BFH zu Verzögerungsgeld bei unzureichender Mitwirkung

Anmerkung zu: BFH, Urt. v. 24.04.2014, IV R 25/11, Zu den Grundsätzen der Ausübung des Entschließungs- und Auswahlermessens bei der Festsetzung eines Verzögerungsgelds – Zuständigkeit

Praxisproblem

Im Rahmen einer Außenprüfung hat der Steuerpflichtige seiner Mitwirkungspflicht (§ 200 (1) AO) nachzukommen. Hierzu zählen u.a. die Erteilung von Auskünften oder die Vorlage von Unterlagen. Kommt der Steuerpflichtige seiner Mitwirkungspflicht innerhalb einer angemessenen Frist nicht nach (§ 146 Abs. 2b AO), kann das Finanzamt gegen ihn ein Verzögerungsgeld von 2.500 bis 250.000 Euro festsetzen. Das Entschließungsermessen seitens des FA wird fehlerhaft ausgeübt, wenn ausgehend von einer Vorprägung des Ermessens jede Verletzung der Mitwirkungspflichten (§ 200 (1) AO) grundsätzlich zur Festsetzung eines Verzögerungsgeldes führt.

Sachverhalt

Die Klägerin ist seit dem 02.12.2008 Rechtnachfolgerin der OHG, welche im November 2008 durch Rechtsformwechsel der GbR entstanden ist. Das Finanzamt ordnete mit Bescheid vom 08.10.2008 eine Außenprüfung für die Jahre 2002 bis 2004 bei der GbR an, welche am 02.12.2008 beginnen sollte. Der Einspruch hiergegen wurde mit Einspruchsentscheidung abgewiesen. Das angestrengte Klageverfahren gegen die Prüfungsanordnung erledigte sich, nachdem das Finanzamt eingeräumt hatte, dass die Einspruchsentscheidung dem falschen Inhaltsadressaten und damit nicht wirksam bekanntgegeben worden sei.

Am 09.12.2009 teilte das FA der Klägerin mit, dass mit der Außenprüfung am 11.01.2010 begonnen werde. In diesem Schreiben forderte das Finanzamt die Klägerin zur Abgabe von Unterlagen auf. Mit Schreiben vom 22.12.2009 beantragte die Klägerin eine Verschiebung des Prüfungsbeginns wegen des Erziehungsurlaubs der zuständigen Bearbeiterin und des unvorhergesehenen Ausfalls weiterer Mitarbeiter, dies lehnte das Finanzamt ab. Daraufhin legte die Klägerin gegen die geänderte Prüfungsanordnung vom 09.12.2009 Einspruch ein, weil ein anderes Finanzamt für die noch nicht begonnene Prüfung zuständig sei und beantragte AdV. Das Finanzamt lehnte den AdV-Antrag ab (28.01.2010), da keine geänderte Prüfungsanordnung und somit auch kein wirksamer Einspruch vorlägen.

Mit Bescheid vom 03.03.2010 setzte das Finanzamt gegenüber der Klägerin ein Verzögerungsgeld i.H.v. 4.800 Euro fest. Den Einspruch gegen die Festsetzung des Verzögerungsgelds wies dieses als unbegründet zurück. Aufgrund der nicht vorgelegten Unterlagen seien die Voraussetzungen des § 146 Abs. 2b AO erfüllt.

Das Finanzamt habe sich bei der Ausübung des Auswahlermessens zur Höhe des Verzögerungsgelds an der Dauer der Verzögerung orientiert. Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt und hob den Bescheid über die Festsetzung des Verzögerungsgeldes wegen einer fehlerhaften Ausübung des Ermessens auf. Die Revision des Finanzamtes blieb vor dem BFH ohne Erfolg.

Entscheidung

Der BFH hat entschieden, und somit die Entscheidung des FG bestätigt, dass zwar die formellen Voraussetzungen des § 146 Abs. 2b AO vorliegen, jedoch das Ermessen nicht fehlerfrei ausgeübt worden ist. Das Finanzamt darf auch in Fällen, in denen der Steuerpflichtige seiner Mitwirkungspflicht bei einer Außenprüfung schuldhaft nicht nachgekommen ist, ein Verzögerungsgeld nicht ohne nähere Begründung festsetzen.

Ausweislich der gesetzgeberischen Intention wird mit dem Verzögerungsgeld ein doppelter Zweck verfolgt. Mit dem Verzögerungsgeld habe der Gesetzgeber der Finanzverwaltung ein scharfes Instrument an die Hand gegeben, um den Steuerpflichtigen zu einer zeitnahen Erfüllung der Mitwirkungspflichten anzuhalten, aber auch, um etwaiges Verzögerungsverhalten zu sanktionieren. Um eine dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz geschuldete Waffengleichheit zwischen der Finanzverwaltung und Steuerpflichtigen zu gewährleisten, habe der BFH hohe Anforderungen an die von der Finanzverwaltung zu treffende Ermessensentscheidung gestellt.

Die Ermessenserwägungen der jeweiligen Finanzämter sind ausführlich zu erläutern, damit eine gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Festsetzung gewährleistet ist. Daher muss das Finanzamt sämtliche Besonderheiten der einzelnen Fälle in ihre Ermessensentscheidungen einbeziehen und abwägen.

Es muss zudem seitens des Finanzamt berücksichtigt werden, dass sich der Steuerpflichtige gegen die Vorlage der Unterlagen mit einem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gewandt hat, wie auch im Streitfall, und dieser im Zeitpunkt des Ablaufs der Frist noch nicht beschieden war. Zwar ist bei der Ermessenserwägung zur Festsetzung des Verzögerungsgeldes auch die Dauer der Fristüberschreitung einzubeziehen, jedoch hat das Finanzamt eine Verzögerung ab dem 11.01.2010 zugrunde gelegt. Diese Ermessensausübung ist fehlerhaft, da Zeiten, in denen ein AdV-Antrag läuft, nicht mit einbezogen werden dürfen. Folglich begann die Verzögerung im vorliegenden Streitfall erst mit Bekanntgabe der Ablehnung des AdV-Antrags am 31.01.2010.

Zumal liegt eine fehlerhafte Ausübung des Ermessens vor und führt folglich zur Aufhebung des Verzögerungsgeldbescheides, wenn das Finanzamt früheres (Fehl-)Verhalten des Steuerpflichtigen, welches vor der Aufforderung zur Mitwirkung lag, in seine Ermessenserwägungen mit einbezieht. Im Streitfall hatte das Finanzamt das Verhalten der Klägerin seit der Prüfungsanordnung in die Entscheidung mit einbezogen. Dies ist jedoch nicht zweckadäquat, da die Vorschrift nur die fehlende Mitwirkung sanktionieren soll und nicht früheres Verhalten.

Praxishinweis

Durch das Urteil zeigt der BFH auf, dass bei der Festsetzung eines Verzögerungsgeldes hohe Anforderungen an die Ermessensentscheidung seitens des Finanzamtes gestellt werden. Hierbei ist im Einzelfall zu prüfen, ob eine Festsetzung notwendig und gerechtfertigt ist. Dabei hat das Finanzamt die Besonderheiten des Einzelfalles zu berücksichtigen.