BFH zur steuerfreien Übernahme von Verbindlichkeiten

Anmerkung zu: BFH, Urt. v. 30.11.2016, V R 18/16

Praxisproblem

Die Frage, ob eine Vermietung oder Verpachtung eines Grundstücks i.S.d. § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG vorliegt, richtet sich nicht nach den Vorschriften des nationalen Zivilrechts, sondern nach Unionsrecht (vgl. etwa BFH, Urt. v. 28.05.2013, XI R 32/11, BStBl. II 2014, 411). Der Vermietung eines Grundstücks gleichzusetzen ist der Verzicht auf Rechte aus dem Mietvertrag gegen eine Abstandszahlung (vgl. EuGH, Urt. v. 15.12.1993, C-63/92, Lubbock Fine, BStBl. II 1995, 480). Eine Dienstleistung, die darin besteht, dass eine Person, die ursprünglich kein Recht an einem Grundstück hat, aber gegen Entgelt die Rechte und Pflichten aus einem Mietvertrag über dieses Grundstück übernimmt, ist nicht von der Umsatzsteuer befreit (vgl. EuGH, Urteile v. 09.10.2001, C-409/98, Mirror Group und C-108/99, Cantor Fitzgerald International; vgl. auch Abschn. 4.12.1 UStAE).

Sachverhalt

Der BFH hatte über folgenden Fall zu entscheiden. Der Kläger hatte sich gegenüber einem Grundstückseigentümer dazu verpflichtet, bestimmte Leerstandsflächen in einem Gewerbegebäude für fünf Jahre zu mieten. Hierfür hatte der Kläger eine einmalige Vergütung erhalten, die der Summe der von ihm anschließend zu entrichtenden Nettomieten entsprach. Der Kläger erzielte durch die Anlage der einmaligen Vergütung als Festgeld bei einer Bank einen Zinsgewinn. Der Grundstückseigentümer war aufgrund seiner zusätzlichen Vermietungen an den Kläger in der Lage, das Grundstück an einen Dritten zu verkaufen. Das FA ging davon aus, dass der Kläger aufgrund der Vereinbarung mit dem Grundstückseigentümer eine steuerbare und steuerpflichtige Leistung erbracht habe. Nach dem Urteil des FG Berlin-Brandenburg (EFG 2016, 1112) erbrachte der Kläger eine steuerbare Leistung. Der Grundstückseigentümer habe durch die Bereitschaft des Klägers, den Mietvertrag gemäß den Vorgaben des Grundstückseigentümers abzuschließen, einen Vorteil mit wirtschaftlichem Gehalt erlangt, da der Erwerber des Grundstücks ein Interesse an einer möglichst hohen Vermietungsquote geäußert hatte. Der Mietvertrag sollte die geforderte Vermietungsquote herstellen, ohne dass ein Interesse an der Vermietung bestimmter Gebäudeteile bestanden habe. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH habe der Grundstückseigentümer nicht dafür gezahlt, dass der Kläger mit ihm für die Laufzeit des Mietvertrags ein Mietverhältnis unterhielt, sondern dafür, dass der Kläger sich bereit erklärte, ein solches Mietverhältnis über die vereinbarte Laufzeit unter Stellung einer Mietsicherheit mit dem Erwerber durchzuführen, obwohl der Kläger an der Anmietung von Fläche nicht interessiert gewesen sei. Dadurch sei dem Grundstückseigentümer ein verbrauchbarer Vorteil zugeflossen, da er nunmehr den Kaufvertrag mit dem Erwerber abschließen konnte. Die Leistung des Klägers sei auch nicht gem. § 4 Nr. 8 Buchst. g des UStG steuerfrei. Die dort vorgesehene Steuerfreiheit für die Übernahme von Verbindlichkeiten, von Bürgschaften und anderen Sicherheiten sowie die Vermittlung dieser Umsätze erfasse nicht die Eingehung gegenseitiger Verträge. Die Leistung habe auch nicht den Charakter eines Finanzgeschäfts, da das Eingehen eines Mietvertrags kein banktypisches Geschäft sei und sich nicht im Hin- und Herbewegen von Kapital erschöpfe.

