EuGH zur Unternehmereigenschaft einer öffentlichen Einrichtung

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 19.1.2017, C-344/15, National Roads Authority

Praxisproblem

Der EuGH hatte über die Frage zu entscheiden, ob gem. Art. 13 Abs. 1 RL MwStSystRL eine öffentliche Einrichtung, die Straßenmautgebühren erhebt, als Unternehmer anzusehen ist, wenn die gleiche Tätigkeit (für den Betrieb anderer Straßen) auch von privaten Betreibern wahrgenommen wird.

Sachverhalt

Die Klägerin, eine irische Straßenbehörde (NRA), verlangte von der Finanzverwaltung die Rückzahlung von Mehrwertsteuer für den Erhebungszeitraum Juli/August 2010 mit der Begründung, sie habe zwar Mehrwertsteuer auf die von ihr für zwei mautpflichtige Straßen erhobenen Mautgebühren an die Revenue Commissioners abgeführt, gelte jedoch als Einrichtung des öffentlichen Rechts in Bezug auf die Tätigkeit der Gewährung des Zugangs zu Straßen gegen Zahlung solcher Mautgebühren nicht als Steuerpflichtige.

Die Hauptaufgabe der Klägerin besteht darin, die Verfügbarkeit eines sicheren und effizienten Netzes von Nationalstraßen in Irland zu gewährleisten. Sie hat die Gesamtverantwortung für Planung und Überwachung von Bau und Unterhaltung der Nationalstraßen. Das irische Recht bestimmt, dass nur eine „Straßenbehörde“ („road authority”) eine Mautregelung für eine öffentliche Straße ausarbeiten und sodann erlassen kann, durch die eine solche öffentliche Straße nach dem gesetzlichen Verfahren zu einer mautpflichtigen Straße wird.

Im vorliegenden Verfahren geht es um zwei Straßen, für die die Klägerin Mautgebühren erhebt. Ansonsten gibt es derzeit acht mautpflichtige Straßen in anderen Regionen in Irland, die von privaten Betreibern betrieben werden und deren Mautgebühren mit Mehrwertsteuer belastet sind.

Die Finanzbehörde vertrat den Standpunkt, dass Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL auf die Klägerin Anwendung finde und dass eine Behandlung der Klägerin als Nichtsteuerpflichtige in Bezug auf die von ihr erhobenen Mautgebühren an den beiden betreffenden mautpflichtigen Straßen zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde.

Das Vorlagegericht fragte den EuGH, ob in der Situation des Ausgangsverfahrens, dass es private  Einrichtungen gibt, die Mautgebühren an verschiedenen mautpflichtigen Straßen erheben, die Vermutung einer Wettbewerbsverzerrung nach Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL eintreten kann, obwohl es (a) keinen tatsächlichen Wettbewerb zwischen der Klägerin und den betreffenden privaten Betreibern gibt und geben kann und (b) keinen Beleg dafür gibt, dass eine realistische Möglichkeit besteht, dass ein privater Betreiber in den Markt eintreten könnte, um eine mautpflichtige Straße zu bauen und zu betreiben, die mit der von der Klägerin betriebenen mautpflichtigen Straße im Wettbewerb stehen würde.

Entscheidung

Der EuGH hat (ausgehend davon, dass das Vorlagegericht das vorlegende Gericht unzweideutig davon ausging, dass die NRA im Rahmen der öffentlichen Gewalt handelt, wenn sie die Tätigkeit der Bereitstellung von Straßenanlagen gegen Zahlung einer Maut ausführt) entschieden, dass diese Tätigkeit als in den Anwendungsbereich von Art. 13 Abs. 1 MwStSystRL fallend anzusehen ist. Zu Frage einer etwaigen Wettbewerbssituation hat der EuGH mit Bezug auf seine bisherige Rechtsprechung wiederholt, dass eine rein theoretische, durch keine Tatsache, kein objektives Indiz und keine Marktanalyse untermauerte Möglichkeit für einen privaten Wirtschaftsteilnehmer, in den relevanten Markt einzutreten, nicht mit dem Vorliegen eines potenziellen Wettbewerbs gleichgesetzt werden kann. Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL und der zu dieser Bestimmung ergangenen Rechtsprechung des EuGH sei zu entnehmen, dass die Anwendung dieser Bestimmung zum einen voraussetzt, dass die betreffende Tätigkeit im – gegenwärtigen oder potenziellen – Wettbewerb mit einer von privaten Wirtschaftsteilnehmern durchgeführten Tätigkeit ausgeübt wird, und zum anderen, dass die unterschiedliche Behandlung dieser beiden Tätigkeiten in mehrwertsteuerlicher Hinsicht zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führt, die unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Faktoren zu beurteilen sind. Hieraus ergibt sich nach dem vorliegenden Urteil, dass das bloße Vorhandensein privater Wirtschaftsteilnehmer auf einem Markt ohne Berücksichtigung von Tatsachen, objektiven Indizien und einer Analyse dieses Marktes weder das Bestehen eines gegenwärtigen oder potenziellen Wettbewerbs noch das Vorliegen einer größeren Wettbewerbsverzerrung belegen kann.

