EuGH zum Vorsteuerabzug bei Zweifeln an der vom Rechnungsaussteller erbrachten Leistung

Anmerkung zu: EuGH, Beschl. v. 10.11.2016, C-446/15, Signum Alfa Sped Kft.

Praxisproblem

Der EuGH hatte zum Recht auf Vorsteuerabzug für den Fall zu entscheiden, dass die in Rechnung gestellten wirtschaftlichen Vorgänge zwar tatsächlich stattgefunden haben, nach den Feststellungen der Steuerbehörden aber nicht vom Rechnungsaussteller erbracht wurden. Streitig war auch der Umfang der Nachweispflichten des den Vorsteuerabzug begehrenden Steuerpflichtigen und der Steuerbehörde.

Sachverhalt

Die Klägerin ist im Straßengüterverkehr tätig. Sie hatte zwei Unternehmen mit Beförderungen von Kies und Abfallmaterial beauftragt und machte aus den Rechnungen der Auftragnehmer unter Vorlage der Beförderungsverträge und der mit den Rechnungen verbundenen Erfüllungsbescheinigungen den Vorsteuerabzug geltend.

Das Finanzamt versagte den Vorsteuerabzug. Die leistenden Unternehmer seien nicht existent bzw. ihr Sitz sei nicht feststellbar oder es handele sich um Scheinfirmen. Das Finanzamt ging davon aus, dass die auf den Rechnungen genannten wirtschaftlichen Vorgänge stattgefunden hätten, stellte aber aufgrund der angeführten Umstände in Bezug auf die Rechnungsaussteller fest, dass die Rechnungen in Wirklichkeit nicht von den Unternehmern erstellt worden seien, die dort als Rechnungsausteller genannt würden. Die Geschäftsvorgänge seien daher nicht zwischen den auf den Rechnungen als deren Aussteller genannten Parteien und der Klägerin zustande gekommen, so dass die wirtschaftlichen Vorgänge fiktiv seien. Weil die wirtschaftlichen Vorgänge nicht in Übereinstimmung mit den Angaben auf den Rechnungen stattgefunden hätten, sei die Feststellung der gebotenen Sorgfalt begrifflich ausgeschlossen. Von der erforderlichen Umsicht könne nicht ausgegangen werden, wenn die Rechnungen nicht den Rechtsvorschriften entsprächen, es keine Erfüllungsbescheinigungen gebe oder diese, wenn es sie gebe, unvollständig seien oder in den geschlossenen Verträgen die Unterschrift oder der Stempel der anderen Partei fehlten. Die Klägerin habe nicht mit der gebotenen Sorgfalt gehandelt, weil sie aufgrund der Umstände gewusst habe, dass die Geschäftsvorgänge nicht zwischen ihr und den beiden Auftragnehmern stattgefunden hätten.

Entscheidung

Der EuGH hat das Verfahren durch mit Gründen versehenen Beschluss (Art. 99 Verfahrensordnung des EuGH) entschieden, der nicht in alle Amtssprachen übersetzt wird, da die gestellten Vorlagefragen zweifelsfrei auf Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des EuGH beantwortet werden konnten. Der Beschluss ist nur auf Französisch und Ungarisch verfügbar.

In seinem Beschluss verweist der EuGH auf seine ständige Rechtsprechung zu den allgemeinen Grundsätzen und Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs, zur Versagung des Vorsteuerabzugs bei Betrugsbeteiligung und zu den Nachforschungspflichten des Steuerpflichtigen und verweist hierfür insbesondere auf seine Urteile bzw. Beschlüsse in den Rechtssachen C-285/11, Bonik, C-324/11, Tóth, C-18/13, Maks Pen, C-33/13, Jagiello, C-80/11 und C-142/11, Mahagében und Dávid und C-277/14, PPUH Stehcemp.

In Bezug auf das Ausgangsverfahren geht er offenbar davon aus, dass die materiellen und formellen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug vorlagen. Zum Vorbringen der Steuerbehörden, wonach die Rechnungsaussteller nicht über die personellen und materiellen Ressourcen zur Ausführung der abgerechneten Leistungen verfügt hätten und wonach beim Rechnungsaussteller eine Reihe von Unregelmäßigkeiten festgestellt worden seien, verweist er auf die Zuständigkeit der nationalen Gerichte für die Beweiswürdigung.

Für die Feststellung, ob der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass die Umsätze in einen Betrug des Rechnungsausstellers einbezogen sind, seien die Feststellungen der Steuerbehörden über die Identität des tatsächlichen Leistungserbringers ohne Relevanz.

