BMF zum Vorsteuer-Vergütungsverfahren (§ 18 Abs. 9 UStG, §§ 59 bis 62 UStDV) bei Ausfuhrlieferungen und innergemeinschaftlichen Lieferungen

Anmerkung zum BMF-Schreiben v. 16.02.2016, III C 3 - S 7359/10/10003

Praxisproblem

Nach Art. 4 Buchst. b der RL 2008/9/EG betreffend das Vorsteuer-Vergütungsverfahren gegenüber EU-Unternehmern (ABl EU 2008 Nr. L 44/23) gilt die RL (und damit das Vorsteuer-Vergütungsverfahren) nicht für „in Rechnung gestellte Mehrwertsteuerbeträge für Lieferungen von Gegenständen, die gemäß Artikel 138 oder Artikel 146 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 2006/112/EG von der Steuer befreit sind oder befreit werden können“. Gleiches gilt nach Art. 171 Abs. 3 Buchst. a MwStSystRL für das Vorsteuer-Vergütungsverfahren nach der RL 86/560/EWG gegenüber Drittlandsunternehmern. Damit ist das Vergütungsverfahren unionsrechtlich ausgeschlossen für in Rechnung gestellte Umsatzsteuern für innergemeinschaftliche Lieferungen (Art. 138 MwStSystRL) und Ausfuhrlieferungen, bei denen der Abnehmer den Liefergegenstand befördert oder versendet (Art. 146 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL) und diese Lieferungen steuerfrei sind oder steuerbefreit sein könnten. Bisher hat das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) dennoch in solchen Fällen – unter den weiteren Voraussetzungen von § 18 Abs. 9 UStG und den §§ 59 ff UStDV – Vorsteuern vergütet.

Sachverhalt

In der bisherigen Praxis haben liefernde Unternehmer bisweilen auf die Steuerfreiheit für Ausfuhrlieferungen gem. § 4 Nr.1 Buchst. a i.V.m § 6 UStG und für innergemeinschaftliche Lieferungen gem. § 4 Nr.1Buchst. b i.V.m. § 6a UStG „verzichtet“, in dem von der Beschaffung entsprechender Nachweise/Belege bzw. der Aufzeichnung einer USt-IdNr. des Abnehmers abgesehen wurde. Grund, bewusst auf die o.a. Steuerbefreiungen zu „verzichten“, mag gewesen sein, dass einerseits die Beleg- und Nachweisführung für die Steuerfreiheit der Lieferung sehr aufwändig ist und andererseits das Risiko besteht, dass eine Lieferung durch die Finanzverwaltung zu einem späteren Zeitpunkt steuerpflichtig gestellt werden könnte, wenn nicht alle Nachweisvoraussetzungen erfüllt sind. In solchen Fällen stellten die liefernden Unternehmer Rechnungen mit deutscher Umsatzsteuer aus, die vom Leistungsempfänger im Vorsteuer-Vergütungsverfahren beim BZSt geltend gemacht werden konnte. Offenbar hat die Verwaltung es bisher nicht beanstandet, wenn ein Unternehmer seine Lieferungen so gestaltet, dass die Voraussetzungen z.B. für die Steuerbefreiung nach § 6a UStG nicht vorliegen und der Umsatz steuerpflichtig wird. Dabei bestand aber für den Fiskus (jedenfalls bei mangelnder Kommunikation zwischen dem BZSt und dem Finanzamt des Lieferers) das Risiko, dass der liefernde Unternehmer nach Vergütung der Vorsteuer an seinen Abnehmer die Voraussetzungen der Steuerbefreiung herbeiführen konnte, um dann seine Rechnung mit offenem Steuerausweis in eine Rechnung über eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung (ohne Umsatzsteuerausweis) zu ändern und dem Abnehmer Umsatzsteuer zu erstatten, die er ggf. vorher bereits vom BZSt erhalten hatte.

Daneben gilt festzuhalten, dass ein Verzicht auf die Steuerbefreiungen nach § 4 Nr. 1 Buchst. a, § 6 UStG oder § 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a UStG nicht möglich ist. Lediglich bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen oder bei fehlerhaften Buch- und Belegnachweis haben die Unternehmer steuerpflichtig abgerechnet, um Problemen in der eigenen Steuererklärung/Betriebsprüfung zu entgehen.

Entscheidung

Mit BMF-Schreiben v. 16.02.2016 ist nunmehr – EU-rechtlich den Regelungen in Art. 4 Buchst. b der RL 2008/9/EG und Art. 171 Abs. 3 Buchst. a MwStSystRL folgend – in Abschn. 18.11 Abs. 1a UStAE bestimmt worden, dass Vorsteuerbeträge, die in Rechnungen über Ausfuhrlieferungen oder innergemeinschaftliche Lieferungen gesondert ausgewiesen werden, nicht vergütet werden, wenn feststeht, dass die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 bis 3a UStG bzw. § 6a Abs. 1 und 2 UStG vorliegen. In diesen Fällen soll es sich für die Beurteilung des Vergütungsanspruchs im Vorsteuer-Vergütungsverfahren um eine unrichtig ausgewiesene Steuer nach § 14c Abs. 1 UStG handeln, die vom Leistungsempfänger nicht als Vorsteuer abgezogen werden kann (vgl. Abschn. 14c.1 Abs. 1 Satz 5 Nr. 3 und Satz 6 sowie Abschn. 15.2 Abs. 1 Sätze 1 und 2 UStAE) und die demnach im Vorsteuer-Vergütungsverfahren nicht vergütet werden kann. Die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung der Lieferung des leistenden Unternehmers soll dabei unberührt bleiben.

