EuGH zur Übertragung von Treibhausgasemissionszertifikaten

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 08.12.2016, C-453/15, A, B

Praxisproblem

Nach deutschem Recht gilt die Übertragung von Treibhausgasemissionszertifikaten an Unternehmer (§ 3a Abs. 2 UStG) und an im Drittlandsgebiet ansässige Nichtunternehmer (§ 3a Abs. 4 Nr. 1 UStG) als an dem Ort erbracht, an dem der Leistungsempfänger ansässig ist. Entsprechend dem BMF-Schreiben vom 02.02.2005 (BStBl. 2005 I, 494) stellt die Übertragung von Treibhausgasemissionsberechtigungen eine sonstige Leistung dar, bei der sich der Leistungsort bei der Übertragung von einem Unternehmer an einen anderen Unternehmer regelmäßig dort befindet, wo der Leistungsempfänger seinen Sitz oder eine Betriebsstätte hat, an die die Leistung erbracht wird (§ 3a Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 Nr. 1 UStG in der bis 31.12.2009 geltenden Fassung). Diese Auffassung vertritt z.B. auch das FG Düsseldorf in seinem Urteil v. 21.6.2013, 1 K 2550/11 U.

Bei dem Vorabentscheidungsersuchen des BGH ging es um den Leistungsort für die entgeltliche Übertragung von Treibhausgasemissionszertifikaten i.S.v. Art. 3 Buchst. a der Richtlinie 2003/87/EG v. 13.10.2003 (ABl. EU v. 25.10.2003 Nr. L 275, 32). Streitig war, ob es sich bei Treibhausgasemissionszertifikaten um ein „ähnliches Recht“ i.S.v. Art. 56 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL in der bis 31.12.2009 geltenden Fassung handelt und ob sich demnach der Leistungsort am Sitz des Dienstleistungsempfängers befindet (jetzt Art. 59 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL für Leistungen an Nichtsteuerpflichtige außerhalb der EU; für Leistungen an Steuerpflichtige gilt jetzt Art. 44 MwStSystRL).

Sachverhalt

Der Vorlagebeschluss des BGH stand im Zusammenhang mit einem Revisionsverfahren, in dem sich die Angeklagten gegen ihre Verurteilung durch das Landgericht wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung wendeten. Dabei ging es um Transaktionen im Rahmen eines grenzüberschreitenden Umsatzsteuer-Betrugssystems, in das eine in Deutschland ansässige GmbH als sog. Missing Trader eingebunden war. Diese GmbH übertrug u.a. in den Monaten April und Mai 2009 Treibhausgasemissionszertifikate an ein luxemburgisches Unternehmen, welches ebenfalls Teil des Betrugssystems war. Das luxemburgische Unternehmen erteilte der deutschen GmbH hierfür Gutschriften mit Ausweis deutscher Umsatzsteuer. Die Angeklagten bestätigten in einem für den Initiator des Betrugssystems erstellten Kurzgutachten, dass das luxemburgische Unternehmen nur dann zum Ausweis deutscher Umsatzsteuer und Abzug dieser als Vorsteuer berechtigt ist, wenn es in Deutschland über eine Betriebsstätte verfügt. Nach den Feststellungen des LG stand jedoch fest, dass das luxemburgische Unternehmen in den Monaten April und Mai 2009 in Deutschland über keine Betriebsstätte verfügte.

Nachdem den Angeklagten ein rückdatierter Vertrag über die Anmietung von Büroräumen in Deutschland ab 01.04.2009 vorgelegt worden war, erstellten sie für das luxemburgische Unternehmen Umsatzsteuer-Voranmeldungen für April und Mai 2009, in denen die in den Gutschriften ausgewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuer abgezogen wurde. Das LG wertete die Erstellung und Einreichung der Voranmeldungen als Beihilfe zur Steuerhinterziehung und verurteilte die Angeklagten entsprechend. In dem Revisionsverfahren argumentierten die Angeklagten, dass Treibhausgasemissionszertifikate kein „ähnliches Recht“ i.S.v. Art. 56 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL in der bis 31.12.2009 geltenden Fassung seien und sich der Leistungsort nicht in Luxemburg, sondern am Sitz der die Zertifikate übertragenden GmbH in Deutschland befinde.

Entscheidung

Der EuGH hat entschieden, dass es sich bei CO2-Emissionszertifikaten um „ähnliche Rechte“ i.S.v. Art. 56 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL i.d.F. bis 31.12.2009 handelt und demzufolge das Bestimmungslandprinzip Anwendung findet. Er begründet sein Ergebnis im Wesentlichen mit dem Ziel der Ortsregelungen, wonach die Besteuerung nach Möglichkeit an dem Ort erfolgen soll, an dem die Gegenstände verbraucht oder die Dienstleistungen in Anspruch genommen werden sollen. Da die Übertragung der Zertifikate zwingend in das Emissionshandelsregister eingetragen wird, könnten die Identität und der Ort der wirtschaftlichen Tätigkeit des Erwerbers und damit das Bestimmungsland leicht und mit großer Sicherheit bestimmt werden. Auch würden die Zertifikate grundsätzlich an dem Ort verwendet, an dem der Erwerber seine wirtschaftliche Tätigkeit ausübe. Die Lösung entspreche zudem den nationalen Bestimmungen der überwiegenden Mehrheit der Mitgliedstaaten.