Ausgehend von dem Ausgangsfall, dass private Betreiber in Irland nur dann in den Markt der Bereitstellung von Straßenanlagen gegen Zahlung einer Maut eintreten können, wenn die NRA ihnen hierfür eine Genehmigung erteilt und die Letztverantwortung hinsichtlich der Nationalstraßen stets bei der NRA verbleibt, sodass sie verpflichtet ist, das ordnungsgemäße Funktionieren dieser Straßen zu gewährleisten, wenn der private Betreiber seinen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen will oder dies nicht mehr kann, hat der EuGH entschieden, dass die NRA ihre Tätigkeit der Bereitstellung von Straßenanlagen gegen Zahlung einer Maut im Rahmen der eigens für sie geltenden rechtlichen Regelung ausübt. Daher kann – so der EuGH – nicht davon ausgegangen werden, dass diese Tätigkeit im Wettbewerb mit der Tätigkeit der privaten Betreiber ausgeübt wird, die darin besteht, Mautgebühren auf anderen mautpflichtigen Straßen gemäß einem Vertrag mit der NRA nach nationalen Rechtsvorschriften zu erheben. Zudem liege auch kein potenzieller Wettbewerb vor, da die Möglichkeit für die privaten Betreiber, die betreffende Tätigkeit unter denselben Bedingungen auszuüben wie die NRA, rein theoretisch sei. Somit ist Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL auf eine Situation, in der zwischen der betreffenden Einrichtung des öffentlichen Rechts und den privaten Betreibern kein tatsächlicher – gegenwärtiger oder potenzieller – Wettbewerb besteht, nicht anwendbar.

Praxishinweis

Das Urteil hat für das deutsche Recht (§ 2b UStG) insoweit Bedeutung, als es um den Begriff der Wettbewerbsverzerrung im Rahmen der Tätigkeit einer öffentlichen Einrichtung ging. Das Ausgangsverfahren war zwar ein spezifischer Einzelfall und der EuGH ist keine Tatsacheninstanz. Er hat dem Vorlagegericht jedoch Auslegungshinweise zum Wettbewerbsbegriff in Art. 13 MwStSystRL gegeben. Da nach der Entscheidung eine Wettbewerbssituation gar nicht vorliegt, musste der EuGH nicht darüber befinden, wann von einer größeren Wettbewerbsverzerrung im Sinne von Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL auszugehen ist.

Zu Mautgebühren hatte der EuGH bisher entschieden, die gebührenpflichtige Überlassung von Straßen, Tunnels und Brücken ist eine wirtschaftliche (unternehmerische) Tätigkeit. Eine solche strecken- oder fahrzeugtypenabhängige Maut begründet einen Leistungsaustausch und von daher ist die Überlassung eines Straßennetzes für sich genommen ein steuerbarer Umsatz. Eine hoheitliche, nicht umsatzsteuerbare Tätigkeit liegt (wie im jetzt entschiedenen Fall) nur dann vor, wenn die Straßennetzbetreiber öffentlich-rechtliche Einrichtungen sind und im Rahmen besonderer gesetzlicher Regelungen tätig werden. Sind die Betreiber keine öffentlichen Einrichtungen, ist ihre Tätigkeit auch dann unternehmerisch, wenn für die Tätigkeit besondere rechtliche Bestimmungen gelten (vgl. z.B. EuGH, Urt. v. v. 12.09.2000, C-276/97, Kommission / Frankreich; EuGH, Urt. v. 12.09.2000, C-358/97, Kommission / Irland). Was unter größeren Wettbewerbsverzerrungen zu verstehen ist, hat der EuGH bisher und auch jetzt wieder nicht präzisiert. Konstatiert wird lediglich die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Besteuerung solcher Fälle. Die Mitgliedstaaten sind jedoch nicht verpflichtet, dieses Kriterium wörtlich in ihr nationales Recht zu übernehmen oder quantitative Grenzen festzulegen. Zum räumlich relevanten Markt zur Feststellung größerer Wettbewerbsverzerrungen vgl. EuGH, Urt. v. 13.12.2007, C-408/06, Götz.

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