Praxishinweis

Art. 17 Abs. 4 Buchst. c der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 171 Abs. 3 Buchst. b MwStSystRL und Art. 4 Buchst. b der Richtlinie 2008/9/EG) sind auch als eine Art Strafvorschrift konzipiert worden. Es soll vermieden werden, dass liefernde Unternehmer grundsätzlich in Abholfällen die Steuerbefreiung z.B. für innergemeinschaftliche Lieferungen nicht anwenden, ihren ausländischen Abnehmern Umsatzsteuer in Rechnung stellen und diese somit in das Vorsteuer-Vergütungsverfahren zwingen, um von der in Rechnung gestellten und entrichteten Umsatzsteuer entlastet zu werden. Nach Sinn und Zweck der Regelungen ist eine Vergütung somit auch dann ausgeschlossen, wenn die Voraussetzungen z.B. für eine innergemeinschaftliche Lieferung augenscheinlich vorliegen, der Unternehmer aber Zweifel hat, ob sie tatsächlich gegeben sind, und er deshalb Umsatzsteuer in Rechnung stellt. In diesen Fällen war das bisherige Vorsteuer-Vergütungsverfahren in diesen Fällen wohl nicht vereinbar mit dem Unionsrecht.

Soweit die Voraussetzungen der Steuerbefreiung vorliegen bzw. nach dem objektiven Tatbestand gegeben sind, ist die Steuerbefreiung anzuwenden. In diesen Fällen bestand schon bisher unter Berücksichtigung des BFH-Urteils v. 02.04.1998, V R 34/97, BStBl. II, 695 kein Anspruch auf Vorsteuer-Vergütung. Soweit nicht nachgewiesen werden kann, dass die Voraussetzungen der Steuerbefreiung tatsächlich nicht vorliegen, kann nach dem Wortlaut der vorgenannten Vorschriften des Unionsrechts eine Vorsteuer-Vergütung ebenfalls nicht gewährt werden.

Wenn ein Gegenstand in einen anderen Mitgliedstaat steuerpflichtig unter gesondertem Ausweis der Umsatzsteuer geliefert worden ist und der Abnehmer als Antragsteller im Vorsteuervergütungsverfahren angibt, der gelieferte Gegenstand sei in den (seinen) Bestimmungsmitgliedstaat gelangt, liegen die Voraussetzungen der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a UStG trotz ggf. fehlender Buch und Belegnachweise aufgrund der objektiven Beweislage vor und somit ist für die Anwendbarkeit des Vorsteuer-Vergütungsverfahrens kein Raum.

Nach dem BMF-Schreiben ist im Ergebnis der gleiche Liefervorgang für Zwecke des Vorsteuer-Vergütungsverfahrens auf Seiten des Abnehmers als Antragsteller und für Zwecke der Beurteilung der Lieferung auf Seiten des Lieferers jeweils gesondert zu behandeln. Für die Beurteilung des Vergütungsanspruchs im Vorsteuer-Vergütungsverfahren soll es sich beim Ausweis der Umsatzsteuer in der Rechnung um eine unrichtig ausgewiesene Steuer nach § 14c Abs. 1 UStG handeln. Da nach dem BMF-Schreiben die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung der Lieferung des leistenden Unternehmers unberührt bleibt, kann dies auch bedeuten, dass der Umsatzsteuerausweis auf Seiten des Lieferers nicht als solcher nach § 14c UStG zu behandeln ist, sondern als „regulär“ geschuldete Umsatzsteuer. Dies ist in den Fällen, in denen der Lieferer z.B. mangels Mitwirkungsbereitschaft des Abnehmers den Buch- und Belegnachweis nicht vollständig führen kann, auch zutreffend. In einem solchen Fall ist die betreffende Lieferung auch nach der bisherigen BFH-Rechtsprechung steuerpflichtig. Kann der Lieferer zu einem späteren Zeitpunkt den Buch- und Belegnachweis führen, kann er dem Abnehmer die zunächst in Rechnung gestellte Umsatzsteuer erstatten, ohne die diesbezüglichen Restriktionen in § 14c UStG für die Steuerberichtigung beachten zu müssen. Infolge der Nichtanwendung des Vergütungsverfahrens kommt es künftig jedenfalls nicht zu etwaigen Doppelbegünstigungen des Abnehmers.

Das BMF-Schreiben hebt für die Nichtanwendung des Vergütungsverfahrens auf die Fälle ab, in denen feststeht, dass die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 bis 3a UStG bzw. § 6a Abs. 1 und 2 UStG vorliegen. Dies können Fälle der objektiven Beweislage sein, ohne dass der liefernde Unternehmer den Buch- und Belegnachweis vollständig geführt hat. Die Nichtanwendung des Vergütungsverfahrens kommt aber in jedem Fall auch dann in Betracht, wenn die Beleg- und Buchnachweisführung beim Lieferer vollständig ist und dieser „zur Vorsicht” über seine Lieferung mit Umsatzsteuerausweis abgerechnet hat. In solchen Fällen dürfte die ausgewiesene Steuer unrichtig im Sinne von § 14c Abs. 1 UStG sein.

Das BMF-Schreiben geht hinsichtlich der Ausfuhrlieferungen etwas über den unionsrechtlichen Rahmen hinaus, als dort nur die Ausfuhrlieferungen angesprochen sind, bei denen der Abnehmer den Liefergegenstand befördert oder versendet. Allerdings ist die unionsrechtliche Einschränkung nicht ohne Weiteres nachvollziehbar. Ausfuhrlieferungen, bei denen der Lieferer befördert oder versendet und über die steuerpflichtig abgerechnet wird, dürften für den Abnehmer erst recht nicht zu einem Vorsteuer-Vergütungsverfahren führen können.

Besonders zu beachten ist allerdings, dass die Finanzverwaltung diese Grundsätze nur für das Vorsteuer-Vergütungsverfahren regelt.