Entscheidung

Der BFH hat entschieden, dass die Leistung, gegen Entgelt ein Mietverhältnis einzugehen, nach § 4 Nr. 8 Buchst. g UStG steuerfrei ist. Der Kläger sei durch den Mietvertrag gem. § 535 Abs. 2 BGB als Mieter verpflichtet worden, dem Vermieter die vereinbarte Miete zu entrichten. Mit seiner Leistung gegen Entgelt, einen Mietvertrag als Mieter abzuschließen, habe der Kläger somit i.S.v. § 4 Nr. 8 Buchst. g UStG eine Verbindlichkeit begründet und entsprechend der EuGH-Rechtsprechung (EuGH, Urt. v. 19.04.2007, C-455/05, Velvet & Steel Immobilien) eine Geldverbindlichkeit übernommen. Sie unterscheide sich von den durch ihre Erfüllung begründeten Verbindlichkeiten aus dem Mietvertrag.

Praxishinweis

Das BFH-Urteil steht offenbar im Gegensatz zu Abschn. 4.12.1 Abs. 1 Satz 8 UStAE. Denn nach dem dort zitierten EuGH-Urteil v. 09.10.2001, C-409/98, Mirror Group ist eine Dienstleistung nicht steuerfrei, die darin besteht, dass eine Person gegen Entgelt die Rechte und Pflichten aus einem Mietvertrag übernimmt. Im dortigen Ausgangsfall hatte der Unternehmer als Gegenleistung für den Abschluss eines Mietvertrags über mehrere Stockwerke in einem Gebäude vom Grundstückseigentümer eine Geldzahlung erhalten. Der EuGH hatte entschieden, dass in einem solchen Fall eine Dienstleistung des Unternehmers an den Grundstückseigentümer vorliegen kann, die „als steuerpflichtige Werbedienstleistung betrachtet werden“ kann und die jedenfalls keine steuerfreie Vermietung und Verpachtung von Grundstücken ist. Weder der EuGH noch die Beteiligten hatten im Verfahren C-409/98 eine mögliche Steuerbefreiung der Leistung nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL angesprochen. Zwar mag im Fall des BFH-Urteils V R 18/16 der Kläger nicht offenkundig dieselbe Stellung eines „Prestigemieters“ wie im Fall des EuGH-Urteils C-409/98 haben, der mit seinem Einzug in das Gebäude andere Mieter anzieht. Doch durch die Belegung bisheriger Leerstandsflächen infolge des anschließenden Mietvertrags dürfte der Kläger das Gebäude als Mieter in vergleichbarer Weise wie im EuGH-Urteil C-409/98 attraktiver gemacht haben, weil der Käufer des Grundstücks an einer möglichst hohen Vermietungsquote interessiert war. Insofern ist es erstaunlich, dass der BFH sich in seiner Entscheidung nicht mit den Grundsätzen des (vom FG noch angesprochenen) EuGH-Urteils C-409/98 auseinandergesetzt hat.

Nach Abschn. 4.8.11 UStAE ist die Übernahme anderer Verpflichtungen als bloßer Geldverpflichtungen, wie z.B. die Verpflichtung zur Renovierung einer Immobilie, keine nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL steuerfreie Finanzdienstleistung. Nach Auffassung des BFH im Urteil V R 18/16 hat die Leistung des Klägers darin bestanden, ein Mietverhältnis als Mieter einzugehen. Damit habe er eine Geldverpflichtung zu übernommen, was eine steuerfreie Finanzdienstleistung darstelle. Man kann aber auch zu dem Ergebnis gelangen, in dem vom BFH entschiedenen Fall habe sich der Unternehmer nicht dazu verpflichtet, Geldverpflichtungen (aus einem Mietvertrag) zu übernehmen, sondern eher dazu, durch die Bereitschaft zum Abschluss eines Mietvertrags für den Eigentümer die Veräußerbarkeit des Grundstücks herzustellen. Wie im Fall des EuGH-Urteils C-408/98 könnte es sich dabei um eine Leistung eigener Art handeln, die jedenfalls keine Finanzdienstleistung wäre. Außerdem erwachsen aus der Unterschrift unter einen Mietvertrag nicht nur die periodisch zu leistenden Zahlungsverpflichtungen, sondern auch sonstige Pflichten, die sich typischerweise aus einem Mietverhältnis ergeben.

Es bleibt abzuwarten, ob die Finanzverwaltung das BFH-Urteil im BStBl. II veröffentlicht und damit für allgemein anwendbar erklärt. Für Betroffene ist das Urteil aber auf jeden Fall relevant und eine Prüfung der eigenen Situation sinnvoll.

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