Praxishinweis

Das Urteil entspricht der deutschen Verwaltungsauffassung. Anzumerken ist, dass nach den seit 01.01.2010 geltenden Ortsregeln für Dienstleistungen an einen anderen Unternehmer grundsätzlich das Empfängerortprinzip (Art. 44 MwStSystRL/§ 3a Abs. 2 UStG) gilt. Die Feststellungen des EuGH sind noch für die Anwendung von Art. 59 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL relevant, da Gegenstand dieser Ortsregel ebenfalls die Abtretung und Einräumung von Urheberrechten, Patentrechten, Lizenzrechten, Fabrik- und Warenzeichen sowie ähnlichen Rechten ist. Allerdings dürfte die Anwendung dieser Ortsregel auf die Übertragung von CO2-Emissionszertifikate keine praktische Bedeutung haben, da diese Ortsregel nur für Dienstleistungen an Nichtunternehmer außerhalb der EU gilt.

Der EuGH hatte sich bisher noch nicht mit der Frage beschäftigt, was zu den „ähnlichen Rechten“ i.S.v. Art. 56 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL in der bis 31.12.2009 geltenden Fassung (jetzt Art. 59 Abs. 1 Buchst. a) zählt. Es war aber wenig zweifelhaft, dass er entscheiden würde, dass Treibhausgasemissionszertifikate dazu gehören.

In Rz. 39 seines Urteils v. 03.09.2009, C-37/08, RCI Europe hatte der EuGH darauf hingewiesen, dass die Erhebung der Mehrwertsteuer nach den Überlegungen, die den Bestimmungen über den Ort der Dienstleistung zugrunde liegen, nach Möglichkeit an dem Ort erfolgen soll, an dem die Gegenstände verbraucht oder die Dienstleistungen in Anspruch genommen werden. Dass Verschmutzungsrechte eher von dem verbraucht werden, der sie erwirbt, als von dem, der sie ungenutzt verkauft, ist offensichtlich.

Die Einstufung von Treibhausgasemissionszertifikaten als „ähnliches Recht“ i.S.v. Art. 56 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL dürfte auch der Regelungsabsicht des Unionsgesetzgebers entsprechen. In Erwägungsgrund Nr. 3 der Richtlinie 2008/8/EG v. 12.02.2008 (ABl. EU v. 20.02.2008 Nr. L 44 S. 11), mit der zum 01.01.2010 ein Großteil des sog. EU-Mehrwertsteuerpakets in Kraft gesetzt wurde, heißt es: „Alle Dienstleistungen sollten grundsätzlich an dem Ort besteuert werden, an dem der tatsächliche Verbrauch erfolgt“. Dienstleistungen an Steuerpflichtige fallen nunmehr generell unter die B2B-Grundregel des Art. 44 MwStSystRL.

Da sich der Leistungsort für die Übertragung von Treibhausgasemissionszertifikaten nach diesem Konzept am Ort des Leistungsempfängers befindet und somit in grenzüberschreitenden Fällen nach Art. 196 MwStSystRL bereits das Reverse-Charge-Verfahren gilt, musste der Unionsgesetzgeber als Reaktion auf die starke Zunahme betrügerischer Aktivitäten in diesem Bereich nur noch die Rechtsgrundlage für die Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens für die Fälle schaffen, in denen leistender Unternehmer und Leistungsempfänger in demselben Mitgliedstaat ansässig sind. Dies hat er mit der Richtlinie 2010/23/EU v. 16.03.2010 (ABl. EU v. 20.3.2010 Nr. L 72, S. 1) getan.

Auch nach der Leitlinie zur 75. Sitzung des MwSt-Ausschusses (veröffentlicht auf der Homepage der GD TAXUD der EU-Kommission) stellen Übertragungen von Treibhausgasemissionszertifikaten, die entgeltlich durch einen Steuerpflichtigen durchgeführt werden, eine steuerbare Erbringung von Dienstleistungen dar, die unter Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der 6. EG-Richtlinie (später Art. 56 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL) fallen. Zwar sind Leitlinien des MwSt-Ausschusses weder für die EU-Kommission noch für die Mitgliedstaaten verbindlich. In ihren Schlussanträgen vom 31.01.2013 in der Rechtssache C-155/12, RR Donnelley Global Turnkey Solutions Poland hatte sich die Generalanwältin Kokott aber explizit dafür ausgesprochen, dass der EuGH die Leitlinien des MwSt-Ausschusses – jedenfalls seit sie die EU-Kommission veröffentlicht – als Hilfsmittel der Auslegung verwendet.

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