BFH zum Vorsteuerabzug bei der Einfuhrumsatzsteuer

Anmerkung zu: BFH, Urt. v. 11.11.2015 V R 68/14; der Betreiber eines Zolllagers ist nicht zum Abzug der Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer berechtigt.

Praxisproblem

Ein Zolllagerbetreiber kann als Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer nach Art. 203 Abs. 3, 4. Spiegelstrich ZK i.V.m. § 21 Abs. 2 UStG in Anspruch genommen werden, wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen wird, da er zu den Personen gehört, die die Verpflichtungen einzuhalten haben, die sich aus der vorübergehenden Verwahrung einer einfuhrabgabenpflichtigen Ware oder aus der Inanspruchnahme eines Zollverfahrens ergibt. Wird er wegen seines Verstoßes gegen diese Verpflichtung als Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer in Anspruch genommen, stellt sich für den Zolllagerbetreiber die Frage, ob er zur Verringerung seines Schadens zum Vorsteuerabzug betreffend die Einfuhrumsatzsteuer hinsichtlich der zollamtlichen Überwachung entzogenen Waren berechtigt ist. Der BFH hat nun entschieden, dass dem Zolllagerbetreiber in einem derartigen Fall kein Vorsteuerabzugsrecht zusteht.

Sachverhalt

Die Klägerin betrieb ein Zolllager Typ D, in dem sie Waren einer Schwestergesellschaft sowie Waren zweier anderer GmbHs einlagerte.

Das Hauptzollamt (HZA) stellte Fehlmengen fest und setzte gegenüber der Klägerin aufgrund einer Bestandsaufnahme Einfuhrumsatzsteuer (EUSt) fest. Grundlage für das Entstehen der EUSt war ein Entziehen von Nichtgemeinschaftsware aus der zollamtlichen Überwachung. Die Klägerin entrichtete die EUSt in Teilbeträgen in den Streitjahren 2002 bis 2008 und nahm im Umfang dieser Zahlungen den Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) vor. Den Vorsteuerabzug beanstandete das Finanzamt/FA, da der Klägerin nicht die nach der Rechtsprechung des BFH für den Vorsteuerabzug aus Einfuhrumsatzsteuer erforderliche Verfügungsmacht zugestanden habe. Einspruch und Klage beim FG hatten keinen Erfolg. Das Verfahren ruhte beim BFH, bis der EuGH mit Urteil v. 25.06.2015 in der Rs. C-187/14, DSV Road A/S entschieden hatte.

Entscheidung

Der BFH hat in diesem Rechtsstreit entschieden, dass die das Zollager betreibende Klägerin nicht zum Vorsteuerabzug aus der ihr gegenüber festgesetzten Einfuhrumsatzsteuer berechtigt ist.

1. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG in der Fassung vor dem Jahr 2004 konnte der Unternehmer „die entrichtete Einfuhrumsatzsteuer für Gegenstände, die für sein Unternehmen in das Inland eingeführt worden sind“, als Vorsteuer abziehen. Seit 2004 bestand das Abzugsrecht des Unternehmers für „die entrichtete Einfuhrumsatzsteuer für Gegenstände, die für sein Unternehmen nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 eingeführt worden sind“.

§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG beruht unionsrechtlich zunächst auf Art. 17 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG und ab 2007 auf Art. 168 Buchst. e MwStSystRL. Durch den Übergang von der Richtlinie 77/388/EWG zur MwStSystRL ist es nicht zu inhaltlichen Änderungen gekommen. Unionsrechtlich besteht danach das Abzugsrecht des Steuerpflichtigen (Unternehmers), für „die Mehrwertsteuer, die für die Einfuhr von Gegenständen in diesem Mitgliedstaat geschuldet wird oder entrichtet worden ist“, soweit „die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden“.

2. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH setzt der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG voraus, dass dem Unternehmer die Verfügungsmacht an dem eingeführten Gegenstand zusteht. Hieran hat sich durch die in 2004 in Kraft getretene Neuregelung nichts geändert. Sowohl nach alter als auch nach neuer Rechtslage kommt es auf eine Einfuhr für das Unternehmen des Abzugsberechtigten an.

3. Der Senat hält an seiner ständigen Rechtsprechung – unter Aufgabe der im Urteil v. 23.09.2004, V R 58/03 geäußerten Zweifel – auch unter Berücksichtigung der sich aus dem Unionsrecht ergebenden Vorgaben fest.

