abs. 5 UStG setzt danach voraus, dass die Gefahr von Steuerhinterziehung oder -umgehungen besteht. Hieran fehlt es im Ergebnis, wenn die Umsatzsteuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen an eine in § 10 Abs. 5 UStG benannte Person höher wäre als für vergleichbare Umsätze mit Endverbrauchern. Insoweit ist der Umsatz höchstens nach dem marktüblichen Entgelt zu bemessen. Mit dem KroatienAnpG zum 31.07.2014 wurde die von der Rechtsprechung vorgegebene Deckelung der Umsatzbesteuerung auf das marktübliche Entgelt in § 10 Abs. 5 UStG verankert. Durch das BMF-Schreiben wurde die Verwaltungsauffassung in Abschn. 10.7 UStAE entsprechend angepasst.

Praxishinweis

Die Anwendung der Mindestbemessungsgrundlage setzt voraus, dass die Gefahr einer Steuerhinterziehung oder –umgehung besteht. Hieran fehlt es, wenn das vereinbarte Entgelt dem marktüblichen Entgelt entspricht oder der Unternehmer seine Leistung in Höhe des marktüblichen Entgelts versteuert. Insoweit ist der Umsatz höchstens nach dem marktüblichen Entgelt zu bemessen. Marktübliches Entgelt ist der gesamte Betrag, den ein Leistungsempfänger an einen Unternehmer unter Berücksichtigung der Handelsstufe zahlen müsste, um die betreffende Leistung zu diesem Zeitpunkt unter den Bedingungen des freien Wettbewerbs zu erhalten. Dies gilt auch bei Dienstleistungen z.B. in Form der Überlassung von Leasingfahrzeugen an Arbeitnehmer. Sonderkonditionen für besondere Gruppen von Kunden oder Sonderkonditionen für Mitarbeiter und Führungskräfte anderer Arbeitgeber haben daher keine Auswirkung auf das marktübliche Entgelt. Dies entspricht auch dem BFH-Beschluss v. 17.11.2015, XI B 52/15, mit dem die Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des FG Hessen v. 27.04.2015, 6 K 990/11 zur Anwendung der Mindestbemessungsgrundlage gem. § 10 Abs. 5 UStG und der Auswahl des Vergleichsmaßstabes zurückgewiesen wurde. Umsatzsteuerrechtlich bedeutsam sind die Ausführungen des BFH zum marktüblichen Entgelt. Danach beeinflussen Sonderkonditionen für besondere Gruppen von Kunden ebenso wenig wie Sonderkonditionen für Mitarbeiter und Führungskräfte anderer Arbeitgeber das marktübliche Entgelt. Streitig war in diesem Verfahren die umsatzsteuerrechtliche Angemessenheit von Leasingraten, die von den Mitarbeitern der Klägerin im Rahmen eines Mitarbeiter- und Führungskräfteleasings für die Überlassung von Fahrzeugen entrichtet wurden.

Beispiele

Fall

Vereinbartes Entgelt

Marktübliches Entgelt

Wert nach § 10 Abs. 4 UStG

Bemessungsgrundlage

1

10

20

15

15

2

12

10

15

12

3

12

12

15

12

4

10

12

15

12

Das Vorliegen und die Höhe eines die Mindestbemessungsgrundlage mindernden marktüblichen Entgelts sind vom Unternehmer darzulegen.

Der Anwendung der Mindestbemessungsgrundlage steht zwar nicht entgegen, dass über eine ordnungsgemäß erbrachte Leistung an einen vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmer abgerechnet wird. Sie ist jedoch bei Leistungen an einen zum vollen Vorsteuerabzug berechtigten Unternehmer dann nicht anwendbar, wenn der vom Leistungsempfänger in Anspruch genommene Vorsteuerabzug keiner Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG unterliegt. Dies ist der Fall, wenn die bezogene Leistung der Art nach keinem Berichtigungstatbestand des § 15a UStG unterfällt. Der BFH hat mit Urteil v. 05.06.2014, XI R 44/12 entschieden, dass es sich in den Fällen, in denen zwar der Leistungsempfänger zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt war, jedoch der Anwendungsbereich der Vorsteuerberichtigung i.S.d. § 15a UStG ausgeschlossen ist – d.h. gar nicht erst in Betracht kommt –, um keine der Steuerhinterziehung bzw. -umgehung betreffenden Sachverhalte handelt und somit die Mindestbemessungsgrundlage nicht anwendbar ist. Die Berichtigungsregelung des § 15a UStG erfasst nur die dort benannten Leistungen. Darüber hinaus ist § 15a UStG nicht anwendbar. Bestimmte sonstige Leistungen – wie z. B. eine Verpachtung – werden vom Anwendungsbereich des § 15a UStG nach derzeit geltender Gesetzeslage nicht tangiert (vgl. § 15a Abs. 4 UStG). Lediglich in diesen Fällen ist die Anwendung der Mindestbemessungsgrundlage nicht erforderlich. Die tatsächlichen Verhältnisse des Leistungsempfängers sind somit nur in den Fällen maßgeblich, in denen der Leistungsempfänger den Vorsteuerabzug nach § 15 UStG vollumfänglich in Anspruch genommen hat und der Anwendungsbereich der Vorsteuerberichtigung im Sinne des § 15a UStG bereits aufgrund der erbrachten Leistung ausgeschlossen ist.

Abnehmer, die ihre Vorsteuern nach Durchschnittssätzen entsprechend den Sonderregelungen nach §§ 23, 23a und 24 UStG ermitteln, sind keine zum vollen Vorsteuerabzug berechtigte Unternehmer.

Das marktübliche Entgelt wird durch im Einzelfall gewährte Zuschüsse nicht gemindert.

Beispiel:

Eine GmbH wird von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts (jPdöR) beauftragt, Leistungen auszuführen. Die jPdöR ist gleichzeitig Gesellschafterin der GmbH. Die Leistungen können – müssen jedoch nicht – den hoheitlichen Bereich der jPdöR betreffen. Für die Ausführung dieser Leistungen erhält die GmbH nicht steuerbare echte Zuschüsse von dritter Seite. Bei dem Entgelt, welches die Unternehmerin der Leistungsempfängerin in Rechnung stellt, handelt es sich um den um die echten Zuschüsse geminderten Betrag. Die GmbH würde gegebenenfalls auch einem Leistungsempfänger, welcher nicht Gesellschafter der GmbH ist, den um die Zuschüsse geminderten Betrag in Rechnung stellen.

Nach der o.g. Rechtsprechung zu § 10 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 UStG ist die Mindestbemessungsgrundlage für Leistungen, die Körperschaften im Rahmen ihres Unternehmens an ihre Gesellschafter ausführen, nur dann zu prüfen, wenn die Gefahr einer Steuerhinterziehung oder -umgehung besteht. Hieran fehlt es jedoch, wenn das vereinbarte Entgelt dem marktüblichen Entgelt entspricht. Dies dürfte in dem vorg. Beispiel nicht der Fall sein. Denn auch bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage nach § 10 Abs. 4 UStG zählen die Ausgaben zur Bemessungsgrundlage, die aus Zuschüssen finanziert worden sind (vgl. Abschn. 10.6 Abs. 3 Satz 7 UStAE).