Der EuGH kommt zu dem Ergebnis (Beschlusstenor), dass die Bestimmungen der MwStSystRL dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Praxis entgegenstehen, nach der die Steuerbehörden einem Steuerpflichtigen das Recht auf Vorsteuerabzug für an ihn erbrachte Dienstleistungen mit der Begründung versagen, dass diese Dienstleistungen nicht wie auf der Rechnung angegeben vom Rechnungsaussteller erbracht worden sein können. Etwas anderes gelte nur, wenn aufgrund objektiver Anhaltspunkte und ohne von dem Steuerpflichtigen ihm nicht obliegende Überprüfungen zu fordern dargelegt wird, dass der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass diese Dienstleistungen im Zusammenhang mit einer Mehrwertsteuerhinterziehung steht, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist.

Praxishinweis

Das Verfahren wies viele Parallelen zu den EuGH-Verfahren in den Rechtssachen C-18/13, Maks Pen und C-33/13, Jagiello sowie C-277/14, PPUH Stehcemp auf. In der Sache C-18/13, Maks Pen hatte der EuGH zum Nachweis über die tatsächliche Erbringung der bezogenen Leistungen auf seine Rechtsprechung zur Beteiligung an einer Mehrwertsteuerhinterziehung verwiesen. Danach kann der Vorsteuerabzug nur versagt werden, wenn aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass der Unternehmer wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit dem Erwerb der Gegenstände bzw. Inanspruchnahme der Dienstleistungen an einem Umsatz beteiligte, der in eine begangene Steuerhinterziehung einbezogen war. Hinsichtlich der Beurteilung des vorgelegten Einzelfalles hatte der EuGH auf die Zuständigkeit des nationalen Gerichts verwiesen. In dieser Sache hatte der EuGH auch festgestellt, dass folgender Umstand für sich genommen nicht ausreicht, das Recht auf Vorsteuerabzug zu versagen:

  • dass die erbrachte Leistung nicht tatsächlich von dem in den Rechnungen angegebenen Leistenden oder seinem Subunternehmer bewirkt worden sein soll, weil diese nicht über das erforderliche Personal sowie die erforderlichen Sachmittel und Vermögenswerte verfügt hätten,
  • die Kosten ihrer Leistung in ihrer Buchführung nicht dokumentiert worden seien oder
  • die Unterschrift der Personen, die bestimmte Dokumente als Leistende unterzeichnet hätten, sich als falsch erwiesen habe.

Die Sache C-33/13, Jagiello hatte der EuGH unter Verweis auf seine bisherige Rechtsprechung mit Beschluss entschieden und festgestellt, dass es unzulässig ist, einem Unternehmer das Recht auf Vorsteuerabzug für von ihm geschuldete oder entrichte Mehrwertsteuer auf bezogene Waren mit der Begründung zu versagen, angesichts von Hinterziehungen oder Unregelmäßigkeiten durch den Aussteller dieser Rechnung werde der in der Rechnung ausgewiesene Umsatz als nicht tatsächlich bewirkt betrachtet, es sei denn, es steht aufgrund objektiver Umstände und ohne dass vom Rechnungsempfänger Nachprüfungen verlangt werden, zu denen er nicht verpflichtet ist, fest, dass der Rechnungsempfänger wusste oder hätte wissen müssen, dass der angeführte Umsatz in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat.

In diesem Sinne hatte der EuGH auch zuletzt in seinem Urteil v. 22.10.2015, C-277/14, PPUH Stehcemp festgestellt, dass das Recht auf Vorsteuerabzug nicht mit der Begründung versagt werden darf, dass die Rechnung von einem Wirtschaftsteilnehmer ausgestellt wurde, der nach nationalem Recht als ein nicht existenter Wirtschaftsteilnehmer anzusehen ist, und dass es unmöglich ist, die Identität des tatsächlichen Lieferers der Gegenstände festzustellen. Etwas anderes gilt nur, wenn aufgrund objektiver Anhaltspunkte und ohne von dem Steuerpflichtigen ihm nicht obliegende Überprüfungen zu fordern dargelegt wird, dass dieser Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass diese Lieferung im Zusammenhang mit einer Mehrwertsteuerhinterziehung steht, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist.

Es war nicht zu erwarten, dass der EuGH im vorliegenden Fall neue, über seine bisherige Rechtsprechung hinausgehende Grundsätze aufstellen würde.

Die Entscheidung hat allerdings erhebliche Relevanz für Unternehmen, denen der Vorsteuerabzug versagt werden soll, weil an Rechnungsangaben gezweifelt wird. Hier gilt es erneut den Einzelfall zu betrachten und die Leitlinien der EuGH Rechtsprechung heranzuziehen, welche dem Vorsteuerabzugsrecht einen hohen Stellenwert einräumen.

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