a) Zum Unionsrecht hat der EuGH im Urteil DSV Road A/S (EU:C:2015:421) entschieden, dass Art. 168 Buchst. e MwStSystRL einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die den Abzug der vom Beförderer (der betreffenden Waren, der nicht deren Einführer oder Eigentümer ist, sondern sie lediglich befördert und die Zollabfertigung ihres Versands im Rahmen seiner mehrwertsteuerpflichtigen Beförderungstätigkeit vorgenommen hat) geschuldeten Einfuhrumsatzsteuer ausschließt. Zur Begründung weist der EuGH darauf hin, dass ein Recht auf Vorsteuerabzug nur besteht, soweit die eingeführten Gegenstände für die Zwecke der besteuerten Umsätze des Steuerpflichtigen verwendet werden. Nach ständiger EuGH-Rechtsprechung zum Recht auf Abzug der für den Erwerb von Gegenständen oder Dienstleistungen entrichteten Mehrwertsteuer sei diese Voraussetzung nur erfüllt, wenn die Kosten der Eingangsleistungen Eingang in den Preis der Ausgangsumsätze oder in den Preis der Gegenstände oder Dienstleistungen fänden, die der Steuerpflichtige im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten liefere oder erbringe. Daher bestehe kein Abzugsrecht nach Art. 168 Buchst. e MwStSystRL, wenn der Wert der beförderten Waren nicht zu den Kosten gehöre, die in die von einem Beförderer, dessen Tätigkeit sich auf die entgeltliche Beförderung dieser Waren beschränke, in Rechnung gestellten Preise einflössen.

Dementsprechend verneint der EuGH das Abzugsrecht des Beförderers, der Nichtgemeinschaftsware in einem zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren befördert, wobei er die sich aus diesem Verfahren ergebenden Verpflichtungen verletzt und deshalb in Bezug auf die von ihm beförderte Ware für Zoll und Einfuhrumsatzsteuer in Anspruch genommen wird.

b) Die EuGH-Rechtsprechung gibt keinen Anlass, auf das Auslegungsmerkmal der Verfügungsmacht zu verzichten. Es ist lediglich unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils DSV Road A/S (EU:C:2015:421) dahingehend zu präzisieren, dass die für den Vorsteuerabzug aus Einfuhrumsatzsteuer gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG maßgebliche Einfuhr für das Unternehmen des Abzugsberechtigten dann vorliegt, wenn die Einfuhrumsatzsteuer Eingang in den Preis der Ausgangsumsätze oder in den Preis der Gegenstände oder Dienstleistungen findet, die der Steuerpflichtige im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten liefert bzw. erbringt.

4. Im Streitfall gehört die Einfuhrumsatzsteuer nicht zu den Kostenelementen der unternehmerischen Tätigkeit der Klägerin als Betreiberin eines Zolllagers. Für sie gilt dasselbe wie für den Beförderer eingeführter Gegenstände, für den der EuGH im Urteil DSV Road A/S den Vorsteuerabzug aus der Einfuhrumsatzsteuer verneint. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Weiterbelastung von Kosten durch den Beförderer oder Lagerhalter an den jeweiligen Auftraggeber.

5. Die hiergegen gerichteten Einwendungen der Klägerin greifen nicht durch. Allein das Entstehen der Einfuhrumsatzsteuer reicht für einen Vorsteuerabzug nach dem EuGH-Urteil DSV Road A/S gerade nicht aus. Soweit die Klägerin nunmehr geltend macht, dass ihr die nach der bisherigen BFH-Rechtsprechung maßgebliche Verfügungsmacht zugestanden habe, handelt es sich um neuen Sachvortrag, der im Revisionsverfahren nicht zu berücksichtigen ist.

Praxishinweis

Der BFH hat in diesem Urteil die Entscheidungsgründe des EuGH-Urteils in der Rs. DSV Road A/S, C-187/14 zur Versagung des Vorsteuerabzugs der Einfuhrumsatzsteuer bei einem Transport- und Logistikunternehmen auf einen Zolllagerbetreiber übertragen. Aus diesen beiden Entscheidungen ergibt sich nunmehr, dass sämtliche nur mit der Beförderung oder Lagerung von Nichtgemeinschaftsware betrauter Personen im Falle der Entstehung der Umsatzsteuerschuld in ihrer Person, nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind. Es fehlt ihnen an der Verfügungsmacht an den eingeführten Waren, die nur dann gegeben ist, wenn die Einfuhrumsatzsteuer Eingang in den Preis der Ausgangsumsätze oder in den Preis der Gegenstände oder Dienstleistungen findet, die sie im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeiten liefern bzw. erbringen. Mit dieser Entscheidung wurden die enormen finanziellen Risiken von Zoll-Dienstleistern unterstrichen, wenn sie Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer aufgrund von Pflichtverletzungen werden. Aus diesem Grund erhöhen sich die Compliance -Anforderungen an die jeweiligen Dienstleister, dass es erst gar nicht zu Pflichtverletzungen und zur Entstehung von Einfuhrumsatzsteuer in ihrer Person nach Art. 203 ZK kommt. Außerdem sollten Gestaltungen überlegt werden, wenn die Zoll-Dienstleistungstätigkeit und der Erwerb und die Veräußerung der Ware von unterschiedlichen Gesellschaften innerhalb eines Konzerns erbracht werden und diese Trennung nicht aus anderen Gründen zwingend erforderlich ist, diese Leistungen in einem Unternehmen zu bündeln, um im Falle der Inanspruchnahme hinsichtlich der Einfuhrumsatzsteuer auch Verfügungsmacht an den Gegenständen für den Vorsteuerabzug zu haben.

Allerdings sollten die anhängigen Verfahren beim EuGH in den Rs. C-226/14 und C-228/14 beachtet werden.